Foto Alfred Ehrhardt: Gehäuse einer heute noch lebenden Art der Tintenfische in den ozeanischen Gewässern der Philippinen (Nautilus pompilius Lam.), um 1940Alfred Ehrhardt war ein Kreativer, der sich kaum auf eine Disziplin beschränken wollte. So viele Talente versammelte er – arbeitete als Musiker, Maler, Fotograf und Filmemacher. Als Fotograf der Neuen Sachlichkeit wurde er bekannt – jetzt zeigt die Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin eine Ausstellung mit Leihgaben aus dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz:

Vor allem Ehrhardts Bilder von Pflanzen sind bekannt geworden. Stets war es das Feine, das Zarte in der Pflanzenwelt, das den 1901 in Triptis geborenen und 1984 in Hamburg verstorbenen Künstler faszinierte. So zeigt er Korallen, ein Schneckenhaus, Lavagestein, Basaltformationen oder Kristalle wie Kunstwerke, welche die Natur selbst geschaffen hat. Ehrhardt war Ästhet und Dokumentarist: Er suchte in der Natur das Schöne und Artifizielle.

Alfred Ehrhardt hatte bei Josef Albers, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer am Bauhaus studiert, dort wurde sein Interesse für die Strukturen der Dinge geschärft. Hier lernte er mit Lust die Abstraktion, interessierte sich für Texturen natürlicher Materialien. In der in der Berliner Auguststraße beheimateten Alfred Ehrhardt Stiftung kann man nun das strukturelle Sehen Ehrhardts erleben. Seine Faszination für die Dingwelt der Natur – für ihre, wie einmal geschrieben worden ist, „überzeitliche Kraft“.

In Ehrhardts Werk ist die Natur stets dem Menschen übergeordnet. Sie ist der Rahmen, in dem dieser sich bewegt. Seine Bilder von Muscheln, Schwämmen, Seesternen, Seeigeln oder Steinen zeugen von Respekt. Er zeigt die Welt der Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten als unumstößlich. Seine Bildsprache ist die der Neuen Sachlichkeit, sein Werk ist jenem von Karl Blossfeldt ähnlich: in der Art, wie die Natur zum Ausgangspunkt des künstlerischen Denkens wird.
 

Foto Alfred Ehrhardt: Spur (des Menschen) am Steilhang einer Düne der Kurischen Nehrung, 1934

Alfred Ehrhardt: Spur (des Menschen) am Steilhang einer Düne der Kurischen Nehrung, 1934
Vintage, Gelatinesilberabzug 24,0 x 18,0 cm
© bpk / VG BILD-KUNST 2011

 
 
Foto Alfred Ehrhardt: Gehäuse einer heute noch lebenden Art der Tintenfische in den ozeanischen Gewässern der Philippinen (Nautilus pompilius Lam.), um 1940

Alfred Ehrhardt: Gehäuse einer heute noch lebenden Art der Tintenfische in den ozeanischen Gewässern der Philippinen (Nautilus pompilius Lam.), um 1940
Vintage, Gelatinesilberabzug 24,0 x 18,0 cm
© bpk / VG BILD-KUNST 2011

 
 
Foto

Alfred Ehrhardt: Gips auf einem Baumstamm ringsherum aufgewachsen, um 1940
Vintage, Gelatinesilberabzug 24,5 x 18,0 cm
© bpk / VG BILD-KUNST 2011

 
Während der Zeit des Nationalsozialismus konnte Alfred Ehrhardt ausstellen, es entstanden auch Dokumentarfilme über das Wattenmeer, Island, Flandern und Böhmen und Mähren – sowie eine große Fotoreportage über Frankfurt am Main. Die Ausstellung „Alfred Ehrhardt im Bildarchiv ‘Volk und Welt’. Leihgaben aus dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz“ präsentiert nun in der Alfred Ehrhardt Stiftung 78 Originalfotografien.

Bilder, die in der Zeitschrift „Volk und Welt“ zwischen 1940 und 1942 erschienen sind, einer Monatszeitschrift, die von Professor Dr. Theodor Oppermann – NSDAP-Mitglied, Reichstagsmitglied und SA-Brigadeführer – herausgegeben wurde. Die Fotografie nahm einen wichtigen Platz in der völkisch-nationalen Zeitschrift ein. Die Gestaltung war modern, viele bekannte deutsche Fotografen veröffentlichten in ihr.

Das Bildarchiv der Zeitschrift umfasste etwa 25.000 Werke, die heute im Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz und in der Berlinischen Galerie verwahrt werden. Die Auswahl präsentiert einen Querschnitt des Werks Ehrhardts – und stellt ein weiteres Mal die spannende Frage, inwieweit die neusachlichen Tendenzen der Fotokunst der zwanziger Jahre oft ungebrochen noch in nationalsozialistischer Zeit virulent waren.

Die Fotografie in nationalsozialistischer Zeit musste sich nicht zwangsläufig in Leitbildern des nordischen Menschen oder dramatischen Landschaftsbildern äußern, in mythischen Verklärungen der Heimat. Auch Alfred Ehrhardts moderne Bildkunst, sein modernes Sehen konnte sich während des Nationalsozialismus weiterentwickeln – wurde Teil der Propaganda.

Sein Blick auf die Natur, das ist ein Blick auf die unverwüstliche Macht der Naturereignisse. Das Wesen der Natur selbst, ihre Urformen, steht im Fokus seiner avantgardistisch-strengen, oft minimalistischen Kompositionen, die vor allem am Wattenmeer, an der Kurischen Nehrung und in Island entstanden sind. Ehrhardts Wattlandschaften, die Dünen und Wasserfälle, die Muscheln und Kristalle – sie alle tragen die Kräfte der Elemente in sich. Die Fotografie von Alfred Ehrhardt ist maximale Verdichtung durch Minimalismus und Askese – gemischt mit einer guten Prise romantischer Zivilisationskritik, die Nationalkonservativen und Nationalsozialisten alles andere als fremd war. Ein hybrides Werk, das neu zu entdecken sich lohnt.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:

Alfred Ehrhardt im Bildarchiv „Volk und Welt“. Leihgaben aus dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
14. Mai bis 26. Juni 2011
Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststraße 75
10117 Berlin-Mitte
Di bis So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr

Titel Alfred Ehrhardt: Naturphilosoph mit der Kamera

Filmvortrag:
Am 25. Mai findet um 19 Uhr der Filmvortrag von Prof. Dr. Kerstin Stutterheim, Professorin für Dramaturgie und Ästhetik an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam, statt: „Natur in Bewegung versetzt – Alfred Ehrhardt und der Kulturfilm“.

DVD:
Zum fotografisch/filmischen Schaffen Alfred Ehrhardts ist auch ein spannender Dokumentarfilm erschienen: „Die Natur vor uns“ – ein Film von Niels Christian Bolbrinker in Zusammenarbeit mit Dr. Christiane Stahl.

Buchtipp:
Christiane Stahl
Alfred Ehrhardt: Naturphilosoph mit der Kamera (bei amazon.de)
ca. 300 S. m. 20 Farb- u. 200 sw-Abb., 17 x 24 cm
Reimer Verlag
ISBN 978-3-496-01364-8
49 Euro