Aus der Serie Sun City; Fotos Peter GranserSo dringlich Gransers fotografische Arbeiten in gesellschaftlicher Hinsicht sind, so verspielt und poetisch sind sie auf der visuellen Ebene. Beides klingt hier zusammen: ein gesellschaftskritischer Impetus, gepaart mit einem deutlichen Stil-Willen

Coney Island. Brooklyn. New York. Hier steht der 1903 eröffnete, älteste Vergnügungspark der USA – einst der weltgrößte überhaupt, der seine noble Hochzeit vor dem zweiten Weltkrieg hatte. Ein Ort der Fotografie: Robert Frank, Andreas Feininger, Weegee, Walker Evans, Lisette Model oder Diane Arbus haben hier Bilder gemacht. Und es ist auch genau der richtige Ort für einen Fotografen wie den in Stuttgart lebenden Peter Granser: ein sonderbarer, morbider, halb verfallener und doch noch pompöser Ort. Ein Symbol der Vergänglichkeit, der seit den sechziger Jahren zunehmend verwahrlost.

Surreal, schäbig und gleichzeitig melancholisch ist es hier, ein – in diesen Bildern stets leicht überbelichteter – Platz, dem die salzige Meeresluft arg zusetzt. Der seine beste Zeit schon lange hinter sich hat. Hier, in den Resten einer zunehmend verfallenen Kulisse, zwischen Frittenbuden und archaischen Achterbahnen, fotografierte Granser für sein Buchprojekt Coney Island Menschen, die zwar manchmal lächeln und lachen, doch stets auch ein wenig traurig und einsam aussehen. Jungs hinter Haifisch-Masken, Männer in Freizeitkluft mit kurzen Hosen, ein braun gebrannter Bodybuilder, der wie ein Schauspieler auf einer Bühne posiert.
 

Aus der Serie Coney Island; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Coney Island

 
„Märchenhaft und unvorstellbar, unbeschreiblich schön ist dieses feurige Funkeln“, schrieb einst Maxim Gorki über Coney Island, über das faszinierende „elektrische Eden“, über die abertausende von Glühbirnen, die den Nachthimmel erleuchteten. Heute ist der Zauber verblichen und der Ort zeigt ein anderes Gesicht: billig, schäbig, traurig. Hot Dog-Buden. „Don’t piss here“-Schilder. Unkraut und Abfall. Ein Spielsalon, der seine Türen nie mehr öffnen wird. Trashiges Amerika. USA trivial – in quadratische Bilder von zurückhaltender Farbigkeit gegossen. Bilder, die von feiner Beobachtungsgabe erzählen: ein sonderbarer Kontrast.
 

Aus der Serie Coney Island; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Coney Island

 
Die USA – ihr politischer und kultureller Einfluss auf den Rest der Welt – zieht Granser immer wieder magisch an. In einem Motel fotografierte er Elvis-Presley-Imitatoren, in Bayern und im Harz bundesdeutsche Freizeit-Cowboys. Granser schätzt den Verfall als Sujet – und er mag sonderbare Orte. In der alpinen Heimat des Vaters ging der in Hannover geborene Österreicher auf Spurensuche, fotografierte für seine Serie Austria Kühe zwischen parkenden Autos, Gamsbärte und Kruzifixe, Bierkrüge, Dirndl-Puppen, grüne Almen und den blauen Himmel darüber. Bergwanderer mit Videokameras oder sich in Liegestühlen fläzende Touristen. Granser interessiert sich nicht für die Schönheit der Natur, ihn interessiert das schmierige, inszenierte, blank Geputzte des Tourismus, die Kulissenhaftigkeit, die sich hier als Heimatgemütlichkeit tarnt. „Granser zeigt die skurrilen Zusammenstöße des Alltags mit der touristischen Fiktion. Sein Austria ist nicht Österreich, sondern ein fremdes Land“, war einmal über die Serie zu lesen.
 

Aus der Serie Sun City; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Sun City

 
Noch härter: Sun City, ein 2000 bis 2001 entstandener Zyklus, der Granser bekannt gemacht hat – und zu dem ebenfalls ein Buch erschienen ist. Sun City ist eine künstlich angelegte Stadt für 40 000 Senioren in der Wüste von Arizona – die größte Seniorenkolonie der USA: eine schauerliche, absurde Reißbrett-Welt mit Pools und Golfplätzen unter ewiger Sonne. Humor steckt in diesen Bildern, doch das Schmunzeln über die von der Sonne verwöhnten Alten im surreal-sauberen, aseptischen Rentner-Paradies, das Lächeln über die Gartenzwerge, die schrecklichen Tapeten und diese Plastik-Flamingos, es währt nicht lange – denn schnell stellt sich die Frage, ob diese selbst gewählte Abschottung nicht eine Folge immer stärkerer sozialer Ausgrenzung älterer Menschen ist.

Manche seiner Arbeiten sind an Schärfe kaum zu überbieten. Hinter diesen weißen Mauern, in diesen sauber gestutzten Vorgärten, hinter diesen Fenstern, auf diesen perfekt angelegten Kieswegen lauert das Grauen der Konformität, der Horror des Verlusts jeglicher Individualität. Ein Paradies? Es ist ein amerikanischer Alptraum. Zu sehen in den Gesichtern der hier Lebenden: Unsicher, resigniert wirken sie. Ängstlich. Oder einfach nur: unsagbar leer. Das letzte Bild des Bandes zeigt ein Grab. Natürlich ist der Rasen sauber gestutzt. Alles in allem: ein irritierend-intensiver Einblick in die Verworfenheit der amerikanischen Gesellschaft.

In den Jahren 2001 bis 2004 hat sich der 1971 geborene – mit vielen renommierten Stipendien und Foto-Preisen wie dem Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg, dem Oskar-Barnack-Preis oder dem Arles Discovery Award geehrte – Granser auf sehr intime Weise dem Thema des Alterns und der Krankheit genähert: Alzheimer-Patienten des Stuttgarter Gradman-Hauses – ein architektonisch anspruchsvolles Modellprojekt für Alzheimer- und Demenzkranke – hat Granser für sein Buch Alzheimer fotografiert: Menschen, die aus der Welt gefallen sind.
 

Aus der Serie Alzheimer; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Alzheimer

 
Wunderbar zart die Anmutung dieser mit einer Mittelformatkamera entstandenen, pastellfarbenen, lichterfüllt-strahlenden, sich beinahe auflösenden Bilder. Eine Eleganz, die gebrochen ist durch die verstörende, so persönliche Nähe der quadratischen Porträts. Schon vor hundert Jahren formulierte eine Patientin des Psychiaters Alois Alzheimer ihre Krankheit so: „Ich habe mich verloren.“ Dieser Verlorenheit der etwa eine Million Demenz-Patienten in Deutschland, ihrer Ruhelosigkeit und Angst hat Granser ein fotografisches Denkmal gesetzt – aber auch den anderen Momenten von Berührungen, Würde und Zärtlichkeit. Das Zarte steckt oft in den kleinen Dingen: in der persönlichen Ordnung eines Nachttischs etwa. Christoph Ribbat hat in seiner Einleitung zum Buch geschrieben: „Dies ist nur eine Geschichte über die Spuren, die Alzheimer hinterlässt. Sie handelt von Verlorenheit. Sie handelt von Würde. Und von der strahlenden Widersprüchlichkeit des menschlichen Gesichts.“

Spuren der Arbeit heißt eine im Jahr 2002 bis 2005 entstandene Serie Gransers, deren gesellschaftspolitisches Thema die ständig steigenden Überschuldungen und Insolvenzen von deutschen Unternehmen ist. Zumeist sind es kleine und mittlere, früher florierende Betriebe, in denen Granser fotografiert hat: leere Büros und Produktionshallen, überflüssige Aktenordner, Schrankwände, auf denen noch Urlaubspostkarten kleben. Mobiliar, das nun unnötig geworden ist. Das auf den Sperrmüll wartet.
 

Aus der Serie Signs; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Signs

 
Ein anderer Bildzyklus, zwischen 2006 und 2007 in Texas entstanden, führt Signs – Zeichen – vor Augen. Gezeigt werden symbolträchtige „Zeichen“: in helles Licht getauchte Bilder, die in der Nachfolge von Walker Evans’ fotografischen Recherchen der dreißiger und vierziger Jahre von religiöser Frömmelei, Fundamentalismus, Patriotismus und Konsumismus erzählen. Surreal wirken diese Bilder, die einen Blick in die so widersprüchliche, zerrissene Seele Amerikas erlauben. Ein strenger, zeichenhafter Foto-Zyklus über Texas, George W. Bushs home country, aus dem kritische Distanz und Anteilnahme gleichermaßen spricht.

So dringlich wie Gransers fotografische Arbeiten in gesellschaftlicher Hinsicht sind – sie thematisieren so wichtige Fragen wie Identität, Heimat, Patriotismus, Ökonomie, Tourismus oder auch das Altern – so verspielt und poetisch sind sie auf der visuellen Ebene. Beides klingt hier immer zusammen: ein gesellschaftskritischer Impetus, gepaart mit einem deutlichen Stil-Willen.
 

Aus der Serie Signs; Fotos Peter Granser

Aus der Serie Signs

 
Peter Granser wird in Deutschland von den Galerien 14-1 in Stuttgart und Kaune, Sudendorf in Köln vertreten. Peter Granser, der übrigens nie eine Kunsthochschule besucht hat, ist Mitglied des poc-project, eines Netzwerkes europäischer Fotografen und Videokünstler.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Peter Granser: SIGNS
Kunstverein Ulm
15.3.–3.5.2009
 
 

Titelabbildung Signs
 
Buch:
Peter Granser
SIGNS (bei amazon.de)
Text von Karen Irvine, Barry Vacker
Deutsch/Englisch
2008. 132 Seiten, 99 farbige Abb., 2 Klapptafeln
30,20 x 30,40 cm
Leinen
ISBN 978-3-7757-2157-8
39,80 Euro