In Tagen wie diesen an denen die Welt entsetzt nach Japan blickt, geschockt von der atomaren Katastrophe, die sich dort abspielt und sich immer verheerender zeigt ist es wichtig, zu erinnern. Dass Atomtechnik nicht beherrschbar, sondern ein unkalkulierbares Risiko ist, das wissen wir schon länger spätestens seit dem 26. April 1986. Seit Tschernobyl. Eine Ausstellung von Rüdiger Lubricht im Berliner Willy-Brandt-Haus erinnert an den GAU:
Es sind sonderbar stille Bilder, die Rüdiger Lubricht in Tschernobyl und den umliegenden Dörfern und Städten gefunden hat. Leere, verlassene Klassenzimmer, stille Plätze, verlassene Wohnblocks, eine einsame Gegend. Seit dem Jahr 2003 arbeitet der Worpsweder Fotograf an seinem Projekt, immer wieder kehrt er nach Tschernobyl und in die angrenzenden Regionen in Russland und der Ukraine zurück.
Er muss Vorsicht walten lassen, darf aufgrund der immer noch so starken Strahlung oft nur wenige Tage vor Ort fotografieren. Er arbeitet in damals evakuierten Dörfern, trifft Menschen, die immer noch an den Folgen der atomaren Strahlung leiden. Auch diese fotografiert er, doch noch stärker sprechen die Bilder zum Betrachter, die keine Menschen zeigen von ihrer Abwesenheit erzählen. In der ukrainischen Stadt Pripyat etwa hat Lubricht Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen fotografiert: Orte, die noch viel von jenen berichten, die einstmals hier gelebt haben. Sie wurden fluchtartig geräumt und sind bis heute so geblieben, wie sie waren.
Rüdiger Lubricht: Liquidator Dimitrij Birkukov, Diagnose Leukämie und Herzerkrankung, 2010
© Rüdiger Lubricht
Rüdiger Lubricht: Liquidator Leonid Rybak, Diagnose Leukämie, 2010
© Rüdiger Lubricht
Die meisten der Männer und Frauen, die direkt an den Rettungsarbeiten in der verseuchten Zone beteiligt waren, sind heute tot. Doch auch dort, wo es keinen radioaktiven Niederschlag gab, gibt es bis heute Krankheiten, die auf den GAU zurückgehen, wie Lubricht in einem Interview mit Sabine Tropp erzählt hat: „Ich habe Kleinstädte und Dörfer besucht, wo Menschen mir erzählt haben, dass es in ihrer Stadt kein gesundes Kind gibt. Das liegt unter anderem daran, dass in den verseuchten Sperrzonen inzwischen wieder Gemüse und Getreide angebaut wird. Alles vermischt sich. Inzwischen gibt es kaum noch saubere Lebensmittel, selbst in den unverseuchten Gebieten.“
Lubricht, 1947 in Bremen geboren, arbeitet mit Stativ und einer Großbildkamera und vor allem mit Zeit. Ruhig wirken seine Bilder, die Architekturfotografien, wie die Porträts der Kraftwerksarbeiter, der ehemaligen Helfer und jener älteren Menschen, die zwischenzeitlich in ihre kontaminierten Dörfer zurückgekehrt sind. Der Volksmund nennt sie „Partisanen“, denn sie tun Gefährliches. Sie ignorieren die gesundheitliche Gefahr, weil sie nicht in der Ferne, sondern wieder in ihrer Heimat leben möchten.
„Wenn wir Tschernobyl vergessen“, hat Kofi Annan gesagt, „erhöhen wir das Risiko weiterer solcher Technologie- und Umweltkatastrophen in der Zukunft … Das Vermächtnis von Tschernobyl wird uns und unsere Nachkommen begleiten und zwar für viele kommende Generationen.“
Zur aktuellen Ausstellung ist ein Bildband mit dem Titel „Verlorene Orte, Gebrochene Biografien erschienen. Buch und Ausstellung sind ein entschiedenes Plädoyer für eine Welt ohne Atomkraft.
(Marc Peschke)
Rüdiger Lubricht: Riesenrad vor Wohnblocks in Pripjat, 2005
© Rüdiger Lubricht
Rüdiger Lubricht: Kindergarten in Pripjat, 2005
© Rüdiger Lubricht
Ausstellung:
Tschernobyl – Verlorene Orte, gebrochene Biografien
Willy-Brandt-Haus Berlin
Stresemannstr. 28
14. April bis 29. Mai 2011
Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei, Ausweis erforderlich
Eröffnung am Mittwoch, den 13. April 2011, um 19:30 Uhr
Katalog:
Rüdiger Lubricht
Verlorene Orte | Gebrochene Biografien
IBB Dortmund
ISBN 978-3-935950-11-4
€ 25,00
Siehe auch:
Heimat. Zone. Tschernobyl.
Orte des Schreckens: Pripjat und Tschernobyl
PRO Monat verunglücken ca.
PRO Monat verunglücken ca. 1500 Arbeiter bei der Gas/Öl/Kohleförderung:
http://nextbigfuture.com/2011/03/oil-and-gas-extraction-accidents-and.html
Ist aber keine Rede wert?!
Die leben
aber nicht als Gespenster weiter und machen ganze Landstriche auf die nächsten paar Tausend Jahre unbewohnbar…
Ach ja… lt Wikipedia stehen 442 Reaktorblöcke in der Landschaft rum…. Bei einem Restrisiko von 1:17.000 Jahren (wie uns die Atomfanboys erzählen) macht das 17.000/442=1:38 Jahren. Sprich statistisch betrachtet gehen im Mittel alle 38 Jahre ein AKW ausser Kontrolle… Harrisburg — Tschernobyl — Fukushima… immer schön im Abstand von 25-30 Jahren…
Und wenn wir schon von Zufall und GAU reden…:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/atom-dvd-fuer-japanische-schueler-all-die-schoenen-kraftwerke-1.1084628