Foto Bert Jäger, Freiburg, 1952Als Gebrauchsgrafiker hat er das „Flammenkreuz“ der Caritas entworfen. Aber Bert Jäger war vielseitiger, war Grafiker, Maler, Fotograf. Eine Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum Singen würdigt jetzt den Fotografen:

 
 
 

Foto Bert Jäger, Freiburg, 1952

Bert Jäger, Freiburg, 1952
SW-Fotografie, Handabzug auf Barytpapier, 23,4 x 22,9 cm

 
Information des Städtischen Kunstmuseums Singen:

BERT JÄGER (1919-1998) – FOTOGRAFIE

22. Juli – 16. September 2012

Ein Zeichen, das der Gebrauchsgrafiker Bert Jäger entworfen hat, kennt jeder: das „Flammenkreuz“ der Caritas. Als Maler informeller Bilder, deren expressive Wucht heute noch beeindruckt, hat er einen festen Platz in der Kunstgeschichte des deutschen Südwestens. Als Fotograf subjektiver Reisebilder aber, der uns die Menschen in den Städten und Dörfern Italiens und Frankreichs in den 1950er Jahren zeigt, ist Bert Jäger eine Entdeckung! In Zusammenarbeit mit Dieter Weber, der den Nachlass bearbeitet, zeigt das Städtische Kunstmuseum Singen erstmals eine groß angelegte Übersichtsausstellung der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografien Bert Jägers.

Von einem Künstler, „der in seiner Bedeutung wohl noch gar nicht richtig gewürdigt ist“ und von dem es „noch einiges zu entdecken“ gibt, hat der Kritiker Michael Hübl geschrieben. Die Ausstellung über den Fotografen Bert Jäger im Städtischen Kunstmuseum Singen möchte dazu einen Beitrag leisten. Über 100 Aufnahmen, ausgewählt aus den rund 3000 Negativen im Nachlass, werden in der Ausstellung gezeigt.

Jägers freies fotografisches Oeuvre entstand auf Reisen, die der Künstler zum Teil frei, zum Teil im Auftrag kirchlicher Hilfsorganisationen in den 1950er und –60er Jahren unternahm. Was ihn vor Ort interessierte, das waren zuerst die Menschen, denen er sich mit seiner Kamera voller Neugier und Interesse, das ihm Fremde mit Empathie erforschend, zuwandte. Seine alltäglichen Motive fand der Künstler in den Dörfern Liguriens und Apuliens, auf den Straßen, Plätzen und Märkten in Rom und Neapel, in den Gärten, Cafés und Hinterhöfen von Dijon und Paris, aber auch in den Kinder-, Waisen-, Versehrten- und Pflegeheimen der Caritas, für die er immer wieder dokumentierend tätig war.
 

Foto Bert Jäger, Potenza, 1954

Bert Jäger, Potenza, 1954
SW-Fotografie, Handabzug auf Barytpapier 23,4 x 22,9 cm
 
 
Foto Bert Jäger, Freiburg, 1952

Bert Jäger, Freiburg, 1952
SW-Fotografie, Handabzug auf Barytpapier 23,4 x 22,9 cm

 
Die bekannten Sehenswürdigkeiten beiseite lassend, wandte sich Bert Jäger nahezu ausschließlich einzelnen Passanten und kleinen Gruppen zu. Besonders eindrücklich sind seine Fotografien von Kindern und Jugendlichen, deren Staunen und Spiel, Freude und Leid er zu beobachten nie müde wird. Die Vielfalt der Themen aus heutiger Sicht, wie: der Wandel der Arbeit, Kleidung und Feste, die vollkommene Transformation der Landschaft, Felder und des städtischen Raums, die Entdeckung des Individuums in der Menge, die Trennung von Armut und Reichtum, körperlicher Unversehrtheit und seelischem Leid nach dem Kriege, machen Jägers Fotografien zu eindrücklichen historischen Dokumenten. In seinen atmosphärisch dichten Arbeiten begegnet der Besucher einer noch erinnerten, längst aber versunkenen und verschwundenen Zeit und Welt.

Zugleich aber sind diese Aufnahmen, die 2004 im Nachlass wieder aufgefunden und in der Ausstellung, ausgehend von 6 x 6-Negativen, in neuen, quadratischen 23,4 x 22,9-Handabzügen auf Barythpapier präsentiert werden, eindrückliche Beispiele der Auseinandersetzung eines Künstlers aus dem deutschen Südwesten mit der US-amerikanischen Street Photography, den großen, klassischen Vertretern der Magnum-Reportage- und Reisefotografie und der zeitgleichen subjektiven Fotografie in Deutschland. Jäger diente die Fotografie ganz offensichtlich nicht nur als Medium der persönlichen Erinnerung und Geschichtsschreibung. In diesen scheinbar zufälligen Aufnahmen, die sprichwörtlich den Zauber des Augenblicks im richtigen Moment erfassen, lässt sich eben auch ein gestalterisches Interesse am autonomen Bild erkennen, das – wie die Malerei – ästhetischen Gesetzen unterliegt. Ausgewogene Komposition innerhalb des quadratischen Formats und differenzierter Kontrast, Fokussierung auf ein zentrales Motiv, die Wahl zufällig wirkender Bildanschnitte, die Anordnung der Bildgegenstände auf unterschiedlichen Bildebenen und die genaue Erfassung der stofflichen Struktur sind für den Fotografen Bert Jäger selbstverständlich eingesetzte Mittel.

Zur Biografie:

Bert Jäger, geboren 1919 in Karlsruhe, studierte von 1934 bis 1939 an der Karlsruher Kunstakademie, u.a. bei Hermann Goebel, wo er wiederholt in Konflikt mit den nationalsozialistisch geprägten Lehrinhalten geriet. Als Soldat ab 1939 an der Ostfront eingesetzt, erlitt er 1942 einen Beinschuss. Dieses Kriegsleiden, das zu lebenslangen Behinderungen, Schmerzen und Operationen führte, prägte, zusammen mit den Erfahrungen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft (1944-49), Jägers „präzisen, sensiblen Blick auf den Alltag“ (Dieter Weber). In Freiburg wandte sich Jäger nach kühl-geometrischen Anfängen einer expressiven, farbstarken Malerei zu, wurde Mitglied in mehreren Künstlergruppen und engagierte er sich kulturpolitisch. 1970 bis 1987 gab er die Malerei auf und arbeitete frei als Autor und Fotograf. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Gebrauchsgrafiker. 1987 beginnt der Künstler wieder zu malen, schafft sich in Ligurien und, ab 1990, im E-Werk, Hallen für Kunst, Freiburg, je ein Atelier. 1994 wird ihm der erste Maria-Ensle-Preis der Kunststiftung Baden-Württemberg verliehen. Im Mai 1998 ist Bert Jäger in Freiburg verstorben.

Zur Publikation:

Zur Ausstellung erschien im modo-Verlag Freiburg eine Publikation, die sich erstmals ausschließlich auf die Fotoarbeiten konzentriert. „Wer das Buch auch nur zur Hand nimmt, ist schon verloren – gefangen“, schrieb die Badische Zeitung in ihrer Buchkritik:

Bert Jäger – Fotografie. Hg. vom Städtischen Kunstmuseum Singen und Dieter Weber. Mit einem Text von Julia Galandi-Pascual. Freiburg 2011, 112 S., 53 Abb., EUR 28,–.
 
 
Ausstellung:
Bert Jäger – Fotografie
22. Juli – 16. September 2012

Städtisches Kunstmuseum Singen
Ekkehardstr. 10
D-78224 Singen (Hohentwiel)

Künstler:
Bert Jäger
 

Foto Bert Jäger, Anzio, 1954

Bert Jäger, Anzio, 1954
SW-Fotografie, Handabzug auf Barytpapier

 
(thoMas)