Foto Shepherd & Robertson, Goldschmied, 1862-63Indien. Im Dienste von Wissenschaft und Kolonialismus sollten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Land und seine Bewohner durch Beobachten und Inventarisieren, Zergliedern und Vermessen durchdrungen werden:

 
 
 

Foto Albert Thomas Watson Penn, Toda-Frau, 1870-80

Albert Thomas Watson Penn, Toda-Frau, 1870-80
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

Pressemitteilung des Berliner Museums für Fotografie:

Das Koloniale Auge – Frühe Porträtfotografie in Indien ist eine gemeinsame Ausstellung der Kunstbibliothek, des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin, im Museum für Fotografie, vom 20.7.2012 bis zum 21.10.2012.

Erstmals wird einer der an Umfang und Qualität weltweit bedeutendsten Bestände historischer Porträtfotografie Indiens in einer Ausstellung präsentiert. Die Sammlung aus dem Ethnologischen Museum galt ursprünglich als Kriegsverlust und gelangte in großen Teilen erst in den 1990er Jahren wieder zurück nach Berlin. Rund 300 Fotografien und 10 Bücher sind auf ca. 650 qm Ausstellungsfläche zu sehen. Die Ausstellung bietet einen umfassenden Überblick zur Porträtfotografie des indischen Subkontinents aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
 

Foto John Burke, Mann mit Jagdtrophäen, um 1880

John Burke, Mann mit Jagdtrophäen, um 1880
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

 
Neben Bildern namhafter Fotografen und Studios wie Samuel Bourne, Shepherd & Robertson, A.T.W. Penn und John Burke sind auch Arbeiten kaum bekannter Autoren zu sehen. Die in jener Zeit populäre und ungeahnt facettenreiche ethnografische Fotografie wird kontrastiert mit genrehaften Straßenaufnahmen von Handwerkern und mit Adelsporträts islamischer Fürsten und Prinzessinnen, Maharajas und Clan-Chefs, die sich im eigenen Palast oder im Studio kunstvoll in Szene setzen ließen.

Ein verbindender Aspekt der meisten frühen Porträts in Indien ist der spezifisch europäische Blick – „Das Koloniale Auge“. Im „Dienste“ von Wissenschaft und Kolonialismus sollte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Land und seine Bewohner inventarisiert, zergliedert und vermessen werden. Die Faszination galt gleichermaßen den Ureinwohnern, dem Kastensystem, dem Prunk des Adels und dem enthaltsamen Leben der Asketen.

Mit den Worten des berühmten Fotografen Samuel Bourne lassen sich die historischen Verflechtungen von Ethnologie und Fotografie im Zeitalter des Kolonialismus erahnen: „Seit den ersten Tagen der Kalotypie setzte der eigenartige Dreifuß mit seiner geheimnisvollen Kammer und seinem Messingmund die Einwohner dieses Landes davon in Kenntnis, daß ihre Eroberer auch andere Instrumente als die prächtigen Kanonen ihrer Artillerie erfunden haben, Instrumente, deren Erscheinungsbild vielleicht nicht minder verdächtig anmutete, die ihr Ziel jedoch mit weniger Lärm und Rauch erreichten.“
 

Foto A.W.A. Platé & Co, Shakuntala-Schauspieler, um 1900

A.W.A. Platé & Co, Shakuntala-Schauspieler, um 1900
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum
 
 
Foto Westfield & Co, Fakire, 1870-80

Westfield & Co, Fakire, 1870-80
Carte de Visite
© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

 
Die umfangreichen fotografischen Bestände des Ethnologischen Museums Berlin reichen bis weit in die zweite Hälfe des 19. Jahrhunderts zurück, eine Zeit, in der eine Kamera noch einen ähnlichen Schrecken verbreiten konnte wie ein Gewehr. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Thema durch die Ausstellung.

Schon ab den 1850er Jahren wurden von Forschungsreisenden und Sammlern Fotografien aus allen Regionen der Welt zusammengetragen, um einen möglichst umfassenden Überblick über die fremden Kulturen zu geben. Viele der Aufnahmen zeigen gestellte Porträts von Gruppen oder Einzelpersonen, deren Körperhaltung aufgrund der damals noch langen Belichtungszeiten fast erstarrt wirkt. Zahlreiche Bildmotive geben Auskunft über den kolonialen Zusammenhang von Ethnologie und Fotografie. Fotografien von der großen Hungersnot Südindiens aus den Jahren 1877/1878 oder von nackten Ureinwohnern sind extreme Zeugnisse des Selbstverständnisses weißer Kolonialherren. Sie sind fotografische Dokumente, die der britischen Kolonialmacht zur Rechtfertigung des Eindringens in die fremde Kultur dienten und die vermeintlich zivilisatorischen Errungenschaften festhielten.

Darüber hinaus befinden sich in der Sammlung meisterhafte Vintage-Abzüge von hinduistischen Maharajas und Clan-Chefs, islamischen Fürsten und Prinzessinnen, die die Porträtierten auch zur Selbstdarstellung verwendeten. Das Interesse der britischen Kolonialherren für das Kastenwesen spiegelt sich ebenfalls in der Sammlung wider. So gleichen die zahlreichen Porträts von Brahmanen, Kriegern, Handwerkern, Bauern, Dienern und von so genannten „Unberührbaren“ einer fotografischen Inventarisierung des Kastenwesens. Eine ähnlich systematische Herangehensweise zeigt sich bei den Porträts der Ureinwohner, den Adivasi. Die ethnische Vielfalt Südasiens spiegelt sich in den Fotografien, die sich von den im Himalaya lebenden Leptscha und Bhutia über die in Zentralindien lebenden Bhil, die verschiedenen Stämme Südindiens, die Vedda auf Sri Lanka und die Bewohner der Andamanen-Inseln erstreckt.

Die singhalesischen Porträtaufnahmen sind in Umfang und Qualität den indischen Porträts ebenbürtig und bilden aufgrund ihrer einheitlich wirkenden Inszenierung einen reizvollen Kontrast zu den indischen Porträts. Als fotografische Besonderheit zeigt die Ausstellung Penns Fotografien von Jagdtrophäen aus den Nilgiri-Bergen Südindiens.
 

Fotograf unbekannt, Jüdische Familie aus Cochin, Malabar, um 1880

Fotograf unbekannt, Jüdische Familie aus Cochin, Malabar, um 1880
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum
 
 
Foto Shepherd & Robertson, Goldschmied, 1862-63

Shepherd & Robertson, Goldschmied, 1862-63
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

 
Ausstellung:
Das Koloniale Auge – Frühe Porträtfotografie in Indien
20.7.2012 bis zum 21.10.2012

Öffnungszeiten der Ausstellung: Di – So 10 –18 Uhr, Do 10 – 22 Uhr

Museum für Fotografie
Jebensstr. 2
10623 Berlin-Charlottenburg

Katalog:
Koehler & Amelang, Seemann Henschel GmbH & Co. KG
Das Koloniale Auge. Frühe Porträtfotografie in Indien / The Colonial Eye. Early Portrait Photography in India
Ludger Derenthal / Raffael Dedo Gadebusch / Katrin Specht (Hg.)
208 Seiten, 200 farbige Abbildungen, Hardcover, 25 x 31 cm
ISBN 978-3-7338-0387-2 (dt.); ISBN 978-3-7338-0389-6 (engl.)
Preis: € 39,90
 

Foto Bourne & Shepherd, Shah Jahan, Begum von Bhopal, 1877

Bourne & Shepherd, Shah Jahan, Begum von Bhopal, 1877
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© Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum

 
(thoMas)