Fotografen aus 186 Ländern haben mit 230.103 Bildern an den Sony World Photography Awards teilgenommen. Letzten Donnerstag wurden die siegreichen Fotografen in London geehrt, gleichzeitig eröffnete die Ausstellung der Siegerbilder sowie ausgewählter Kandidaten der Shortlists. Ich hatte die Gelegenheit, die Ausstellung im Somerset House zu besuchen und an der Gala anlässlich der Verleihung der Awards teilzunehmen. Zurückgekommen bin ich mit tiefen Eindrücken und nachdenklich.
Wenn sich Fotografen aus 186 Ländern an einem Fotowettbewerb beteiligen, darf man wohl zu Recht eine Fülle an Motiven erwarten, die hierzulande unbekannt, „exotisch“ sind. Das Fremde, das Unbekannte gibt es auch heute in Zeiten des weltumspannenden Netzes ja immer noch. Am meisten beeindruckt haben mich in dieser Hinsicht die Arbeiten des Fotografen-Ehepaars RongRong & inri; beide wurden mit dem Preis für „Herausragende Leistungen für die Fotografie“ ausgezeichnet. Dabei haben weder der Chinese RongRong noch die Japanerin inri die Fotografie neu erfunden. Aber ihre Werke sowie ihr Three Shadows Photography Art Centre, das erste Kunstzentrum Chinas vermitteln einen tiefen Einblick darin, dass Kunst in anderen Teilen der Welt eben nicht so frei ist, wie wir es gewohnt sind. Doch nicht nur die Arbeiten von RongRong & inri sind (auch) ein politisches oder gesellschaftliches Statement, ihre Auszeichnung ist es ebenso.
Das Künstlerehepaar RongRong & inri inszeniert sich in ihren Bildern oft auch selbst.
Durchaus gesellschaftskritisch können auch die Portraits der der Opfer von Säureanschlägen verstanden werden, für die der Iranischen Fotografen Asghar Khamseh mit dem „L’Iris d’Or Photographer of the Year“ geehrt wurde. Und sie werden gesellschaftskritisch verstanden: Asghar Khamseh konnte als einziger seine Auszeichnung in London nicht persönlich entgegennehmen, dem Vernehmen nach, weil ihm sein Heimatland die nötigen Ausreisepapiere verweigerte.
Im Somerset House in London sind die Gewinnerbilder noch bis zum 8. Mai zu sehen.
Sicher, so ganz neu ist es nicht, die verstörenden Folgen von Körperstrafen fotografisch zu dokumentieren. So wurde etwa 2010 die südafrikanische Fotografin Jodi Bieber für ihre Aufnahme eines afghanischen Mädchens, dem ihr Ehemann Ohren und Nase abgeschnitten hatte, mit dem „World Press Photos 2010“ ausgezeichnet. Doch müssen gute und bewegende Fotografien stets auch inhaltlich und formal völlig neue Wege beschreiten?
So viel Raum wie den Arbeiten des mit dem „L’Iris d’Or Photographer of the Year“ ausgezeichneten
iranischen Fotografen Asghar Khamseh gibt die Ausstellung leider nicht allen Werken.
Wer bereit ist, sich auf das Fremde, Unbekannte und oftmals auch Verstörende einzulassen, wird die im Rahmen der Sony World Photography Awards 2016 ausgezeichneten Arbeiten nachvollziehen können. Zu sehen sind sie sowie die Fotografien der Kandidaten (zweiter und dritter Platz) in der Online-Galerie der World Photography Organisation. Noch bis zum 8. Mai 2016 werden ausgewählte Arbeiten im Somerset House in London gezeigt, im Sommer wird die Ausstellung dann nach Berlin kommen.
Der Rundgang durch die Ausstellungsräume hat mir vor Augen geführt, vor welch großer Herausforderung die Jury der Awards aber auch die Kuratoren der Ausstellung gestanden sein müssen. Nicht nur, dass es über 200.000 Wettbewerbsfotos zu sichten und zu bewerten galt. Auch mussten ja alleine in 14 Kategorien der jeweils beste professionelle Fotograf gekürt werden. Hinzu kommen 58 Gewinner eines „National Awards“, zehn Auszeichnungen in der Kategorie „Open Competition“ und drei Sieger des „Youth Competition“. Nicht zu vergessen, dass für die meisten Wettbewerbe explizit die Abgabe eine Fotoserie vorgeschrieben war.
Das erfordert von den Kuratoren der Ausstellung, die „Konzentration auf das Wesentliche“. Das aber hat sich für mich als Haken erwiesen. So großzügig die Ausstellungräume im Somerset House auch sein mögen – sie sind nicht groß genug, alle Werke angemessen zu präsentieren. Sony hat die Präsentation der Abzüge zwar mit einer Präsentation auf hochauflösenden Bildschirmen begleitet, für meinen Geschmack jedoch nicht konsequent genug. Gut, dass es also auch einen umfangreichen Katalog zu den Awards gibt, der für 34,99 Britische Pfund direkt bei der World Photography Organisation bezogen werden kann.
Durch die Gala anlässlich der Verleihung der „Sony World Photography Awards 2016“
wehte ein Hauch von Hollywood.
Dennoch ist bei mir die Frage zurückgeblieben: Bemisst sich die Bedeutung eines fraglos wichtigen Fotowettbewerbs auch an der Anzahl der eingereichten und ausgezeichneten Beiträge? Oder könnte in Zukunft nicht weniger mehr bedeuten?
Nächstes Jahr werden die Sony World Photography Awards zum zehnten Mal verliehen werden. Man darf gespannt sein, was sich die Organisatoren für das Jubiläumsjahr einfallen lassen werden.
(Martin Vieten)
Ein Dank an Sony
Klar es geht um Öffentlichkeitsarbeit, aber das könnte man auch anders machen.
Schön, dass sich Sony so ambitioniert um das Bild kümmert.
Erstaunlich finde ich die kleinen Formate der Prints.
OhWeh
Naja
[quote=OhWeh]
Erstaunlich finde ich die kleinen Formate der Prints.
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Es ist ja, leider, eine lächerlich falsche und deshalb nicht ausrottbare Auffassung von Fotografen und Bildbetrachtern (also Leuten, die scheinbar gewohnheitsmäßig nicht so genau und nicht so sehr verständig hingucken), daß mit dem Bildformat auch die Bedeutung des Gezeigten wächst.
Die dabei sogar exponentiell abnehmende Brillanz im Bild wird fröhlich ignoriert. Hauptsache mindestens Kinoplakatausmaße.
Noch immer mit Schaudern erinnere ich jene Ausstellungsbarbaren, die Ende der 1980er-Jahre Man Rays Arbeiten auf Fenstergröße aufblasen zu müssen glaubten. Klar, sonst sind das ja gar keine richtigen Bilder.
Es wäre erfreulich, wenn im vorliegenden Fall so etwas wie Restsachverstand gewaltet hätte, ich befürchte jedoch, es waren lediglich Platzprobleme.
Exotisch?
“…darf man wohl zu Recht eine Fülle an Motiven erwarten, die hierzulande unbekannt, „exotisch“ sind.” Weshalb exotisch Herr Vieten? Die Frage, wann Fotografie Kunst ist, bleibt unverändert aktuell wie schon vor 100 Jahren! Aber was macht ein gutes Foto heute aus? Dies kann man mit gutem Gewissen beantworten: Es trifft uns!