Abbildung: Logo von Affinity PhotoAffinity Photo von Serif schickt sich an, Photoshop das Fürchten zu lehren. Die Software lockt mit ihrem kleinen Preis (zur Einführung nur 39,99 Euro), vielen Funktionen und einem durchdachten Bedienkonzept. Wird die reinrassige Mac-Software damit zum Geheimtipp für Digitalfotografen? Was die Funktionen zur RAW-Entwicklung und Bildbearbeitung in der Praxis taugen, habe ich in den letzten Wochen getestet.

Bildbearbeitungsprogramme gibt es fast wie Sand am Meer. Und doch wagt sich die englische Software-Schmiede Serif daran, mit Affinity Photo eine weitere Bildbearbeitungssoftware auf den Markt zu bringen. Obendrein noch eine, die mit einem Preis von ca. 50 Euro ausgesprochen günstig ist. Der Haken an der Sache: Affinity Photo gibt es nur für den Mac; wer Windows oder Linux verwendet, guckt in die Röhre.

Keine Frage: In Sachen Bildbearbeitung ist Photoshop die Referenz. Doch die aktuelle Photoshop-Version gibt’s nur noch im Abonnement – was nicht jedermanns Sache ist. Gar nicht davon zu reden, dass Photoshop in seinen mehr als 25 Jahren eine Menge Speck angesetzt hat. Da gibt es altertümliche Filterdialoge mit winzigen Vorschaufensterchen (oder gar keiner Vorschaumöglichkeit) sowie eine Vielzahl an Funktionen, die dem Fotografen herzlich egal sein können.

Screen: Affinity Photo - professionelle Funktionen

Affinity Photo bietet eine Reihe professioneller Funktionen.
Etwa den Filter „Lightning“, der Lichtquellen im Bild setzt.

 

Kein Wunder also, dass Foto-Enthusiasten immer wieder nach einer aktuellen, schlanken und dabei durchaus professionell ausgestatteten Bildbearbeitung verlangen. Genau das will Affinity Photo sein. Hersteller Serif vertreibt Affinity Photo als klassische Einzellizenz und verspricht: „Sie kaufen Affinity Photo, und die Software gehört Ihnen – für immer.“ Neue Features und Optionen soll es laut Serif „als kostenlose Updates“ geben, „und das mindestens für die nächsten zwei Jahre“. Das alles für schlanke 49,99 Euro, bis zum 23. Juli 2015 sogar zum Einführungspreis von 39,99 Euro.

Photoshop kostet deutlich mehr, das Foto-Abo der Creative Cloud (Photoshop und Lightroom zusammen) steht derzeit mit 11,89 Euro im Monat in der Preisliste von Adobe. Doch Sparfüchse aufgepasst: Affinity Photo gibt es nur für den Mac. Das dürfte schon einmal die größte Hürde für die Software sein, sich als Photoshop-Killer zu etablieren – Adobe bietet seinen Bildbearbeitungsklassiker schließlich auch für die weitaus weiter verbreitete Windows-Plattform an.

Wer aber einen Mac sein eigen nennt, konnte Affinity Photo bereits seit Februar dieses Jahres ausprobieren. Da hatte Hersteller Serif nämlich zum Beta-Test eingeladen – eine Einladung, der ich gerne gefolgt bin. In der Zwischenzeit hat Affinity Photo allerdings eine Reihe von Funktionen erthalten, die in der Beta-Version noch nicht enthalten waren. Mit Ihnen habe ich mich in den letzten zwei Wochen in der „Release Candidate“ getauften Vorabversion vertraut gemacht. Dabei habe ich mich fast ausschließlich mit Funktionen beschäftigt, die für Fotografen interessant sind.

Oberfläche und Bedienung

Auf den ersten Blick sieht Affinity Photo aus wie ein Klon von Photoshop: Anthrazit-graue Oberfläche, links die Werkzeugleiste, rechts diverse Paletten, etwa für Ebenen, Histogramm und Navigator. Aber das machen heute fast alle Bildbearbeitungsprogramme so, hier hat Photoshop offenbar einen Standard gesetzt. Wer Photoshop kennt, wird sich also auch bei Affinity Photo schnell zurechtfinden. Selbst gängige Tastenkombinationen hat Affinity Photo vom großen Vorbild übernommen, etwa [CMD]+[J] für ein Ebenenduplikat. Zudem ist Affinity Photo beim Ändern der Mal- oder Maskenpinsel ebenso flexibel wie Photoshop – das geht fix per Kurztasten oder auch mit der Maus.

Affinity Photo: Bedienoberfläche

Die Programmoberfläche von Affinity Photo hält sich weitgehend an den Standard,
den Adobe mit Photoshop gesetzt hat.

 

Insgesamt wirkt die Oberfläche von Affinity Photo sehr aufgeräumt. Das liegt auch daran, dass sie in vier „Persona“ genannte Arbeitsbereiche aufgeteilt ist. Für RAW-Entwicklung, Fotobearbeitung, Dateiexport und „Liquify“ (vergleichbar Photoshops Verflüssigen-Filter) gibt es jeweils ein eigenes „Persona“. Natürlich gibt es die Benutzeroberfläche in Deutsch, ebenso sind die knappen Hilfetexte eingedeutscht. Im Test hatte Affinity Photo übrigens keine Probleme, Photoshop-Dokumente zu öffnen; selbst dann nicht, wenn diese aus vielen Ebenen und Smartobjekten bestanden. Bereits die erste Beta-Version vom Februar lief absolut stabil, das ist auch bei der jetzt veröffentlichten Verkaufsversion so geblieben.

RAW-Entwicklung

Lädt man eine RAW-Datei in Affinity Photo, wird diese automatisch im Arbeitsbereich „RAW-Entwicklung“ geöffnet. Der zeigt links diverse Paletten, ähnlich wie in Lightroom; rechts gibt es ein paar Werkzeuge, etwa zum Zoomen, zum Zuschneiden oder für lokale Korrekturen. Der Funktionsumfang des RAW-Konverters ist sehr hoch, kann aber nicht ganz mit der Funktionsfülle von Adobe Camera Raw mithalten. Vor allem fehlt es Affinity Photo an Automatiken, etwa für den Weißabgleich, zur Belichtungskorrektur oder zur Korrektur von Abbildungsfehlern, wie sie Objektive hervorrufen. Vermisst habe ich auch die Möglichkeit, Eingabeprofile der jeweiligen Kamera angeben zu können, also Gammakurven für „Portrait“, „Neutral“ etc. Die Option ist zwar vorgesehen, aber die entsprechende Auswahlliste ist leer.

Affinity Photo: RAW Belichtungsautomatik

Die Belichtungsautomatik im RAW-Arbeitsbereich hat bisweilen eine recht eigenwillige
Vorstellung davon, wie die Tonwerte korrekt abzugleichen sind.

 

Hervorragend gelöst hat Serif dagegen das Handling lokaler Korrekturen im RAW-Modul von Affinity Photo. Mit „Overlay malen“ und „Overlay-Verlauf“ aufgetragene Korrekturen werden wie Ebenen in einer eigenständigen Palette abgelegt, wo sie sich blitzschnell ein- und ausblenden oder editieren lassen. Für lokale Korrekturen stehen fast alle Funktionen parat, die es für das gesamte Bild gibt.

Hat das „RAW-Persona“ von Affinity Photo mit seiner leichthändigen Bedienung und dem durchaus üppigen Funktionsumfang das Zeug, Photoshop (oder in diesem Fall auch Lightroom) ans Leder zu flicken? Stand heute jedenfalls nicht. Denn bei den Ergebnissen bleibt der Novize bisweilen deutlich hinter dem zurück, was die Software von Adobe leistet. Die Automatiken sind rar und produzieren zudem teilweise unbrauchbare Ergebnisse. Kaum brauchbar ist auch die Rauschunterdrückung, wenn sich bei High-ISO-Aufnahmen Farbrauschen wie ein Konfettiregen durchs Bild zieht. Selbst bei maximal aufgezogenen Reglern bleiben die Farbstörungen in Form pastellartiger Wolken bestehen. Gleichzeitig lösen sich sämtliche Konturen in einem diffusen Etwas auf – das wird kein Fotograf akzeptieren wollen.

Bildbearbeitung

Das eigentliche Herz von Affinity Photo ist sicherlich das Persona „Bildbearbeitung“. Auf dem Papier glänzt es mit einer Reihe professioneller Funktionen, die in der Preisklasse von Affinity Photo unüblich sind. Etwa die Möglichkeit zur durchgehenden Bearbeitung im CMYK-Modell. Das allerdings wird Fotografen eher am Rande interessieren. Interessanter ist da schon, dass Affinity Photo Dateien mit 16-Bit Wortbreite klaglos verarbeitet. Und natürlich die Frage danach, welche Funktionen es überhaupt für Fotografen gibt.

Auf den ersten Blick fehlt nichts: Es gibt die üblichen Befehle zur Helligkeits-, Kontrast- und Farbkorrektur; sie lassen sich, wie von Photoshop bekannt, als Einstellungsebenen übers Bild legen, arbeiten also nicht-destruktiv. Das gilt indes nicht für die entsprechenden Automatiken – sie greifen direkt in die Bildebene ein und ändern sie dauerhaft. Das ist auch insofern schade, als die Automatiken etwas forsch zu Werke gehen und nicht immer überzeugen.

Hervorragend ist auf der anderen Seite, dass sich viele (aber nicht alle) Filter in Affinity Photo als Live-Filter anwenden lassen. Sie funktionieren ganz ähnlich wie Einstellungsebenen, ändern eine Bildebene also nicht dauerhaft. Vergleichbar ist das Verfahren mit der Smartfilter-Technik von Photoshop, allerdings mit einem deutlichen Vorteil: Live-Filter funktionieren sofort, bei Photoshop muss man hingegen eine Bildebene zunächst in ein Smartobjekt umwandeln, bevor es Smartfilter gibt.

Die Auswahl an Filtern in Affinity Photo ist üppig, vermisst habe ich kaum etwas. Selbst Spezialitäten wie Bewegungsunschärfe oder Objektivkorrektur hat Affinity Photo an Bord. Besonders angetan hat es mir der Filterbefehl „Frequenztrennung“, der mit wenigen Handgriffen saubere Hautretuschen ermöglicht, ohne dabei den Teint wie von einer Plastikpuppe wirken zu lassen.

Affinity Photo: Filter für Frequenztrennung

Eines der Highlights von Affinity Photo ist sicherlich der Filter „Frequenztrennung“,
der etwa bei der Portraitretusche grobe Hautunreinheiten entfernt, die eigentliche Struktur
des Teints aber nicht antastet.

 

Keine Freude kommt dagegen bei dem Filter „Rauschen entfernen“ auf, er krankt an denselben Problemen wie die entsprechende Funktion im RAW-Modul von Affinity Photo. Hier hilft nur der Rückgriff auf externe Werkzeuge, glücklicherweise arbeitet Affinity Photo mit Photoshop-kompatiblen Plug-Ins zusammen. So lässt sich theoretisch eine brauchbare Rauschreduzierung leicht nachrüsten. In der Praxis verweigerte allerdings Nik Define die Zusammenarbeit mit Affinity Photo, während andere Filter der Nik Collection ihren Job klaglos erledigen.
Keinen Nachrüstbedarf gibt es hingegen bei den Retusche-Werkzeugen in Affinity Photo. Zum einen bietet das Programm einen klassischen Kopierstempel, zum anderen gleich mehrere „Reparieren“-Werkzeuge, die halb- oder vollautomatisch kleinere Störungen wie Sensorflecken oder Pickel aus einer Aufnahme verschwinden lassen.

Affinity Photo: Plug-Ins

Da Affinity mit (den meisten) Photoshop-kompatiblen Plug-Ins zusammenarbeitet (hier Silver Efex Pro 2),
lassen sich vermisste Funktionen oftmals nachrüsten. (Foto: Andy Schulz/M. Vieten)

 

Saubere Auswahlen erstellen geht mit Affinity Photo selbst für Ungeübte leicht von der Hand. Der Auswahlpinsel trennt relativ gut die Spreu vom Weizen, vielleicht nicht ganz so detailliert wie es die Schnellauswahl in Photoshop schafft. Aber es gibt ja noch den Befehl „Auswahl verfeinern“, der eine grobe Auswahl mit wenigen Klicks verbessert. Anders als bei Photoshop funktioniert das jedoch nur für Auswahlen, nicht aber bei Ebenenmasken.

Weitere Funktionen

Für den Dateiexport hält Affinity Photo gleich zwei grundsätzlich verschiedene Hauptfunktionen parat. Zunächst einmal gibt es den klassischen Export-Befehl, ergänzt wird er vom Export-Persona. Letzteres ist vor allem für Webdesigner interessant, die Ihre Werke zum Beispiel slicen möchten. Digitalfotografen werden sich an den klassischen Export-Befehl halten; er glänzt übrigens mit einer Vielzahl an Exportformaten, sogar das PDF-Format findet sich darunter.

Affinity Photo: Export-Befehl

Mithilfe der Exportfunktion von Affinity Photo lassen sich die Bilddateien in einer
Vielzahl an Formaten und in beliebiger Bildgröße sichern.

 

Eher an kreative Bildbearbeiter richtet sich das Liquify-Persona, das ähnliche Funktionen bereitstellt wie der Verflüssigen-Filter in Photoshop. Text lässt sich mit Affinity Photo ebenfalls auf ein Bild aufbringen, zudem kennt das Programm fast so viele Ebeneneffekte wie Photoshop. Auch gibt es einen Zeichenstift sowie ein Werkzeug zum Einfügen vorgegebener Vektorformen.

Fazit: Affinity Photo – doch kein Photoshop-Killer?

Affinity Photo ist ein verblüffend vielseitiges und in weiten Teilen gelungenes Bildbearbeitungsprogramm für den Mac. Dem großen Vorbild Photoshop rückt der Neuling bisweilen eng auf den Pelz, vom Thron stoßen kann er den altehrwürdigen Platzhirsch aber nicht. Obwohl der Funktionsumfang von Affinity Photo bereits beachtlich ist, fehlen dem Programm einige Möglichkeiten, die Photoshop oder teilweise bereits schon Lightroom zu bieten haben. Vermisst habe ich vor allem Funktionen für HDR-Aufnahmen sowie einen Funktion, die Einzelaufnahmen zu einem Panoramabild zusammenfügt.

Ansehen sollten sich die Entwickler von Affinity Photo unbedingt noch einmal die Korrekturautomatiken (sie produzieren teilweise unbrauchbare Ergebnisse, die zudem nicht editierbar sind) sowie den Filter zur Rauschreduzierung, der bei High-ISO-Aufnahmen schlichtweg unbrauchbar ist. Abgesehen von diesen kleineren Kritikpunkten hat mich Affinity Photo überzeugt. Wer mehr Bildbearbeitungsmöglichkeiten braucht, als sie die üblichen RAW-Konverter bieten, dafür aber nicht gleich sein Sparschwein schlachten möchte, bekommt mit Affinity Photo für rund 50 Euro eine durchaus empfehlenswerte Software. Das gilt gerade auch für anspruchsvolle Bildbearbeiter, denen Affinity Photo einen durchgehenden 16-Bit-Workflow sowie Bildbearbeitung im CMYK-Farbmodell bietet. Schade, dass es Affinity Photo nur für den Mac gibt!

(Martin Vieten)