Dieses Jahr wäre der Schweizer Fotograf Werner Bischof 100 Jahre alt geworden. Jetzt erinnert ein neues Buch an den Magnum-Mitarbeiter, der von der Mode- zur Reportage-Fotografie kam.
Manuel Gasser schrieb 1946 im Vorwort zu einem Buch des Schweizer Fotografen Werner Bischof etwas Bemerkenswertes. „Es liegt auf der Hand“, so Gasser, „dass Werner Bischof, wäre er zu einer anderen Zeit, das heißt vor der Erfindung der Photographie, geboren, seine Begabung auf irgend einem anderen Gebiet verwirklicht hätte. Man kann sich leicht vorstellen, dass er Pflanzen und Früchte zart und sorgfältig mit dem Silberstift auf reinliches Papier zeichnet oder dass er Tierbilder nach Art der antiken Gemmenschneider in Stein gräbt.“
Werner Bischof, Selbstporträt, Zürich 1940.
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos
Diese Sätze sind so bemerkenswert, weil sie schon vor 70 Jahren das Wesen der fotografischen Kunst von Werner Bischof einfangen haben, die Zartheit und die Sorgfalt, mit der dieser bedeutende Schweizer Bildautor die Welt in Fotografien zu gießen verstanden hat. Doch Bischof war kein Gemmenschneider. Er war, auch wenn er als Zeichner viel konnte, durch und durch Fotograf. Er war einer, der mit Licht und Schatten zeichnete, dabei auf der Suche war nach Zartheit und Poesie, der aber wusste, dass das nicht alles war. Verwüstung, Brutalität, Krieg – auch das hat Bischof fotografiert.
Werner Bischof hatte nur wenige Jahrzehnte, um sein Werk zu vollenden. In diesem Jahr wäre er hundert Jahre alt. Doch er wurde nur 38 und starb auf einer Reise bei einem Autounfall in den peruanischen Anden. Als James Dean der Fotografie hat man ihn beschrieben – und ja, da ist etwas dran: verletzlich, attraktiv, melancholisch blickt er den Betrachter an. Auf diesen Selbstporträts in Schwarzweiß.
Bischofs Werk ist – gerade in der Schweiz – legendär. Hier steht er gleich hinter seinem Landsmann Robert Frank. Auch in Deutschland kennt man den Magnum-Fotografen, der seit 1949 für die berühmteste Fotografenagentur der Welt gearbeitet hat. Doch ist er hier nur einer von vielen. Jetzt ist pünktlich zum Jubiläum ein Buch mit dem Titel „Werner Bischof: Standpunkt“ bei Scheidegger & Spiess erschienen, dass viel dafür tut, ihn neu zu entdecken.
Es finden sich alle seine wichtigen Reportagen in dem Buch. Die Bilder aus dem indischen Bundesstaat Bihar von 1951 und 1952, welche den Hunger zeigen, der sich entstellend in die Physiognomien und Körper der Menschen einfressen hat. Doch nicht nur die Fotografien präsentiert uns dieses Buch: auch Notizen, Briefe, Zeilen, mit der Schreibmaschine geschrieben – den Bildern zugeordnet. Diese Texte musikalisieren die Bilder, schallen im Gedächtnis nach, zerren den Fotografen noch deutlicher aus der Deckung: Das habe ICH erlebt! Das ist die Wahrheit!
Die Tagebucheinträge Bischofs, Liebesbriefe auch, Korrespondenz mit anderen Magnum-Fotografen oder seinem besten Freund Ernst Scheidegger, sind – man darf es so schreiben – spektakulär. Es gibt manche Fotografen, deren Werk eng mit Texten verzahnt ist – denken wir etwa an Duane Michals. Hier, bei Bischof, sind die Texte zwar nicht direkter Teil des bildnerischen Werkes, doch poetisieren sie die Fotografien eindrucksvoll.
Werner Bischof, Genua, Italien, Oktober/November 1946.
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos
Die Bilder aus den USA, 1953 und 1954 in Farbe entstanden, sind der visuelle Schlussakkord. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Bischof nicht mehr an die Fotografie als Reportage-Story für Zeitungen und Magazine, wie seine Selbstzeugnisse in dem Buch belegen. Er zweifelte nicht nur daran, zweifelte an der Fotografie, an ihren Limitierungen in ästhetischer und humanistischer Hinsicht. Das war kurz nach dem zweiten Weltkrieg noch anders: Bischof fotografiert das kriegszerstörte Deutschland. Das verwüstete Norditalien.
Bilder des Krieges, die so puristischen Bilder aus dem faszinierenden Kyoto, Fotografien aus dem Mittleren und Fernen Osten, aus Nord- und Südamerika. Das alles sehen wir in einem Buch, das hervorragend gestaltet ist und das neben den vor allem mit der Rolleiflex entstandenen Fotografien auch viele bisher unveröffentlichte Kontaktbögen zeigt, die mit ihren Anzeichnungen der Bildausschnitte viel über den Bildgestalter Bischof verraten. Darüber hinaus finden wir auch viele Zeichnungen Bischofs, die an die ganz jungen Jahre nach der Ausbildung an der noch vom Bauhaus geprägten Fotoklasse der Kunstgewerbeschule in Zürich erinnern. An die Zeit, als Bischof nach Paris ging, um Maler zu werden. Das Zeichnen wird er sein ganzes kurzes Leben nicht aufgeben.
Werner Bischof, Kontaktkopien, Japan 1951/52.
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos
Doch wie artikuliert sich Bischofs fotografische Sprache aus? Stets operiert er an den Grenzen. Sein tief empfundener Humanismus, seine politische Sicht, seine Liebe zu den Feinheiten von Licht und Schatten, sein fotografischer Lyrismus, sein Wille, als Dokumentarist ein Zeugnis abzulegen, aber stets auch der unbedingte Wille zum Stil, zur vollendeten Komposition: All das ist Werner Bischof. Wenn Bischof sagt, dass es nicht darauf ankäme, „aus der Fotografie wie im alten Sinne eine Kunst zu machen, sondern auf die tiefe soziale Verantwortung des Fotografen, der mit den gegebenen elementaren fotografischen Mitteln eine Arbeit leistet, die mit anderen Mitteln nicht zu leisten wäre“, dann stimmt diese Aussage. Sie trifft aber nur auf einen Teil seines Werkes zu.
Es ist ein Drama mit diesem Werk, hat der Schweizer Journalist Hugo Loetscher einmal geschrieben. „Der reine Traum im Konflikt der Welt – dieses Drama gibt seinen Bildern die Stärke“. Und dabei ist es das wirklich Grandiose, dass sich die verschiedenen Stränge des Fotografischen bei Werner Bischof zu einem unvergleichlichen Gesamtsound verdichten, wie man gerade auch bei einer Ausstellung im Musée Elysée in Lausanne feststellen konnte. Diese Ausstellung ist inzwischen zu Ende gegangen, doch das neue Buch, das kann man, das sollte man kaufen.
Werner Bischof, USA 1953/54.
© 2016 Werner Bischof / Magnum Photos
Mit seinen letzten Bildern aus den USA schließt sich der Kreis. Jetzt zeigt er Straßen, Highways, Autoschlangen, Strukturelles, Abstrahierendes. Ein Spiel der Formen, wie ganz am Anfang in der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule bei seinem Lehrer Hans Finsler. Die Suche nach Abstraktion, das ist der Anfang und das Ende. Dazwischen ein Werk, das noch einmal zeigt, was Fotografie sein kann. Ein „Standpunkt“, der nicht nur von der Welt draußen erzählt, sondern genauso von dem Fotografen selbst. Von dem, der uns die Augen öffnet.
Werner Bischof
Standpunkt – Das Buch zum 100. Geburtstag:
Leben und Schaffen des legendären Magnum-Fotografen.
1. Auflage, 2016
Gebunden
312 Seiten, 135 farbige und 150 Duplex-Abbildungen
25 x 30 cm
ISBN 978-3-85881-508-8
77 Euro / 79 Schweizer Franken
(Marc Peschke)
Danke
Vielen Dank für diesen schönen Buchtip. Toller Fotograf.