Die 1920er Jahre im Speziellen, das kann man im Nachhinein leicht wissen, waren aufbrechend und stilprägend für ein ganzes Jahrhundert. Dieser prägenden Formensprache, und den Künstlern des Konstruktivismus, der Neuen Sachlichkeit und des Neuen Sehens, kann man jetzt in Essen nachspüren, in der Ausstellung „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“:
Pressemitteilung des Museums Folkwang:
„Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“
Fotografie, Grafik und Plakat der zwanziger Jahre
Drei neue Ausstellungen der Sammlung Fotografie, Grafik und Deutsches Plakat Museum
vom 28. April 2012 bis 5. August 2012
Neue technische Möglichkeiten und neue ästhetische Theorien führten in den 1920er Jahren international zu einem ganzen Spektrum neuer Stilrichtungen. Fotografie, Film und illustrierte Zeitschriften faszinierten die Avantgardisten und inspirierten sie zu Experimenten und Erkundungen. Die Künstler der Neuen Sachlichkeit grenzten sich bewusst vom Expressionismus ab, sie wollten die optische Erscheinung der Dinge wiedergeben. In diesem Jahrzehnt erreichte auch der Konstruktivismus seine volle Blüte. Unter dem gemeinsamen Titel „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“, widmen sich die Fotografische Sammlung, die Grafische Sammlung und das Deutsche Plakat Museum in drei Ausstellungen dieser innovativen und produktiven Kunstepoche.

Annelise Kretschmer, Arbeiterdichter Karl Höller, vor 1931
Bromsilbergelatine
© Christiane von Königslöw, Dortmund
Aenne Biermann, Drei Eier, 1928
Bromsilbergelatine
© Museum Folkwang, Essen 2012
Evžen Markalous, Fotocollage, 1928
Bromsilbergelatine, Buch- und Tiefdruck, Klebemontage
© Museum Folkwang, Essen
Mit rund 150 Bildern und Zeitschriften macht die Fotografische Sammlung das „Neue Sehen“ in der Fotografie anschaulich. Die spezifischen Darstellungsweisen dieser Zeit, wie die der extremen Perspektive, der Montage und der Fotogramme sind in Werken international renommierter Fotografen wie László Moholy-Nagy, Man Ray, Albert Renger-Patzsch, Edward Weston oder Walter Peterhans zu finden. In einem eigenen Bereich wird dem Schaffen der Fotografinnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die in dieser Dekade neue Tätigkeitsbereiche eroberten. Arbeiten von Aenne Biermann, Florence Henri, Germaine Krull oder Annelise Kretschmer zeugen von der künstlerischen Produktivität dieser Jahre.

Alexander Kanoldt, Subiaco, 1924
Lithografie
© Museum Folkwang, 2012
El Lissitzky, Neuer. Aus der Mappe: Sieg über die Sonne, 1923
Farblithografie
© Museum Folkwang, 2012
Ernst Ludwig Kirchner, Selbstbildnis (Melancholie der Berge), 1929
Holzschnitt
© Museum Folkwang, 2012
Die Grafische Sammlung präsentiert etwa achtzig Exponate, darunter Werke von Max Burchartz, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner und Alexander Kanoldt. Thematische Schwerpunkte sind neben Porträt- und Landschaftsdarstellungen vor allem konstruktivistische Arbeiten. Einen Höhepunkt der Ausstellung bildet die Folge Sieg über die Sonne mit zehn Farblithografien El Lissitzkys aus dem Jahr 1923, die vor einigen Jahren für das Museum Folkwang zurückerworben werden konnte, nachdem sie 1937 als „entartet“ beschlagnahmt und verkauft worden war.

Jupp Metropol Kabarett Käthe u. Nicki, um 1920
Deutschland (Deutsches Reich), Berlin Dinse & Eckart, Berlin
Farblithografie
© Deutsches Plakat Museum im Museum Folkwang, 2012
Das Deutsche Plakat Museum zeigt in drei Bereichen rund siebzig Arbeiten, die die Entwicklungen des Plakats in den 1920er Jahren widerspiegeln. Der Expressionismus brach kurzfristig in die Plakatgestaltung ein, so in das neue Genre des politischen Plakats des Films und des Tanzes.
Daneben blieb eine dekorative Linie erhalten, die sich zwischen Jugendstil und Art déco bewegte, wie Arbeiten von Walter Schnackenberg zeigen. Eine dritte große Entwicklungslinie ist die von Bauhaus-Ideen beeinflusste Neue Typographie wie sie in Arbeiten von Jan Tschichold zum Ausdruck kommt.

B. Namir (Boris Steinmann), Emil und die Detektive, 1931
Deutschland (Deutsches Reich) August Scherl, Berlin Offset
© Deutsches Plakat Museum im Museum Folkwang, 2012
Ausstellung:
„Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“
Fotografie, Grafik und Plakat der zwanziger Jahre
Drei neue Ausstellungen der Sammlung Fotografie, Grafik und Deutsches Plakat Museum
28. April 2012 bis 5. August 2012
Folkwang Museum
Museumsplatz 1
45128 Essen
Öffnungszeiten: Di So 10 18 Uhr, Fr 10 22:30 Uhr, montags geschlossen
Katalog:
Edition / Folkwang Steidl
Schuber 28 Euro
Einzelkataloge je 10 Euro nur im Museum
(thoMas)
Leider werden unter der Kunstrichtung “Neue Sachlichkeit” auch
eine Reihe Künstler subsumiert, die zur Zeit des NS-Regimes glühende Verehrer desselben waren. Wie z.B. Franz Radziwill, der nach Verherrlichung des NS-Regimes den Lehrstuhl Paul Klees in Düsseldorf “übernahm”. Für seine hervorragenden Bettelbriefe an Nazigrößen erhielt er den Spitznamen “Naziwill”. Später wurde allerdings auch gegen ihn durch die Nazis ein Berufsverbot, verhängt, was ihn aber nicht davon abbrachte, den Nazis zuzustimmen, ganz im Gegenteil.
Erst nach dem Krieg übermalte Radziwill einige seiner Bilder, die offen die Nazis glorifizierten. Und noch heute wird er gern zusammen mit den von den Nazis verfolgten Künstlern ausgestellt, Spuren verwischend.
Der Begriff “Neue Sachlichkeit” ist geschichtlich durch Radziwill stark belastet.
ekelhafterweise
ekelhafterweise wird Franz Radziwill in den Schriften des Ehemannes der Tochter Konstanze Radzwill (Heinrich Maaß-Radziwill) als “geistiger Widerstandskämpfer” verklärt und zurechtgebogen.
Das erhöht den finanziellen Wert des Erbes.
Ein Lehrstück für die derzeitige Aufarbeitung des Nationalsozialismus.
Künstler, die nicht reich
Künstler, die nicht reich geboren werden, aber sehr gut leben wollen, mußten und müssen sich eben bei den Reichen und Mächtigen prostituieren. Wieso soll das zwischen 33 u. 45 anders gewesen sein.
Solange in Deutschland weiterhin lieber die mangelnde Political Correctness im 3.Reich, als die existensgefährdende aktuelle Geldpolitik diskutiert wird, ist das dem Großkapital dienende System bis zum großen Knall nicht gefährdet.
Der Rolleiflexer
Aufarbeitung:
http://www.welt.de/welt_print/article729668/Kollegen-nannten-ihn-Naziwill.html
Die heutigen
Prostituierten sind ja allgemein bekannt und gefeiert – wird halt nicht jeder reich geboren.
Und die aktuelle Geldpolitik ist auch nicht so unbekannt – aber die Mehrheit scheint den großen Knall der Vernunft vorzuziehen. 😎
Drei
Also mich würde interessieren, ob die “drei Eier” denn von glücklichen Hühnern waren? Und ob sie nach dem Fototermin verzehrt wurden oder noch als Ausstellungsstücke für andere Werke dienten? Weiss jemand mehr darüber?
MfG
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Wissen ist Macht.
[Francis Bacon, 1561 – 1626]
Wenn sie
noch in einer Ausstellung rumgelegen sein sollten, wurden sie sicher von einer sorgfältigen Putzfrau verputzt … 😎
Die NSDAP-Mitglieder
Kanoldt und Radzwill galten zwar selbst rasch ebenfalls als entartete Künstler, hatten sich aber dem Regime frühzeitig mit ihren Mitgliedschaftsanträgen angebiedert und als Dank dafür Professuren erhalten… Gewissermaßen die UBoote innerhalb der modernen Kunst, mit ihrer Interpretation der Neuen Sachlichkeit. Als Gegenpol gegen die abstrakte Malerei Kandinsky und Klees erbittert Gegenständlichkeit fordernd.
Mit Klee wurden aus Düsseldorf auch gleich seine Schüler vertrieben, als Radziwill dessen Professur übernahm.
Klee hatte seine Vertreibung durch die Nationalsozialisten nie überwunden.