Im Interview mit Bernd Ritschel sprachen wir über sein Buch „Europas heilige Berge“, und über die Sehnsüchte, die diese majestätischen und geheimnisvollen Gipfel wecken.
Die übermächtige, epische Aussicht in und auf ein Bergmassiv beflügelt und inspiriert die Gedanken und Sehnsüchte der Menschheit schon immer. Wo man hinkommt, ranken sich Mythen und Legenden um Gipfel, Täler und Felsformationen. Bernd Ritschel hat sich gemeinsam mit Nina Ruhland besondere Berge für ihr Werk vorgenommen. Wir sprechen mit ihm über „Europas heilige Berge“.
Interview mit Bernd Ritschel
Wie kam es zu Europas heilige Berge?
Dazu muss ich kurz auf mein Leben als Bergsteiger blicken. Am Anfang, als junger Mann, stand bei mir die Leistung im Vordergrund: Begehungszeiten, Schwierigkeitsgrade, Gipfelhöhen. Die hochalpinen Aufträge waren für mich wichtig. Das gab Selbstbewusstsein und Image. Mit dem Älterwerden kamen mehr Muse und Leidenschaft für das Bergsteigen und die Fotografie hinzu. Nicht, dass es früher ohne Leidenschaft war, nur habe ich mir später mehr und bewusst Zeit genommen. Ich konnte dieses emotionale Thema, die heiligen Berge Europas, mit mehr Zeit genießen. Das war ein Geschenk: eine Woche Zeit zu haben, einen Berg von allen Seiten zu erleben, zu besteigen, zu fotografieren – und zu genießen.
Berge sind ja eher umfangreich. Waren Sie mit der Motivsuche dort nicht recht lange beschäftigt?
Nicht alle, aber viele der von uns ausgewählten Berge sind eher unspektakulär. Deswegen war die große Herausforderung oft: Von welchem Standpunkt aus, mit welchem Vordergrund, bei welchem Licht und in welcher Konstellation bekomme ich spannende Bilder? Das ganze Buch ist kein spektakulärer Bildband, da hätte ich einen über Patagonien machen müssen, die Dolomiten oder Nepal. Berge wie der Donon, der Säuling, der Monte Amiata, der Vesuv – da ist man wirklich am Arbeiten und Kämpfen auf der Suche nach tollen Motiven – nicht im Negativen. Das ist eine schöne und positive Herausforderung.

San Michele: Auf dem Monte Pirchiriano gelegen, thront die alte Benediktinerabtei über die Region Piemont in Norditalien. Foto: Bernd Ritschel.
Wie lange waren Sie unterwegs?
Es sind 22 Berge Europas, und ich war 22 Wochen unterwegs. Natürlich läuft die Produktion eines solchen Bildbands parallel zur der Werbe- und Auftragsfotografie. Insgesamt waren wir über drei Jahre damit beschäftigt.
Wie haben Sie die Berge ausgesucht?
Ich habe mir erstmal alles an Büchern gekauft, was es zu diesem Thema gibt: Das waren genau zwei. Dann hatte ich angefangen, Magazine und Beiträge zu sammeln. Von manchen dieser Berge war ich tatsächlich überrascht, warum, seit wann oder wodurch sie heilig sind. Dann kamen die Textautorin und der Verlag dazu. Im Prozess haben wir gemeinsam diskutiert: Hier ist der Zusammenhang ein religiöser – oder das ist es ein Pilgerberg, der gehört dazu. Bei anderen Bergen, wie beim Säuling, ist es die Mythologie aus dem Mittelalter: Hexentanz und leider auch Hexenverbrennung. Es gibt keine klare Definition, was heilig ist und was es bedeutet, heilig zu sein. Es war immer ein Abwägen: Ist das eine Bereicherung für das Buch, ist es spannend, macht das Sinn? Auch die geografische Verteilung gehörte dazu. Wir wollten nicht in einer Region eine totale Fülle an Pilgerbergen bringen, sondern weiter gestreut Vielfalt zeigen.

Schlern: Majestätisch und beeindruckend baut sich der Gipfel des Schlern inmitten der Dolomiten auf. Foto: Bernd Ritschel.
Wo und wie fanden Sie die Geschichten zu den Bergen?
Das war mühsam und spannend zugleich. Dazu gehörte viel Internetrecherche. Was aber wirklich toll war, während der Reisen und während der Besteigungen, die Menschen am Berg anzusprechen. Einen Bauern, einen Hüttenwirt, ältere Menschen in einem Dorf oder den Pfarrer – es ist hochinteressant, welche Informationen und Geschichten wir bekommen haben.
Gab es einen speziellen Berg oder ein besonderes Ereignis für Sie?
Jede Reise hatte etwas, jeder Berg war ein besonderes Erlebnis. Am Rocciamelone pilgern die Menschen andächtig zur großen Madonna hoch. Das ist eine total eigene Energie und Stimmung – die erlebt man an anderen Bergen in dieser Form nicht. Am Eiger gibt es dieses Felsfenster am Ostgrad, an dem zweimal im Jahr ein gebündelter Lichtstrahl auf den Kirchturm von Grindelwald fällt – Wahnsinn. Da denkt man: Hey, was schafft die Natur da? Dort spürt man auch noch, was es mit den Menschen macht, die dort stehen und genau auf diesen Moment warten. Echt emotional und eindrucksvoll.

Neuentdeckungen: Der Gamskogel in den Stubaier Alpen war eine der vielen Überraschungen für den Fotografen auf seiner Reise für das Buch. Foto: Bernd Ritschel, Fotografie, Gamskogel, Holy Mountains, Ötztaler Alpen, Tirol, Österreich.
Man kann also einen Berg nicht besteigen, ohne etwas Tieferes zu spüren?
Man kommt an manchen dieser heiligen Berge gar nicht darum herum, sich mit dem Thema und der Vergangenheit zu befassen.

Meteora: Insgesamt 24 Klöster gehören zu der unwirklichen Anlage in Thessalien, Griechenland. Foto: Bernd Ritschel.
Waren Sie allein unterwegs?
Ich hatte immer wieder Unterstützung dabei. Mal meine Frau, mal meine Tochter mit einer Freundin. Ein paar Touren habe ich auch mit Bergfreunden gemacht. Die helfen mir, wenn ich Lichter mitnehmen will oder mir einbilde, die Mittelformatkamera mit auf den Gipfel nehmen zu müssen. Es gibt eine wichtige Differenzierung: Es gibt nichts Schöneres, als allein reisen zu dürfen, aber nichts Schlimmeres als allein Reisen zu müssen. Wenn ich allein unterwegs sein wollte, war es grandios, aber oft war ich einfach dankbar für die Begleitung, weil es etwas Schönes ist, so etwas gemeinsam zu erleben.

Bergtour Krivan, Hohe Tatra, Slowakei. Raymond: Ein Mann wie ein Berg: Raymond ist ein guter Freund und treuer Reisebegleiter auch auf anspruchvollen Touren im Hochgenbirge. Foto: Bernd Ritschel.
Gibt es noch mehr zu erzählen?
Die „heiligen Bergen weltweit“ werde ich mir aus ökologischen Gründen verkneifen. Das wäre ein unglaublicher Flug- und Reiseaufwand. Es gibt hier auch genug. Innerhalb Europas haben wir so viele gigantische Fotoziele. Das Mont-Blanc-Gebiet, die Dolomiten, die Lofoten, Irland, die Vulkane in Italien – wir haben alles da, was ein Fotografenherz höher schlagen lässt. Und zwar in einer unglaublichen Fülle.

Neuschwanstein: Märchenhafter und verträumter kann man eine Burg mit Telefonanschluss nicht am Füße der Alpen bauen. Foto: Bernd Ritschel.
Wie war die Zusammenarbeit mit Ihrer Ko-Autorin für das Buch?
Nina Ruhland und ich, waren – wann immer es möglich war – zusammen auf Tour. Wenn wir allein auf Tour waren, haben wir uns danach sofort ausgetauscht: Wie hast du den Berg erlebt, wie habe ich ihn erlebt, wie waren meine Stimmungen, wie waren deine? Da war ein intensiver Austausch vorhanden.
Haben Sie eine spezielle Ausrüstung, die immer mitmuss, oder entscheiden Sie von Berg zu Berg?
Ich entscheide tatsächlich spontan. Natürlich spielen die Höhenmeter eine Rolle. Wie lang und wie weit ist der Zustieg? Bei langen Überschreitungen, bei denen ich noch Steigeisen und Seil dabeihabe, nehme ich manchmal nur noch die APS-C-Kamera und drei bis vier Festbrennweiten und vielleicht noch ein Weitwinkelzoom mit. Wenn ich es tragen kann, ist meine feste Ausrüstung, an der ich auch nichts verändere: meine Mittelformatkamera, die GFX, das 20–35 mm Weitwinkelzoom, das 35–70 mm als superleichtes Standardzoom und das 100–200 mm, um im Telebereich flexibel zu sein.

Elemente: Wenn der bergsteigende Fotograf in seinem Element ist, und die Elemente ihm die schönsten Fotomotive liefern. Foto: Bernd Ritschel.
Fotografieren Sie als Bergfotograf auch außerhalb der Berge?
Wenn ich ehrlich bin: selten. Für eine gute Freundin habe ich die Hochzeit fotografiert. Für einen Kunden habe ich Trailrunning außerhalb der Berge fotografiert, am Meer und in Wäldern. Aber ich bin froh, dass ich in den Bergen mein fotografisches Zuhause gefunden habe und nicht auf Hochzeiten.
Ihre Lieblingsausrüstung ist Fujifilm?
Ja. Ich habe die größte der APS-C-Kameras, die H2-S, weil sie durch das größere Gehäuse perfekt in der Hand liegt. Sie ist schnell, robust, ich kann damit filmen und sie hat einfach den besten Sucher aller Fujifilm-APS-C-Kamers – und das allein dadurch, dass der Sucher größer ist. Zum Arbeiten, also, wenn man das Ding nicht nur gelegentlich mal hernimmt, sondern über mehrere Tage, spielt ein guter Sucher durchaus eine wichtige Rolle. Immer wenn ich oder der Kunde Qualität braucht, wenn Mittelformat über eine Agentur angefordert wird, habe ich die GFX dabei. Die meiste Zeit habe ich die gleichen drei Zoomobjektive dabei, und wenn ich weiß, ich brauche ein sehr lichtstarkes Objektiv, habe ich noch das 110 mm f/2 dabei. Für mich eines der besten Teleobjektive, die je gebaut wurden. Unglaublich vom Look und der Schärfe. Aber das Mittelformatsystem hat eben sein Gewicht.

Mont Donon: Der rekonstruierte Tempel des Vosegus steht auf den Resten keltischer und römischer Kultanlagen des Gottes Vosegus. Foto: Bernd Ritschel.
Auf dem Berg, wo der Heimweg etwas länger ist, sind Qualität und Funktionalität sehr wichtig für Sie?
Ich habe vor einigen Jahren dieses Alpengletscherbuch fotografiert, und das war eine riesige Herausforderung für das Equipment. Wenn du in Gletscherspalten, in Gletschermühlen abseilst, wenn du in Gletschertore hineingehst – es ist nass, du hast das Gesteinsmehl im Wasser, es tropft, du hast den Bodenschlamm, die Ausrüstung wird gefordert; das ist brutal. Die Topkameras und Objektive der Hersteller, die halten unglaublich viel aus. Die Wetterschutzmaßnahmen der Hersteller sind so gut geworden.
Gibt es noch besondere Berge, die Sie gern bereisen würden?
Mir fehlen schon noch ein paar Traumberge, die ich damals wahnsinnig gern bestiegen hätte, aber bei denen ich nicht weiß, ob ich jetzt noch hochkomme. Ich würde beispielsweise gern einmal auf den Alpamayo in Peru gehen, knapp 6.000 Meter hoch. Ein kleineres Traumziel erfülle ich mir nächstes Jahr: der Ruwenzori in Uganda, Afrika. Ein paar weitere Berge gäbe es schon noch. Aber die Kunst ist jetzt einfach das vorsichtige, achtsame Differenzieren: Was mute ich meinem Körper zu, was ist noch möglich, wie weit kann ich mit der körperlichen Leistungsfähigkeit und gleichzeitig auch mit der ausreichenden Puste und Kraft gehen, um gute Bilder zu machen? Dieser Zusammenhang ist immer präsent, und je älter man wird, so konzentrierter und kritischer schaut man auf diesen Punkt.

Paps of Jura: Die drei Berge auf der schottischen Insel Jura sind nicht nur unter Whisky-Kennern heilig. Die höchste Erhebung der Insel ist 785 Meter. Foto: Bernd Ritschel.
Über den Fotografen Bernd Ritschel:
Er lebt mit seiner Familie in Kochel am See in unmittelbarer Nähe zu ‚seinen‘ Bergen. Seit über 35 Jahren ist die Symbiose von Bergen und Fotografie für ihn nicht nur eine Quelle der Inspiration, sondern auch eine tief verwurzelte Leidenschaft. In dieser Zeit hat er mehr als 35 Bildbände veröffentlicht, zahlreiche Lehrbücher geschrieben und über 100 Kalender gestaltet. Mehr auf seiner Webseite: www.lightwalk.de
Das Buch zum Interview „Europas heilige Berge – Sehnsuchtsorte voller Stille und Faszination“ von Bernd Ritschel und Nina Ruhland ist beim Knesebeck Verlag als gebundene Ausgabe erhältlich.

Torre del Greco: Die Küstenstadt in der Region Kampanien liegt nahe Neapel und ist vor allem für ihren Korallenschmuck bekannt. Foto: Bernd Ritschel.