Fotos UrfautAls „Dagherrotypen“ bezeichnet der Fotokünstler Urfaut jene seiner Fotoarbeiten, die dank besonderer Technik das flüchtige Bildschirmbild dauerhaft bewahren. Seine Dagherrotyp-Serie „Urtype“ widmete er dem Männlichen und Weiblichen:

 
 
 
 

Foto Urfaut

 
Auf den ersten Blick scheinen es Bilder aus einer anderen Zeit zu sein: alte Polaroids in schwarzweiß, die an der Wand hängen. Wenn man sich ihnen nähert, springt einem jedoch ins Auge, dass sie steif und harzig sind. Dreht man sie um, entdeckt man auf der Rückseite einen Chip und eine metallische Lasche – tatsächlich handelt es sich um Bildschirme von E-Readern, auf die ein Bild geladen wurde, das unglaublicherweise auf der Oberfläche eingebrannt bleibt, ohne Batterie oder andere elektrische Verbindungen. Sie sind eine Erfindung, eine Herausforderung, ein bisher unbekannter fotografischer Träger, die „digitalen Dagherrotypen“ von Urfaut, die die Galerie foto-forum in Bozen vom 4. bis 22. Februar zeigt.
 

Foto Urfaut

 
„Seit mehr als zehn Jahren“ – erklärt der Künstler – „beschäftige ich mich mit der Recherche über Alchemie und archetypisch kodifizierte Bilder des Tarots. Um die Fotoserie zu realisieren, die ich mir vorstellte, wollte ich aber einen neuen und zum Sinn passenden Träger. Die Arbeit begann vor einem Jahr, als ich las, dass der Kindle Amazon oder jeder andere E-Reader keine Energie verbraucht, während eine Seite gelesen wird: lediglich das Laden einer neuen Seite erfordert Energie.“ Dies erklärt, warum die “Dagherrotypen” von Urfaut ein Bild zeigen, als wären es alte Bilder auf Papier, ohne jegliche Stromzufuhr. Dieses Ziel zu erreichen war allerdings alles andere als einfach.
 

Foto Urfaut

 
Die aktuellen Bildschirme von E-Readern erlauben den Besitzern nicht, eigenhändig Bilder zu laden. Urfaut studierte also die Handbücher, die erklären, wie die elektronischen Bücher funktionieren. Er verfolgte über Monate Blogs im Internet und dank der Hilfe von Ingenieuren, die vom Projekt fasziniert waren, konnte er die passenden Änderungen an der Hardware vornehmen, um fotografische Bilder auf die Bildschirme zu laden. Dieser erste E-Reader, ausgestattet mit Batterie, modifiziertem Motherboard, Prozessorchip und einer Verbindung für die Monitor-Rohlinge (die einzubrennenden “Dagherrotypen“, die “e-paper”) ist seine digitale “Dunkelkammer” geworden, die die eigentlich nur für Bücherseiten programmierten Bildschirme mit Bildern „infiziert“.
 

Foto Urfaut

 
„Was mich am meisten an diesem Projekt fasziniert, ist, dass die Funktionsweise der digitalen Bildschirme der klassischen Fotografie sehr ähnlich ist.“ erklärt Urfaut. Im analogen Zeitalter wurde ein Blatt Papier, das mit Silbersalzen angereichert wurde, in der Dunkelkammer von einer Flut von Photonen getroffen. Das wie ein Filter funktionierende Negativ ließ nur wenige oder keine Photonen für die weißen Bereiche und viele für die schwarzen Bereiche durch, mehr oder weniger intensiv je nach Kristallisation der Salze. „Bei den digitalen Bildschirmen, die aktuell auf dem Markt existieren, haben wir es mit kleinen weißen und schwarzen Kugeln zu tun, eingetaucht in einer zähen Flüssigkeit. Der elektrische Impuls bringt die einen oder anderen an die Oberfläche und schafft auf diese Weise 16 verschiedene Grautöne. Mit meiner Technik erhält das Bild die gleiche Gröbkörnigkeit der analogen Fotografie, die der moderne Digitaldruck verloren hat.“, sagt der „Hacker-Fotograf“.
 

Foto Urfaut

 
Ein ästhetisches Ergebnis, fußend auf einem philosophischen Problem: Alle Betrachtungen zur klassischen Fotografie, von Bergson und Barthes, sprachen vom fotografischen Bild als „eingefrorenem Moment“, der in der Materie fixiert wird. Mit dem Digitalen – argumentiert der Künstler – krempelt sich dies alles um, weil die Visualisierung auf den Computerbildschirmen „heiß“ und von hinten beleuchtet ist. „Und vor allem ist es unstetig, weil wir auf dem selben Bildschirm von einen Augenblick zum anderen jedes Bild sichtbar machen können. Ich habe nichts gegen das Digitale, aber es war eine Brücke zwischen den beiden Sprachen nötig, etwas, das die Kommunikation zwischen den beiden Zeitaltern garantierte. Ansonsten riskiert man, dass auch die philosophische Auseinandersetzung verloren geht.“
 

Foto Urfaut

 
Der „digitale Dagherrotyp“ bildet diese Brücke. „Der schwierigste Teil, für den ich fünf Monate in meinem Zimmer eingesperrt blieb, war die Vollendung der Visualisierung. Im ersten Moment erschienen die Bilder zwar auf den Bildschirmen, aber die Qualität war katastrophal. Alle Tricks herauszufinden, die kleinen Modifikationen, die die Qualität des Bildes erhöhten, war die härteste Sache.“ erzählt Urfaut. „Um der neuen digitalen Ära eine Brücke zur Vergangenheit zu schenken, hat es sich aber gelohnt. Genauso lohnt es sich, auf semantischer Ebene mit den 22 Fotos der Serie zu spielen, die in Bozen ausgestellt sind, um die Unterschiede hinsichtlich der Geheimnisse, mit denen sie kommunizieren, zu erfassen. Die Grundthese ist die Schwächung des Maskulinen und das Erstarken des Femininen. Aber hier wird der Diskurs lang …“

(Davide Pyriochos)
 
 
Siehe auch:
Urfaut
La ricerca di Urfaut

Galerie foto-forum
Weggenstein-Straße 3f
I-39100 Bozen