Wolfram Weimer geht als Quereinsteiger in die Politik: Der 60-jährige Verleger und Publizist wurde vom designierten Bundeskanzler Friedrich Merz als neuer Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt nominiert. Der 1964 in Hessen geborene Weimer ist bislang vor allem in der Medienbranche bekannt. Benjamin Lorenz, Chefredakteur von photoscala.de, stellt Wolfram Weimer vor und gibt einen Ausblick auf Herausforderungen, Chancen und Risiken für das Kulturgut Fotografie in Deutschland.
Nach einem Studium (Geschichte, Politikwissenschaft, Germanistik und VWL) begann Wolfram Weimer seine journalistische Karriere bei der FAZ, leitete später renommierte Blätter wie Die Welt, Berliner Morgenpost und das Magazin Focus. 2004 gründete er das politische Kulturmagazin Cicero, 2012 folgte die Gründung der Weimer Media Group, die u.a. das Debattenportal The European herausgibt. In der Kulturszene verfügt Weimer bislang über keine politische Erfahrung – umso überraschender kam seine Berufung in das Merz-Kabinett.
Diese Personalie ist ungewöhnlich: Weimer ist kein Politiker, sondern ein Medienunternehmer. Allerdings gilt er als Merz-Vertrauter; beide pflegen seit Jahren guten Kontakt. Weimer lebt am Tegernsee, wo er mit seiner Mediengruppe jährliche Wirtschaftskonferenzen (den Ludwig-Erhard-Gipfel) veranstaltete – ein Forum, auf dem auch Merz Stammgast war. Die Ernennung wird deshalb von Beobachtern als politisches Signal gewertet: Merz holt einen ideologisch nahestehenden Gefährten ins Boot, jemanden außerhalb des klassischen Politikbetriebs. Weimer ist kein CDU-Mitglied, wird aber klar dem konservativ-liberalen Spektrum zugerechnet. Er selbst beschrieb seine Haltung mit Buchtiteln wie „Das konservative Manifest“ und verstand sich stets als Stimme des konservativen Bürgertums. Nun soll dieser Quereinsteiger die Nachfolge der Grünen-Politikerin Claudia Roth antreten und die deutsche Kulturpolitik maßgeblich mitgestalten.
Wolfram Weimer – Konservative Positionen und kulturelle Visionen
Weimer hat sich in der Vergangenheit mit pointierten konservativen Positionen einen Namen gemacht. Regelmäßig suchte er die kontroverse Debatte: In Kolumnen und Büchern polemisierte er gegen ausufernde politische Korrektheit und warnte vor einer „Enttabuisierung“ privater Themen in der Politik. So kritisierte er etwa das Coming-out einer CDU-Politikerin als „politische Unkultur“ – Äußerungen, die viel Widerspruch auslösten. Er befürwortet eine Renaissance des Abendlandes, sieht im Wiedererstarken von Religion eine Chance für die Kultur und betont klassische Werte. Gleichzeitig lehnt Weimer einige progressive Strömungen ab: Er geißelte die „Gender-Ideologie“ und steht identitätspolitischen Ansätzen skeptisch gegenüber. In Fragen der Medienpolitik bezweifelte er offen den aktuellen Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – ein brisantes Thema, da die Kulturstaatsministerin auch für Medienpolitik zuständig ist. Insgesamt zeichnet sich ab, dass Weimer Kultur gerne im Kontext von bürgerlichen Freiheitsrechten und Eigenverantwortung betrachtet.

Claudia Roth. Die amtierende Kulturstaatsministerin scheidet aus dem Amt. Wolfram Weimer wird ihr Nachfolger. Foto: Von Martin Kraft – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=155753237
Welche Vision für die Kulturpolitik lässt sich daraus ableiten? Anders als seine Vorgängerin dürfte Weimer weniger den Fokus auf Diversität und gesellschaftspolitische Botschaften legen, sondern Kultur vor allem als Identitäts- und Wirtschaftsressource sehen. Er betont, Kultur solle „nicht bevormundet“ werden, und propagiert Meinungsfreiheit auch für unbequeme Stimmen. Zugleich könnte sein betriebswirtschaftlicher Blick die Kulturpolitik prägen: Weimer wird die ökonomischen Rahmenbedingungen von Kulturinstitutionen im Auge behalten. Fördergelder und Effizienz könnten für ihn stärker zählen als symbolische Gesten. Kritiker monieren schon, er könne als „Wirtschaftsmann“ die eigentliche Kultur aus dem Blick verlieren. Es bleibt abzuwarten, ob Weimer tatsächlich ein rein ökonomisches Verständnis von Kultur pflegt – oder ob er im neuen Amt die notwendige Empathie für die Kunst entwickelt. Als Kulturstaatsminister wird er jedenfalls Diplomatie beweisen müssen: Seine Aufgabe ist es, alle Sparten von Kunst und Kultur zu vertreten – ob Theater, Museen, Literatur, Musik oder Fotografie – und Vertrauen über politische Lager hinweg aufzubauen.
Wechsel an der Spitze: Kontrast zu Claudia Roth
Mit Weimers Ernennung zeichnet sich ein deutlicher Kurswechsel ab. Claudia Roth, die bisherige Kulturstaatsministerin, verkörperte einen ganz anderen Stil. Die Grünen-Politikerin ist als langjährige Kultur- und Menschenrechtsaktivistin bekannt, mit starkem Engagement für Diversität, Toleranz und Freiheitswerte. In ihrer Amtszeit setzte Roth Akzente bei der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit, beim Schutz von bedrohten Künstlerinnen und Künstlern weltweit und bei der Förderung bisher unterrepräsentierter Kulturformen. Sie galt als leidenschaftliche Anwältin der Kultur, stets präsent auf Festivals, Buchmessen und Kunstausstellungen. Persönlich ist Roth zudem eine ausgewiesene Fotografie-Liebhaberin – sie war und ist Schirmherrin des renommierten Fotogipfel Oberstdorf und begeisterte sich offen für fotografische Kunst. In ihrer Amtszeit musste sie einige Herausforderungen bewältigen: So geriet etwa die documenta 2022 wegen antisemitischer Bildinhalte in die Schlagzeilen. Roth initiierte daraufhin Dialogrunden und Expertengremien, um Antisemitismus und Rassismus in Kunstkontexten aufzuarbeiten und das Vertrauen in Deutschlands Vorzeigekunstschau wiederherzustellen.

Fotogipfel Oberstdorf 2024. Claudia Roth im Gespräch mit Fotografin Ulla Lohmann und Bürgermeister Klaus King (re.) und Kurator Christian Popkes (li.) Foto: Benjamin Lorenz.
Weimer tritt nun die Nachfolge dieser profilierten Kulturpolitikerin an – und übernimmt damit auch laufende Programme und Baustellen. Der Kontrast könnte größer kaum sein: Hier Roth, die bunte, weltzugewandte Kulturmanagerin; dort Weimer, der intellektuelle Querdenker mit Hang zur Provokation. Entsprechend vorsichtig bis skeptisch äußern sich viele Kulturschaffende. Einige hätten sich lieber wieder einen „Vollblut-Kulturpolitiker“ gewünscht, der mit Herzblut für die Belange der Kunst kämpft. Tatsächlich muss Weimer erst beweisen, dass er für die Kultur brennen kann. Seine vorrangige Aufgabe wird es sein, die vielfältige Kulturszene in Deutschland davon zu überzeugen, dass er ihr Partner ist – trotz seiner bisherigen Außenseiterrolle. Positiv ist: Das Vertrauen in öffentliche Kultureinrichtungen ist hierzulande hoch, wie Studien zeigen. Dieses Vertrauen gilt es zu bewahren und zu stärken. Weimer wird daher vermutlich zunächst auf Zuhör-Tour gehen: Gespräche mit Künstlerverbänden, Museumsdirektoren, Theaterschaffenden und eben auch der Fotografie-Community suchen. Sein Erfolg wird davon abhängen, wie gut es ihm gelingt, die Kontinuität sinnvoll mit einem neuen eigenen Profil zu verbinden. Ein behutsamer Neustart statt einer brachialen Kehrtwende – das dürfte die Erwartung vieler sein.
Fotografie als Kulturgut: Unsere Erwartungen an Wolfram Weimer
Gerade die Fotografie-Community schaut aufmerksam auf den neuen Kulturstaatsminister. Fotografie spielt als Kulturgut in Deutschland eine bedeutende Rolle – sowohl als künstlerische Ausdrucksform als auch als historisches Gedächtnis der Nation. In den letzten Jahren hat sich hier einiges bewegt: Unter Monika Grütters (CDU) und Claudia Roth (Grüne) wurde die Idee eines Deutschen Fotoinstituts vorangetrieben, um das fotografische Erbe zu bewahren. Dieses bundesweite Institut soll bedeutende Foto-Archive sichern, Nachlässe bekannter Fotografen sammeln, Ausstellungen organisieren und Forschung zu Restaurierung und Digitalisierung betreiben. Nach längerem Ringen um den Standort fiel 2022 die Entscheidung zugunsten von Düsseldorf – sehr zum Unmut der Konkurrenzstadt Essen, die mit ihrer Traditionslinie (Museum Folkwang, „Fotostadt“ Essen) leer ausging. Claudia Roth hat 2023 eine siebenköpfige Gründungskommission eingesetzt, die derzeit die inhaltlichen Konzepte und Aufgabenbereiche des künftigen Fotoinstituts ausarbeitet. Dieses Großprojekt ist nun praktisch entscheidungsreif, und Weimer wird es federführend weiterbetreuen (oder zumindest verantworten) müssen.
Die Erwartungen der Fotografie-Szene an Wolfram Weimer lassen sich in einigen Punkten zusammenfassen:
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Vollendung des Deutschen Fotoinstituts: Fotografen und Kuratoren hoffen, dass Weimer die Gründung des Fotoinstituts in Düsseldorf konsequent vorantreibt. Die Weichen sind gestellt – nun kommt es darauf an, Finanzierung und Bau umzusetzen und das Institut mit einer Vision zu erfüllen. Ein Scheitern oder Aufschieben dieses Projekts würde als herber Rückschlag für die Fotoszene gelten.
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Würdigung der Fotokunst: Als Kulturstaatsminister sollte Weimer Fotografie gleichberechtigt neben anderen Künsten behandeln. Die Community erwartet, dass Ausstellungen, Museen und Projekte der Fotokunst weiterhin Förderung und Sichtbarkeit bekommen. Fotografie ist längst mehr als angewandtes Handwerk – sie ist Teil des kulturellen Kanons. Hier wünschen sich viele Rückenwind und Anerkennung von höchster Stelle.
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Erhalt des fotografischen Erbes: Viele historische Fotosammlungen und Archive in Deutschland stehen vor Herausforderungen – sei es durch Materialzerfall (alte Negative und Abzüge) oder durch finanzielle Engpässe. Weimer muss Lösungen unterstützen, um dieses visuelle Gedächtnis des Landes zu sichern. Dazu gehören Digitalisierungsoffensiven, Unterstützung für Restaurierung sowie rechtliche Rahmenbedingungen, die Kulturgut Fotografie vor Abwanderung ins Ausland schützen.
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Offener Dialog mit der Fotoszene: Weimer tut gut daran, den Austausch mit Fotografen, Verbänden wie der DGPh (Deutsche Gesellschaft für Photographie), dem BFF, dem bpp, dem deutschen Fotorat und Kuratorinnen zu suchen. Die Branche ist im Umbruch – Themen wie KI-generierte Bilder, Urheberrechtsfragen im Digitalzeitalter oder die wirtschaftliche Lage freier Fotografen brennen vielen unter den Nägeln. Von einem Kulturstaatsminister erhofft man sich ein offenes Ohr und die Bereitschaft, auch neue Phänomene ernst zu nehmen, die die Fotografie betreffen.
Die Fotografie-Community in Deutschland ist grundsätzlich gut vernetzt und verfügt über weltweit anerkannte Expertise – man denke an die Düsseldorfer Photoschule (Becher-Schüler) oder bedeutende Festivals wie den Europäischer Monat der Fotografie. Weimer betritt hier möglicherweise Neuland, doch er kann an die Vorarbeit seiner Vorgängerin anknüpfen. Claudia Roth betonte stets die Vielfalt der Perspektiven in der Fotografie und wollte diese „in all ihrer Breite angemessen berücksichtigt“ sehen. Genau daran wird Weimer gemessen werden: Ob er es schafft, Kontinuität zu wahren und dennoch eigene Impulse zu setzen. Angesichts seines Hintergrunds als Verleger könnte Weimer der fotografischen Kultur vielleicht einen Schub in Sachen öffentlicher Debatte geben – etwa indem er fotografische Arbeiten stärker in gesamtgesellschaftliche Diskurse einbindet (Stichwort: Dokumentarfotografie als Spiegel der Zeitgeschichte). Wichtig ist der Community vor allem, dass Fotografie nicht in den Schatten anderer Kunstgattungen rückt.
Claudia Roths Vermächtnis: Projekte in Fotografie und Kunst
Beim Amtsantritt übernimmt Wolfram Weimer ein Erbe, das nicht nur das Fotoinstitut umfasst. Claudia Roth hat in ihrer Zeit als Kulturstaatsministerin einige Initiativen gestartet, insbesondere im Bereich der Bildenden Kunst und Fotografie, die nun in Weimers Hände übergehen. Neben dem genannten Fotoinstitut hinterlässt Roth beispielsweise den Neustart Kultur – ein während der Pandemie begonnenes Förderprogramm, das vielen Künstlern (darunter auch Fotografen) durch Stipendien und Projektgelder half und teilweise verlängert wurde. Außerdem hatte Roth begonnen, den Kulturaustausch international zu stärken, was für Fotografie wichtig ist (z.B. Kooperationen mit ausländischen Fotofestivals oder Ausstellungen deutscher Fotografen im Ausland). In der Bundespolitik wurde unter Roth zudem die Gaming- und Clubkultur erstmals explizit als förderwürdiger Teil der Kultur anerkannt – ein Zeichen für Offenheit gegenüber neuen Kulturformen, das nun auch Weimer tragen muss.
Im Bereich der visuellen Künste insgesamt hat Roth Akzente bei der Aufarbeitung und Bewahrung gesetzt. Etwa beim Kulturgutschutz: Die Restitution von kolonialer Raubkunst stand weit oben auf ihrer Agenda – und auch wenn das primär ethnologische Objekte betrifft, sensibilisierte dies für den Wert des kulturellen Erbes insgesamt. Für die Fotografie ergibt sich daraus der Anspruch, fotografische Werke ebenso als schützenswertes Kulturgut zu behandeln. Roths Haushaltspolitik könnte Weimer ebenfalls beeinflussen: Unter ihrer Ägide stieg der Etat für Kultur und Medien auf über zwei Milliarden Euro, ein Rekordniveau, um Kultur gut durch Krisenzeiten zu bringen. Davon profitierten Museen, Galerien und auch Fotoprojekte. Weimer wird zwar als Finanzkonservativer gelten, doch erwartet die Szene, dass er die bestehende Förderinfrastruktur nicht kappt, sondern effizient weiterführt.
Schließlich übergibt Claudia Roth ihrem Nachfolger auch ein gewisses kulturpolitisches Klima: Sie setzte auf Dialog, Vielfalt und eine klare Haltung gegen Extremismus. Dieses Klima hat die Kulturwelt geschätzt. Weimer wird klug handeln, wenn er diese positiven Aspekte annimmt. Zwar mag er andere Schwerpunkte setzen – vielleicht mehr auf die europäische Hochkultur und weniger auf subkulturelle Nischen –, doch sollte er die Offenheit seiner Vorgängerin nicht ins Gegenteil verkehren. Gerade in der Fotografie, die traditionell sowohl dokumentarische (reportage) als auch künstlerisch-experimentelle Ausdrucksformen umfasst, ist ein weiter Blick gefragt. Roth’s wertschätzender Umgang mit Fotografinnen und Fotografen – man denke an ihre regelmäßigen Besuche von Fotoausstellungen und ihre Ansprachen zur Bedeutung des Mediums – hat Maßstäbe gesetzt, an denen Weimer sich messen lassen muss.
Ausblick: Chance für einen neuen Dialog
Wolfram Weimer übernimmt das Amt des Kulturstaatsministers zu einem Zeitpunkt, da die Kulturszene sowohl hoffnungsvoll als auch wachsam in die Zukunft blickt. Einerseits bietet ein Wechsel immer die Chance auf neue Impulse: Weimer könnte mit seinem frischen Blick und seiner medienerfahrenen Perspektive der Kulturpolitik innovative Ideen geben – etwa die stärkere Verzahnung von Kultur und digitaler Öffentlichkeit oder eine moderne Form der Kulturvermittlung, die auch jüngere Zielgruppen erreicht. Andererseits besteht die Sorge, ob er die notwendige Sensibilität für die Belange der Kunst aufbringt. Sein Startsignal wird wichtig sein: Pflegt er den offenen Austausch und knüpft an bestehende Programme an, dürfte sich die anfängliche Skepsis legen. Verbeißt er sich hingegen in ideologische Kulturkämpfe, droht eine Polarisierung, die der Kulturlandschaft schaden könnte.
Für die Fotografie in Deutschland liegen große Potenziale auf dem Tisch – vom entstehenden Bundesinstitut über vielfältige Sammlungen bis hin zur aktiven Szene freier Künstler. Wenn Weimer es schafft, dieses Feld aktiv zu fördern und die richtigen Weichen zu stellen, könnte gerade die Fotoszene zu einer Erfolgsgeschichte seiner Amtszeit werden. Kultur braucht jedoch Vertrauen, und Vertrauen muss man sich in diesem Bereich erarbeiten. Weimer wird also zuhören, vermitteln und lernen müssen. Gelingt ihm das, kann seine Ernennung – allen anfänglichen Fragezeichen zum Trotz – auch positiv überraschen. Die Fotografen und Künstler des Landes werden ihn aufmerksam begleiten und bereit sein, mit ihm zu kooperieren. Jetzt liegt es an Wolfram Weimer zu zeigen, dass ein konservativer Publizist ebenso ein Anwalt der Kultur sein kann. Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, ob aus Skepsis Zuversicht wird.