Es gibt nur ganz wenige Fotografen, bei denen sich Foto-Praktiker und Foto-Künstler auf ein einhelliges Urteil einigen können. Karl Blossfeldt (1865-1932) ist einer davon:
Die Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek der Moderne in München konnte kürzlich ein Konvolut von 75 Originalfotografien aus dem Werk des Berliner Fotografen und Lehrers Karl Blossfeldt (1865-1932) erwerben. Die Arbeiten sind noch bis Ende Oktober 2012 zu sehen.
Die Pinakothek der Moderne dazu:
Karl Blossfeldts fotografische Arbeiten zählen heute zu den Inkunabeln der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts. Seit den 1890er Jahren bis zu seinem Tod 1932 schuf Blossfeldt ein ebenso umfangreiches wie einzigartiges Werk von Pflanzenaufnahmen, das in Stil und künstlerischer Auffassung die moderne Fotokunst vorbereitete.
Karl Blossfeldt wurde 1865 in Schielo im Harz geboren und erhielt eine Ausbildung zum Kunstgießer, an die sich das Studium der Bildhauerei an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Berlin anschloss. Hier begegnete er dem Künstler und Reformer Moritz Meurer, dessen Einfluss für sein weiteres Werk von zentraler Bedeutung wurde. Meurer forderte die Aufnahme eines wissenschaftlich fundierten Naturkundestudiums in das Curriculum deutscher Kunsthochschulen und entwickelte hierfür einen spezifischen Ausbildungsplan. Im Zentrum der Meurerschen Reformen stand dabei die Vorstellung, dass alle künstlerischen Formen Analogien zu natürlichen aufweisen. Durch das genaue Studium von Naturobjekten, vorzugsweise Pflanzen, sollten die Studenten deren Gesetzmäßigkeiten erlernen, die wiederum in die künstlerische Formgestaltung übertragbar sind. Auf Meurers Empfehlung hin wurde das Pflanzenstudium integraler Bestandteil der künstlerischen Ausbildung um die Jahrhundertwende. 1898 konnte er seinen Assistenten Karl Blossfeldt an die Berliner Unterrichtsanstalt vermitteln, wo dieser bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1930 lehrte.
Delphinium, Rittersporn, vor 1926
In 6facher Vergrößerung, 29,7 x 23,8 cm
Pinakothek der Moderne, München
2011 erworben mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kulturstiftung aus der Sammlung Ann und Jürgen Wilde
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst
Eryngium maritimum, Stranddistel
In 4facher Vergrößerung, 29,5 x 23,7 cm
Pinakothek der Moderne, München
2011 erworben mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kulturstiftung aus der Sammlung Ann und Jürgen Wilde
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst
Um für sein Unterrichtsfach „Modellieren nach lebenden Pflanzen“ entsprechendes Anschauungsmaterial zur Verfügung stellen zu können, benutzte Blossfeldt nicht nur lebende und getrocknete Pflanzen, sondern vor allem deren fotografische Reproduktion. Für seine Ansichten entwickelte er dabei einen eigenen, immer gleichbleibenden Modus: Er isolierte ein Pflanzendetail vor neutralem Hintergrund und vergrößerte die Aufnahme mehrmals, um Bauplan und Formenvielfalt zu verdeutlichen. 1926 stellte Blossfeldt seine fotografischen Arbeiten erstmals einer breiteren Öffentlichkeit in der renommierten Galerie Nierendorf vor, 1928 folgte die Publikation seines als bahnbrechend zu bezeichnenden Bildbandes Urformen der Kunst, der in mehreren Sprachen und Auflagen erschien.
Die moderne Fotografie der 1920er Jahre erkannte das radikal Neue an Blossfeldts fotografischen Aufnahmen und kürte ihn zu einem ihrer Ahnherren. Sein sachlich- dokumentarischer Stil, die ungewöhnliche Aufnahmetechnik, die Wahl von alltäglichen Motiven sowie Blossfeldts wissenschaftlich anmutendes, konzeptuelles Vorgehen entsprachen einer Vorstellung von Fotografie, die gerade aus den dem Medium immanenten und nicht bei Malerei oder Grafik entliehenen Ausdrucksmöglichkeiten ihr künstlerisches Selbstverständnis entwickelte. Aber auch avantgardistische Künstler wie László Moholy-Nagy, namhafte Kunstkritiker wie Franz Roh oder zeitgenössische Philosophen wie Walter Benjamin würdigten Blossfeldts Werk in Ausstellungen und Rezensionen, eine Wertschätzung, die sich bis zu Bernd und Hilla Becher fortschrieb, die sich explizit auf Blossfeldt beriefen.
Papaver orientale, Orientalischer Mohn
In 8facher Vergrößerung, 29,7 x 24 cm
Pinakothek der Moderne, München
2010 erworben aus der Sammlung Ann und Jürgen Wilde
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst
Hordeum distichum, Pfauen- oder Reisgerste, vor 1929
In 4facher Vergrößerung, 29,7 x 23,8 cm
Pinakothek der Moderne, München
2010 erworben aus der Sammlung Ann und Jürgen Wilde
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst
Nach heutigem Kenntnisstand existieren nur zwei umfangreichere Sammlungen, zum einen im von Ann und Jürgen Wilde begründeten Karl Blossfeldt-Archiv, das seit 2010 Teil der in München ansässigen Stiftung Ann und Jürgen Wilde an der Pinakothek der Moderne ist, sowie in der Berliner Universität der Künste, an deren Vorgängerinstitution Blossfeldt gelehrt hatte.
Mit dem Erwerb von 75 exquisiten Originalaufnahmen aus der Sammlung Ann und Jürgen Wilde erhält die Sammlung Moderne Kunst ein zugleich qualitativ herausragendes wie einmaliges Konvolut, das ein Konzentrat des Blossfeldtschen Schaffens darstellt. Erweitert durch das Karl-Blossfeldt-Archiv, das neben weiteren Originalabzügen auch die Glasnegative, Kontaktabzüge und vielfältige Archivalien zu Leben und Werk umfasst, ist so eines der bedeutendsten Fotografen-Archive des 20. Jahrhunderts in München vereint.
Verantwortliche Kuratorin:
Dr. Inka Graeve Ingelmann
Leiterin der Sammlung Fotografie und Neue Medien
Ausstellung:
Karl Blossfeldt und die Sprache der Pflanzen
Bis zum 21.10.2012 in Saal 11
Pinakothek der Moderne | Sammlung Moderne Kunst
Barer Straße 29
80799 München
Publikation:
Die Monografie „Karl Blossfeldt. Fotografien“ erscheint in der Reihe Patrimonia, herausgegeben von der Kulturstiftung der Länder in Zusammenarbeit mit den Bayerischen Staatgemäldesammlungen.
108 Seiten mit 35 ganzseitigen Abbildungen, Texten von Georges Bataille und Walter Benjamin sowie einer Einführung von Inka Graeve Ingelmann
Erscheinungsdatum Ende September 2012
19 Euro
(thoMas)
Ich bin teilweise beeindruckt
Inkunabel und Schielo hatte ich bisher gar nicht im Vokabular, wieder was gelernt.
Die Diktion der Depesche negierend, gleichwohl dem Wesen des Werkschaffenden wohlgesonnen, sei angemerkt: Hammer Alter. Geile Bilder, aber ein Scheißtext.
Ist ja gut
[quote=Gast]Inkunabel und Schielo hatte ich bisher gar nicht im Vokabular, wieder was gelernt.
Die Diktion der Depesche negierend, gleichwohl dem Wesen des Werkschaffenden wohlgesonnen, sei angemerkt: Hammer Alter. Geile Bilder, aber ein Scheißtext.[/quote]
Na, nun regen Sie sich mal nicht so auf. Kann ja nicht jeder Text im SMS-Twitter-Stil gehalten sein.
Erstmal finde ich den Text eigentlich recht informativ und gar nicht so verstiegen und arabesk-mäandrierend wie so manche andere Kunst-beschreibende Fremdwort-und-Neologismen-Ergüsse, die sprachlich oft tatsächlich nur Amüsement entlocken. Und zweitens ist “wieder was gelernt” ja nicht das Übelste, oder?
Ich aber (war gestern spät im Cafe)
lege jetzt zunächst als integralem und inkunablem Bestandteil des alltäglichen Morgens ein Geschmacks-Konvolut von Pflanzenteilen in die Technik, um ein Konzentrat herzustellen. Vermutlich entspricht dieses bahnbrechend konzeptuelle Vorgehen irgendeiner Vorstellung von Moderne.
War’s wirklich ein Café
oder vielleicht nicht doch eher ein Coffee-Shop?