Bei elektronischen Produkten erwartet heute praktisch jeder, dass die Ware in der Volksrepublik China produziert wird. Dass aber Festplatten und digitale Systemkameras sowie feinmechanische Komponenten in großer Zahl aus thailändischer Produktion stammen, das fiel erst auf, als der Warenstrom aufgrund des Hochwassers in Thailand versiegte:

Von der Flut betroffen wurden in unterschiedlichem Umfang die Festplattenhersteller Western Digital, Seagate und Hitachi sowie die Kamerahersteller Nikon und Sony. Darüber hinaus war der Zulieferer Nidec Copal betroffen, der sowohl Micromotoren für Festplatten als auch Verschlüsse und Objektivfassungen für Kameras produziert.

Als Konsequenz der Flut stiegen die Preise für Festplatten und Kamerahersteller wie Nikon und Sony konnten bestimmte Kameras nicht mehr liefern. Von den Einschränkungen waren auch Kamerahersteller wie Ricoh betroffen, deren Produkte zwar in China gebaut werden, die jedoch Komponenten, etwa Verschlüsse, von Nidec Copal beziehen. Nidec Copal konnte nach Aussage der japanischen Muttergesellschaft am 12. November 2011 die Fertigung in Thailand wieder aufnehmen.

Sony, die neben dem Kamera-Werk im Hi-Tech Industrial Park in Ayutthaya über weitere Werke in anderen Industrial Estates verfügen, darunter ein Werk für das Packaging von Bildsensoren im Industriepark von Bangkadi, hat die Fertigung der Nex-7 in das Autoradiowerk in Chonburi verlagert und produziert die A-77 inzwischen offensichtlich in Japan, wobei das beigefügte Kit-Objektiv aus chinesischer Fertigung stammt.

Die Nikon Corporation, die im Rojana Industrial Park in Ayutthaya inzwischen über vier Werke verfügt, hat Anfang Dezember mitgeteilt, dass das Wasser am 26. November 2011 abgepumpt war und dass ein Teil der Produktion im Januar 2012 wieder aufgenommen werden soll. Inzwischen wurden Teile der Produktion in begrenztem Umfang auf Zulieferer verlagert, so dass bestimmte DSLR-Kameras und Objektive seit dem 30. November 2011 wieder lieferbar sein sollen. Zum Ende März 2012 soll nach derzeitigem Plan die Fertigung in Thailand wieder auf dem Stand vor der Flut sein.

Western Digital hatte Anfang Dezember 2011 gemeldet, dass das Wasser in Bang Pa-in seit dem 17. November abgepumpt sei und seit dem 26. November auch die Stromversorgung wieder funktioniere. In einem Gebäude habe man die Fertigung inzwischen wieder aufgenommen. Das zweite WD-Werk in Navanakorn hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen Wasserstand von etwa 70 cm. Bis März 2012 soll ein Teil der Produktion wieder aufgenommen werden können.

In den letzten Jahren hat sich Thailand zu einem der wichtigsten Standorte im Bereich der Fertigung elektronischer und feinmechanischer Produkte entwickelt. Neben den genannten Produkten kommen aus Thailand zumindest zeitweise auch die GXR-Basismodule von Ricoh und das Fischaugenobjektiv zur Pentax Q. Es gibt im Lande inzwischen offensichtlich zahlreiche Zulieferer, auf die Teile der Produktion ausgelagert werden können.

Einer der wichtigsten Zulieferer ist die japanische Firmengruppe Nidec, die nach der Übernahme des Verschlussherstellers Copal den Großteil der Verschlussfertigung in ein ehemaliges Gemeinschaftswerk von Fujitsu und Nidec in Pathumthani nördlich von Bangkok verlagert hat. Nidec ist zusammen mit den Konzernzweigen Nidec Copal und Nidec Sankyo heute der mit Abstand wichtigste Zulieferer von Mikromotoren für die Festplattenindustrie.

Bei den Festplatten hat Thailand inzwischen einen Anteil von etwa 50 % am Weltmarkt. Die genauen Zahlen lassen sich kaum ermitteln, da sich die Fertigungstiefe an den einzelnen Standorten in Thailand, Malaysia und China oftmals sehr kurzfristig verschiebt. Die drei größten der verbliebenen Hersteller von Festplatten (Seagate Technology, Western Digital, Toshiba Storage Device) produzieren heute alle in Thailand, weil sich die Produktion dort als äußerst kostengünstig herausgestellt hat. Waren es zu Beginn (1988) in erster Linie die geringen Löhne der Arbeitskräfte, die zuvor von der Textilindustrie freigesetzt worden waren, so kam seit Mitte der 1990er-Jahre die gezielte Ansiedelung von Zulieferbetrieben als Standortvorteil hinzu.

Thailands Weg zum Industriestaat

Thailand konzentrierte sich zu Beginn auf arbeitsintensive Produkte wie das Packaging von Chips, die Fertigung von Leiterplatten und die Produktion von Festplatten und Digitalkameras für den Export. Für das Jahr 2007 sollen die Exporte der Elektronikindustrie mit 29 Milliarden US-Dollars etwa 30 % des gesamten thailändischen Exports ausgemacht haben. Bei den meisten Fertigungsbetrieben der thailändischen Elektronikindustrie handelt es sich um Gemeinschaftsunternehmen von einheimischen Investoren und ausländischen Partnern (meist aus den USA, Japan oder Taiwan), die sowohl das benötigte Know-how mitbringen, als auch die Vermarktung der Produkte übernehmen. Dabei kann ein lokaler Partner wie die Saha-Union Group durchaus mit allen Herstellern einer Branche zusammenarbeiten. Im konkreten Fall waren dies im Jahre 2007 die Festplattenhersteller Seagate Technology, Western Digital (WD), Hitachi Global Storage (seit März 2011 zu WD gehörend), Toshiba Storage Device, und Fujitsu (seit 2009 ein Teil von Toshiba Storage Device). Die damals noch insgesamt 74 Produktionsbetriebe im Bereich der Festplattenherstellung beschäftigten 2007 etwa 100.000 Mitarbeiter.

Nach den erfolgreichen Ansiedlungen in den 1990er-Jahren hat sich Thailand in den vergangenen Jahren für internationale Investoren noch attraktiver gemacht. Die wichtigste Einrichtung in diesem Umfeld ist das staatliche Board of Investment (BOI). Zollreduzierungen auf eingeführte Fertigungsanlagen und Vormaterialien sowie mehrjährige Steuerbefreiungen und günstige Produktionsausfallversicherungen locken viele internationale Firmen ins Land, um hier ein weiteres zunehmend wichtiger werdendes Standbein für die stark vernetzte Elektronik- und Automotive-Industrie zu etablieren. Im ersten Schritt profitierten vornehmlich die Eigentümer der Industrial Estates von den Industrieansiedlungen. Sie konnten billiges, agrarisch nur schlecht nutzbares, Land in den Flussauen in hochwertiges Bauland mit der Erlaubnis zur Industrieansiedlung umwandeln und an meist ausländische Investoren verkaufen oder verpachten. Der Staat hat dann dadurch einen Nutzen, dass das von den Arbeitern in den Industriebetrieben verdiente Geld in den Konsum geht. Mit einem jährlichen Einkommen von unter 100.000 Baht (1 Euro sind etwa 40 Baht) sind die meisten Beschäftigten in thailändischen Industriebetrieben nicht steuerpflichtig.

In der ersten Ausbauphase von 2006 – 2010 soll der Staat die Qualifizierung im Bereich der Festplattenindustrie mit geschätzten 800 Millionen Baht zugunsten der Ausbildung in staatlichen Universitäten gefördert haben. Eine zweite Phase von 2011 bis 2015 soll mit zusätzlichen 150 Millionen Baht die Industrie dabei unterstützen, die bestehenden Lücken in der inländischen Lieferkette zu schließen. Die größte dieser Lücken besteht bis heute noch in der Tatsache, dass es in Thailand noch keine eigene Silizium-Wafer-Produktion gibt und die Wafer importiert werden müssen.

Fertigung in Thailand

Zu den gewichtigen Vorteilen einer Fertigung in Thailand zählen auf jeden Fall die niedrigen Lohnkosten, die meist unter den entsprechenden Kosten in China liegen, sowie das weitgehende Fehlen gewerkschaftlicher Organisation. Daran wird sich in den nächsten Jahren wohl nur wenig ändern, da in der Landwirtschaft zunehmend weniger Arbeitskräfte benötigt werden, weil inzwischen selbst kleinste Reisfelder mechanisch abgeerntet werden. Wo früher 30 Arbeitskräfte drei Tage lang den Reis geschnitten und dann gemeinsam gefeiert haben, fährt heute ein Kubota-Reisernter in wenigen Stunden die Ernte ein. Als Folge des in den letzten Jahren immer stärker beschleunigten Ausbaus von Fernstraßen und Autobahnen, die heute vielfach achtspurige Schneisen durch die Dörfer schlagen, siedeln sich entlang dieser Linien immer neue Industriebetriebe an. Bislang befinden sich jedoch die meisten internationalen Feinmechanik- und Elektronik-Fertiger noch im Speckgürtel um die Hauptstadt Bangkok und auf der Strecke nach Ayutthaya.

Produziert wird zumeist in zwei Schichten. Für die Tagschicht von 6:00 14:00 beträgt der Monatslohn etwa 5.000 Baht (40 Baht entsprechen etwa einem Euro). Mit der zwölfstündigen Nachtschicht (18.00 – 06.00) und mit Überstunden und Feiertagen lässt sich ein Einkommen von etwa 10.000 Baht erzielen.

Die meisten Fertigungsmitarbeiter (bis zu 90 % der Beschäftigten) in der thailändischen Elektronik-Industrie sind Frauen im Alter von 18-31 Jahren. Sie werden üblicherweise im agrarisch geprägten Norden und Nordosten des Landes angeworben und leben, solange sie in der Fertigung arbeiten, zumeist in Unterkünften in der Nähe der Fabrik und kehren nur zu Neujahr (Songkran, Mitte April) in ihre Heimatdörfer zurück. Dort leben üblicherweise die Kinder der Arbeiterinnen bei den Großeltern, die selbst ihre Kindheit zu einer Zeit verbrachten, als es in vielen Dörfern weder Strom noch fließendes Wasser gab. Insgesamt schätzt man die Zahl der Arbeitskräfte in der Elektronik-Industrie Thailands auf 500.000.

Es hat sich in der Vergangenheit offenbar häufiger gezeigt, dass Schwangere ihre Schwangerschaft so lange wie möglich verbergen, um durch Nachtschicht und Überstunden etwas Geld für den Nachwuchs auf die Seite legen zu können. So ist die Schulbildung zwar im Grunde kostenfrei, dies gilt jedoch nur für die teilweise sehr schlecht ausgestatteten Dorfschulen für die ersten sechs Jahre. In der nächsten Stadt beträgt das Schulgeld für ein Kind etwa 14000 Baht pro Jahr. Die Schulpflicht gilt für die sechsjährige Primary School. Die fakultative Secondary School umfasst wie die erste Stufe ebenfalls 12 Semester zu je fünf Monaten.

Warum sich die meisten Beschäftigten mit den niedrigen Löhnen zufrieden geben, liegt einerseits daran, dass praktisch alle Arbeitgeber für angelernte Kräfte nur geringe Löhne bezahlen und das Ausbildungsniveau auf dem Land noch immer eher bescheiden ist. Somit gibt es kaum Alternativen für die Beschäftigten, und da viele Arbeiter, sobald sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, sich auch ein neues Moped zulegen wollen, kommt eine weitere Einschränkung hinzu: Das Moped muss in Raten abbezahlt werden und somit sind sie auf das Arbeitseinkommen dringend angewiesen. Kämen sie mit den Raten in Verzug, so würde der Traum zerplatzen, da das Fahrzeug vom Verkäufer eingezogen würde. Dadurch stehen viele Beschäftigten unter massivem Druck, sich nicht mit Streiks für höhere Löhne einzusetzen. Auf der anderen Seite besteht in Ausnahmesituationen wie der aktuellen Flut für den Arbeitgeber das Risiko, dass er ohne Lohnfortzahlung mit der schnellen Abwanderung der Arbeitskräfte rechnen muss.

Zu den konkreten Arbeitsbedingungen in den Fabriken ist nur wenig bekannt, da sich die Beschäftigten aus Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu ihrer Arbeitssituation äußern wollen. Üblich ist die Verpflichtung, ab dem ersten Krankheitstag eine Bescheinigung vom Arzt beizubringen. Die Dauer der Toilettenbesuche soll auf maximal zwei mal zehn Minuten pro Tag begrenzt sein. Limitiert ist wohl auch die Zahl der gleichzeitigen Toilettengänge.

Die Herstellung der elektronischen Produkte findet vielfach unter Reinraumbedingungen statt, wobei Reinraum sich wohl in erster Linie auf die Zahl der Staubpartikel pro Kubikmeter Luft bezieht. Was man auf Bildern aus den Fertigungsanlagen sieht, erscheint hell, kühl und sauber. Dämpfe von Klebstoffen und Reinigungsflüssigkeiten sieht man auf den Abbildungen nicht. Entsprechende Absaugeinrichtungen sind aber zumindest bei kleineren Herstellern eher selten.

(CJ)
 
 
Morgen folgt um diese Zeit an dieser Stelle ein zweiter Teil, der sich mit den Herstellern im einzelnen beschäftigt: Thailands Bedeutung für die digitale Welt – Teil 2.
 
 
Siehe auch:
Hochwasser beeinträchtigt Kameraproduktion in Thailand
Hochwasser in Thailand: Produktionsausfälle bei Canon, Nikon und Sony
Die Flut in Thailand