Es gibt für Fotografierende und Kameraenthusiasten einen Termin im Jahr, der gar nicht so offensichtlich ist: die Oscars. Die Kategorie, die sogar schon so unpopulär war, dass die goldenen Statuen während der Werbepause verliehen wurden, hat oft eine sehr spannende Geschichte. Ein Beispiel dafür ist der diesjährige Oscar für die „Beste Kamera 2025“, der an Lol Crawley ging.
Neben der Auszeichnung an Adrian Brody für den besten Hauptdarsteller konnte das 214-minütige Epos „Der Brutalist“ auch den Oscar für die beste Kamera beanspruchen. Der britische Kameramann Laurie „Lol“ Crawley ist Handwerker der alten Schule. Zu seinem Portfolio gehören Filme wie „Mandela: Long Walk to Freedom“, „The Secret Garden“ oder „A Devil all the Time“. Doch auch für die Erfolgsserie „Black Mirror“ oder einige Musikvideos stand er schon hinter der Kamera. Im Laufe seiner Karriere konnte er auch schon die ein oder andere Auszeichnung mit nach Hause nehmen.
Bewegte Zeiten in bewegten Bildern
Mit Regisseur Brady Corbet arbeitet er für „The Brutalist“ schon zum dritten Mal zusammen. In einem Interview mit „Variety“ erzählte er, wie gut das Zusammenspiel und der Blick für Bilder zwischen den Beiden mittlerweile funktioniert.
Für die Geschichte des jüdischen Auswanderers, der im Dessauer Bauhaus ausgebildet wurde und ein gewaltiges steinernes Monument errichtet, haben das Team aus Kameramann und Regisseur mit einem minimalen Budget einen besonderen Look kreiert. Um Geld zu sparen wurde der Film weder Digital noch im verbreiteten 70 mm Film gedreht, sondern im 35 mm VistaVision Breitwandfilm.
Dieses Format wurde in den 1950er Jahren in Hollywood entwickelt, um die Kinos nicht vom Fernsehgerät vertreiben zu lassen. Klassik wie, White Christmas, Krieg und Frieden oder der Unsichtbare Dritte sind in diesem Format gedreht worden.
Wie Fotografen auch haben Kameraleute das Problem der stürzenden Linien. Was bei Architekturaufnahmen mit der Vollformatkamera beim Städtetrip zu „Unannehmlichkeiten“ führen kann, ist für eine Filmproduktion, bei der es um einen Architekturstil geht, der aus klaren Linien besteht, ein echtes Problem. Ein Tilt-Shift Objektiv ist keine Option, wenn Hauptdarsteller im Vordergrund ihre Dialoge sprechen.
Hierauf wurde gedreht: Horizontal analog
Der VistaVison-Film läuft nicht wie üblich vertikal, sondern horizontal und erschafft dadurch ein breiteres Bild. Zusammen mit dem richtigen Abstand und der entsprechenden, engeren Brennweite rückt der Kameramann die Linien wieder gerade.
Die Ausrüstung war dabei recht einfach zu bekommen. Es waren ARRI-Filmkameras, die das Format unterstützen sowie Cooke S4 Objektive, die die Handlung auf Kodak Vision3 Filmrollen brachten. Alles zusammen erzeugt einen authentischen, grobkörnigen Look, der äußerst akkurat der Zeit entspricht, in der die Szenen spielen. Auch bei der Ausleuchtung verließ man sich auf natürliches Licht und minimale zusätzliche Beleuchtung, was die Szenen so homogen und natürlich wirken lässt.
Ähnlich wie in Leonardo DiCaprios „The Revenant“ bleibt natürlich die Frage, ob man sich die Stunden des Films ansehen will, doch aus Sicht der technischen Begeisterung ist das Handwerkskunst, die man durchaus wertschätzen muss.
Tipp zum Ende: Das Variety-Interview mit Kameramann Lol Crawley ist hörenswert und gibt noch einiges an weiteren Hintergrundinfos. Hier geht es zum Interview auf YouTube.
So richtig erschließt sich mir die Sache mit den stürzenden Linien noch nicht. Aus dem Video wird man auch nicht schlauer. Stürzende Linien entstehen doch unabhängig vom Format, daran kann man es nicht festmachen. Das breitere VistaVision-Bild erfordert einen größeren Bildkreis bei den Objektiven. Es wird aber eine „engere“ Brennweite als Schlussfolgerung genannt, damit kann nur eine längere Brennweite gemeint sein, das aber kompensiert erstmal nur den Formatsprung von cine35 auf VistaVision.
Um stürzende Linien zu vermeiden kenne ich nur das weniger starke Kippen der Kamera, d.h. größerer Abstand, längere Brennweite – aber das wiederum funktioniert bei jedem Format.
Bleibt noch die genannte Retrofokuskonstruktion bei Objektiven für kleinere Formate, die Verzerrungen und Verzeichnungen erzeugt, aber das sind keine stürzenden Linien.
Um konsequent zu sein, hätte im Großformat gefilmt werden müssen, denn das war das Format der Architekturfotografie, nicht 35mm. Die Argumentationskette, dass der Film auf VistaVision gedreht werden müsste, um einen Architektur-Lock zu bekommen, ist nicht schlüssig. Ganz unabhängig davon ist das VistaVision-Format ein tolles Format für solch einen epischen Film.