Indonesien ist ein bunter Mix aus Kulturen, Religionen und Inselwelten – im Interview mit Manolo Ty über „Tropics and Tradition“ sprachen wir mit dem Reportage- und Umweltfotograf über seine Reise und sein neuestes Buchprojekt.
Für sein jüngstes Werk „Tropics & Traditions“ bereiste der Reportage- und Umweltfotograf Manolo Ty Indonesien. Diese Reise war ein wahres Abenteuer – voller fremder Kulturen, abgelegenen Inseln und Gefahren. Wir sprachen mit Manolo Ty über seine ursprüngliche Idee, das Projekt, das riesige wie vielseitige Land und die Hürden, die auch heute noch eine Reise in die Tropen mit sich bringen.
Interview mit Manolo Ty über „Tropics and Tradition“
Hallo Manolo Ty. Ihr aktuelles Werk dreht sich um Indonesien. Warum gerade dieses Land?
Indonesien fasziniert mich seit meiner ersten Reise dorthin, die mittlerweile bestimmt schon 15 Jahre zurückliegt. Damals wie heute ist es ein riesiges, unbekanntes Land. Viele denken, sie kennen Indonesien, weil sie schon einmal auf Bali im Urlaub waren. Aber Indonesien kennt fast niemand. Dabei ist es das viert bevölkerungsreichste Land der Welt. Das Land bietet so vieles von dem, was man sich als Abenteurer nur wünschen kann: Tausende, entlegene Inseln, über 700 verschiedene Sprachen, indigene Völker, wilde Tiere – und sogar noch nicht-kontaktierte Völker. Und all das ist noch gar nicht umfänglich fotografisch abgedeckt. Das muss man sich vorstellen: Die Ausdehnung von Indonesien ist so weit wie von Berlin nach China. Und dann gibt es 17.500 Inseln und 300 Millionen Menschen. Das wollte ich irgendwie in einem Buch verpacken. Und da habe ich wahrschein- lich den ersten großen Fehler gemacht.
Welchen Fehler?
Ich war hungrig auf das Land. Und das ist kein guter Ansatz. Es ist vergleichbar damit, dass man nicht hungrig einkaufen gehen sollte. Ich wollte das ganze Land in einem Buch in Form eines Gesellschaftsporträts einfangen. Vielleicht ein bisschen so, wie ich es mit „Pakistan Now“ gemacht habe. Ich dachte, das könnte ich ebenso mit Indonesien machen. Damals waren mir die schieren Ausmaße nicht bewusst – und mir war nicht klar, dass das Projekt so lange dauern würde. Auch, weil man vor Ort nur sehr langsam vorankommt. Was zum Teil daran liegt, dass das Land einfach so vielfältig und so gigantisch ist.

Steigender Meeresspiegel: Eine Flutmauer aus Beton soll weitere Teile Jakartas vor dem Untergang bewahren. Foto: Manolo Ty
Wie lange waren Sie unterwegs?
Der Anfang für das Projekt war 2019 – begleitet hat es mich also über fünf Jahre. Aber es gab immer wieder Unterbrechungen. Unter anderem, weil ich einmal fast gestor- ben bin. Und wegen Corona. Vor Ort war ich für die Buch-Recherche insgesamt acht Monate unterwegs. Und je mehr ich gereist bin, desto stärker habe ich gemerkt, dass es immer mehr Sachen gibt, die ich noch dokumentieren müsste. Was aber unmöglich ist. Damit könnte man ein Leben lang verbringen. Ich musste mich also einschränken, um fertig zu werden.
Wie kam es dazu, dass Sie fast gestorben sind in Indonesien?
Ich war auf Sumatra im Dschungel unterwegs und auf dem Meer mit einem Einbaum-Kayak. Dabei habe ich mir wahrscheinlich im Meer an einer Koralle einen Schnitt am Fuß zugezogen. Den habe ich direkt ausgewaschen und versorgt. Das ist auch wichtig, denn selbst kleine Verletzungen in den Tropen können schnell gefährlich werden. In den folgenden Tagen sah der Schnitt aber gut aus; und ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Doch es blieb eine rote Stelle unter der Haut. Nach ein paar Wochen habe ich den Schnitt mit einer antibiotischen Creme behandelt. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass das schon ein bisschen ist, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Aber ich wollte nichts falsch machen. Tage später war ich im Osten des Landes unterwegs und musste Indonesien wegen eines Visums verlassen und nach Osttimor einreisen. Und in Osttimor wurde ich von einer Spinne gebissen. Was sehr ironisch ist, da ich meiner Partnerin immer gesagt habe, dass sie keine Angst vor Spinnen haben muss, denn die beißen ja nicht einfach so. Zu dem Zeitpunkt war ich alleine unterwegs, bin morgens aufgewacht und hatte in dem anderen Bein – also nicht da, wo der Schnitt war – einen Spinnenbiss. Ich wusste natürlich erst nicht, dass es ein Spinnenbiss war. Ich habe mein Bett unter dem Moskitonetz gemacht und eine riesengroße Spinne – bestimmt eine Handfläche groß – unter meinem Kissen gefunden. Von da an ist mein Zustand stündlich schlechter geworden. Obwohl das eine Bein vom Spinnenbiss betroffen war, ist das Bein mit dem Schnitt immer dunkler geworden. Dann ist die Wunde aufplatzt, Eiter kam, das Bein wurde dicker. Ich hatte sowohl Rücksprache mit Ärzten in Deutschland, war aber ebenso auf der Suche nach einem Arzt vor Ort. Das Problem: Es war gerade Ostern, und die Insel ist super katholisch. Es herrschte Ausnahmezustand, und alles war zu für die nächsten Tage. In der Apotheke fragten sie mich, ob ich Diabetiker sei und ein offenes Bein hätte – so schlimm sah es aus. Und der Apotheker hat gesagt: Wir haben nicht die richtigen Mittel, um dir zu helfen. Du musst hier schnell weg.

Schwindendes Paradies: Alte Ölfässer lagern am Rande des Walds im Maratua Atoll. Die Wälder weichen immer mehr für schier endlos wachsende Palmölplantagen. Foto: Manolo Ty
Also sind Sie schnell zurück nach Deutschland gereist?
Nun, ich war drei Tage unterwegs, um nach Hause zu kommen. Inklusive eines Zwischenstopps in Jakarta in der Notfallklinik, wo man mich erst nicht fliegen lassen wollte, wegen der Gefahr der Thrombose. Ein europäischer Arzt riet mir aber zurückzufliegen, da es durch die tropische Hitze und das Klima dort nur schlimmer werden könnte. In Deutschland angekommen wurde ich direkt am Flughafen abgeholt, kam sofort in die Notaufnahme und wurde operiert. Ich habe fünf verschiedene Antibiotika bekommen. Bis zuletzt wusste keiner so wirklich, was das genau ist. Aber irgendwann ist es abgeklungen und relativ normal geworden. Richtig durch bin ich damit auch heute noch nicht. Das ist schon wieder vier oder fünf Jahre her, aber ab und zu im Sommer bekomme ich an den gleichen Stellen am Bein Rötungen oder Pusteln. Ansonsten sieht es jetzt okay aus. Ich muss zugeben: Vor Ort hatte ich schon mit dem Bein abgeschlossen. Und ich bin froh, dass es gut ausgegangen ist. Aber dann konnte ich erstmal mit der Recherche nicht weitermachen.
Und dann kam Corona?
Nein, ich habe vor Corona noch weitergearbeitet, als es mir besser ging. Ich hatte sogar eine große Ausstellung in Jakarta mit der Deutschen Botschaft zusammen als Corona losging. Am Eröffnungstag ging die Nachricht herum, dass es ein Virus gibt und ab morgen alles geschlossen wird – überall. Also konnte ich die Ausstellung wieder abbauen und mich gleichzeitig darum kümmern, aus dem Land herauszukommen. Im Anschluss an die Pandemie hätte ich wahrscheinlich früher mit der Recherche weitermachen können. Aber meine Befürchtung war, dass ich in die sehr entlegenen Gebiete, in die ich reisen wollte, Corona einschleppen würde. Da gibt es nicht viel Fluktuation an Menschen. Daher habe ich noch etwas länger gewartet.

Ein einfaches Leben: Ein Fischer auf Pulau Papan flickt sein Fangnetz. Am Meeresboden darunter erkennt man allerhand Müll. Foto: Manolo Ty
Wo genau waren Sie vor Ort?
Insgesamt habe ich 45.000 Kilometer zurückgelegt. Ich bin im Zickzack durch das Land. Ich war auf Sumatra, den Molukken, in Java, auf Bali, auf Sumba – auf einer ganzen Menge Inseln. Tatsächlich habe ich bis jetzt noch nicht versucht, die Reiseroute komplett zu rekonstruieren und alle Inseln zu notieren. Ich kann also gar nicht sagen, wie viele Inseln es genau waren – aber es waren viele, sehr viele.
Hat Sie eine Gegend überrascht?
Da waren einige! Zum Positiven wie auch zum Negativen muss ich sagen. Fangen wir doch mit dem Negativen an. Was mich richtig überrascht hat, war Kalimantan, also Borneo. Da gibt es beispielsweise das schöne Reservat Tanjung Puting, wo es noch Orang-Utans gibt. Aber wenn man über diese Insel fährt, sieht man nur Zerstörung. Überall Palmöl-Plantagen oder braches Land, wo der ganze Regenwald abgeholzt wurde. Das waren so Momente, wo es mir danach für längere Zeit richtig schlecht ging. Gleichzeitig ist Indonesien aber einer der faszinierendsten Orte überhaupt. Ein gutes Beispiel dafür ist das letzte Kapitel im Buch. Da war ich auf den Mentawai-Inseln (West-Sumatra) bei einem Schamanen im Dschungel. Oder Sumba. Einfach wunderschön – aber auch eine Zeitreise. Ich war auf einem Festival namens Pasola, wo die Menschen einmal im Jahr aus den verschiedenen Dörfern zusammenkommen und ein Event haben, bei dem sie sich gegenseitig mit Speeren bewerfen. Je mehr Blut fließt, desto besser wird die Ernte. Ein sehr archaisches Erlebnis. Und die Molukken. Die fand ich einfach extrem spannend. Das war früher das Zentrum des Gewürzhandels – und der Gewürzhandel war damals das, was heutzutage Gold ist. Alle haben versucht, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Eine winzige Insel haben die Engländer dann mit den Niederländern getauscht–und dafür Manhattan bekommen. Man muss sich das mal vorstellen! Das eine ist jetzt New York – das andere eine vergessene Insel im Nirgendwo. Das hört man von den Einheimischen vor Ort und denkt, das ist bestimmt eine urbane Legende. Dann recherchiert man und merkt: Das war wirklich so!

Fragmente der Vergangenheit: Jugendliche treffen sich zum Sonnenuntergang am Fort Amsterdam auf Ambon. Foto: Manolo Ty
Wie ist das für Sie, als jemand der viel für den Umweltschutz gereist ist, zu sehen, wie die Natur verloren geht?
Da gab es Orte, wo ich dachte: Das hier könnte das Paradies auf Erden sein. Doch man sieht aufgerissene Landschaften und von Chemikalien verseuchte Pools. Das ist fotografisch erstmal ansprechend. Schöne Farben und Kontraste. Das ist bei den Bildern auch beabsichtigt, dass man die Zerstörung sieht in einer Art, die fast schon ästhetisch wirkt. Und dann anfängt darüber nachzudenken, was da eigentlich gerade zu sehen ist. Das war ein Spagat für mich … Ausgangspunkt für dieses Buch war für mich, Leuchtturmprojekte für den Umweltschutz zu finden. Leute vorzustellen, die etwas dafür machen. Gefunden habe ich aber relativ wenige. Das hätte das Land falsch dargestellt; zu geschönt. Mir wurde klar, ich muss den Fokus für das Projekt anders setzen. Ich wollte beides zeigen: die Schönheit und die Diversität, die es dort gibt. Und eben auch was da passiert, was verloren geht. Im Buch ist beides zu sehen.
Die große Vielfalt hat mich überrascht, auch bei den Religionen. Ich muss an ein Bild im Buch denken, auf dem Figuren die Toten repräsentieren.
Das ist auf Sulawesi. Das sind tatsächlich Christen. Aber den Totenkult gab es schon länger, und der hat sich da mit reingemischt. Das ganze Leben dreht sich dort nur um den Tod. Alles wird darauf ausgerichtet, wie man einmal in den Tod geht – also für die Beerdigungszeremonie. Die leben auch teilweise noch mit ihren toten Verwandten zu Hause, weil sie noch nicht das Geld für eine große Beerdigung haben. Dafür wird alles angespart und zusammengetragen. Dazu gehört auch, dass man vor dem eigenen Grab eine Totenpuppe von sich hat. Wo wir schon bei Religionen sind: Man denkt ja immer, dass Indonesien ein rein muslimisches Land ist. 80 Prozent der Bevölkerung sind auch muslimisch – aber das beschränkt sich auf die meist besiedelten Gebiete. Eigentlich ist der ganze Osten des Landes christlich geprägt. Aber es gibt auch Animisten. Bali beispielsweise ist hinduistisch. Dazu kommen noch buddhistische Ecken. Mir war vorher gar nicht bewusst, wie viele Teile dieses Landes gar nichts mit dem Islam zu tun haben.

Mix der Religionen: Felsengräber in einer Felswand in Lemo, umgeben von einer Ahnengalerie mit Tau Taus, die die Toten repräsentieren. Foto: Manolo Ty
Welche Ausrüstung hatten Sie in der Kameratasche?
Ich versuche, meine Ausrüstung immer möglichst kleinzuhalten. Ich hatte eine Sony Alpha 7R III dabei. Auch nur eine, was mir dann ein bisschen auf die Füße gefallen ist; und zwar gleich, als ich angekommen bin. Da ist mir die Kamera nämlich heruntergefallen – auf den Sucher. Der war dann kaputt. So musste ich das erste Mal in meinem Leben mit dem Display und dem Touchscreen fotografieren. Und bei der Sonne, die da zum Teil herrschte, hieß das, dass ich mehr oder weniger blind fotografiert habe. Das musste ich einen ganzen Monat, bis ich wieder an einem Ort war, wo ich die Kamera reparieren konnte. Für Unterwasseraufnahmen hatte ich zudem noch eine GoPro dabei. Die auch erstaunlicherweise gute Bilder gemacht hat. Aber es ist viel langwieriger und schwieriger ein gutes Foto mit einer GoPro zu machen als mit meiner Kamera in einem Unterwasser-Case. Aber das wäre zu schwer gewesen. Des Weiteren hatte ich noch eine Drohne dabei. Am Anfang war das eine DJI Mavic 2 Pro. Die war allerdings recht schwer und hat auf der Reise sehr gelitten. Also bin ich umgestiegen auf die DJI Mini 4.
Darf man da noch einfach fliegen oder ist das reglementiert wie bei uns?
Noch, ja. Natürlich gibt es da auch die klassischen Sachen, die man nicht fotografieren darf wie Militäranlagen und Flughäfen. Aber ansonsten kann man das in der Regel mit den kleinen Drohnen noch machen. Wobei man sagen sollte, dass, wenn man auf den entlegeneren Inseln ist, in der Regel nicht das Recht der Zentralregierung gilt, sondern das Recht der Stammesführung oder von den Dorfältesten. Dann geht man erst dorthin und erhält von ihnen das Okay. Das heißt, Sie mussten vorsprechen? Das kommt darauf an, wo Sie sind. In einem kleinen indigenen Dorf gehört sich das, dass man sich vorstellt und aufklärt, was genau man macht und machen möchte. Dann bekommt man das Okay, fotografieren zu dürfen – oder eben manchmal auch nicht. Wenn man dagegen mehr in Städten unterwegs ist, wo sonst kein Weißer hinkommt, ist man oft selbst die größte Attraktion. Ich muss zugeben, dass ich glaube, dass mehr Fotos von mir gemacht wurden, als dass ich Indonesier porträtiert habe. Das ist oft ein Geben und Nehmen. Ich würde mich also nicht wundern, wenn ich irgendwo auf Wahlplakaten auf Sumatra bin oder auf diversen Restaurant-Empfehlungen.

Zeitreise: Einige Orte sehen aus, als wären sie in der Vergangenheit aufgenommen worden. Hier zu sehen: das traditionelle Dorf Kampung Praijing, Sumba. Foto: Manolo Ty
Informationen zum Buch „Tropics and Tradition“:
Geschichten Indonesiens von Manolo Ty
Hardcover, 23,5 x 30 cm, 256 Seiten
Preis: 60 Euro
teNeues Verlag www.teneues.com

Über den Fotografen: Manolo Ty
Manolo Ty wurde 1985 in Hagen geboren und ist für seine sozialdokumentarischen Fotografien und seine Porträts bekannt. Als Fotograf, Autor und Abenteurer besuchte er über einhundert Länder. Seine fotografischen Arbeiten sind ein Amalgam zwischen Kunst, Dokumentation und Fotojournalismus, mit denen er das Bewusstsein für den Schutz von Natur und Umwelt sensibilisieren und auf soziale Konflikte aufmerksam machen möchte.
Instagram: @manoloty
Webseite: www.manoloty.com