„Roger Ballen Fotografien 1969-2009“ heißt eine Retrospektive des aus New York stammenden, in Johannesburg lebenden Fotografen Roger Ballen, die zur Zeit in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums zu sehen ist. Radikale Bilder am Ende einer langen Kolonialgeschichte:
Über den südafrikanischen Interieurs von Roger Ballen liegt eine dicke Schmutzschicht. Das einfache Mobiliar der Häuser ist ramponiert, Polster sind zerschlissen, Betten haben sich im Laufe der Jahre in Müllhalden verwandelt. Auch die Menschen sind starr geworden vor Schmutz: Er sitzt unter den Fingernägeln, auf ihrer Kleidung, an ihren Füßen und offenbar auch auf ihrem Herzen. Zwar hat die Fotografie es immer wieder vermocht, aus der ärmstem Hütte einen Ort romantischer Utopie zu zaubern, doch nichts liegt dem südafrikanischen Fotografen Roger Ballen ferner. Sein radikaler Dokumentarismus stellt die abstruse Armut des Herzens ganz ohne Mitleid aus.

Roger Ballen: Man holding cat, 1995; aus der Serie: Outland
Silbergelatinepapier, 36×36 cm
© Roger Ballen
Roger Ballen: Dresie and Casie, Twins, Western Transvaal, 1993; aus der Serie: Platteland.
Silbergelatinepapier, 36×36 cm
© Roger Ballen
Bekannt wurde der 1950 geborene Roger Ballen mit seinen schwarzweißen Baryt-Abzügen, welche die Menschen der „Dorps“, der Kleinstädte Südafrikas und die Menschen des „Platteland“ zeigen. Seit 1981 war Ballen in Johannesburg als Geologe tätig und entdeckte auf seinen Fahrten jene dörflichen Gemeinden, in denen bis heute Nachfahren der Buren leben. Ihre alltägliche Armut steigert sich in der bühnenartigen Inszenierung zum expressiven Trauerspiel. Ein Altwarenhändler steht auf einer zerrissenen Matratze aus Schaumstoff und betrachtet die Welt auf dem Globus: Zwischen Faktum und Fiktion inszeniert Ballen seine Bilder das heißt, der Fotograf arrangiert das Gefundene nach seinen Maßstäben. So agieren die Menschen auch meistens auf ähnlichen Bühnen: vor schmutzigen Wänden, vor Familienbildern, förmlich an die Wand gedrängt im Schlafanzug mit Hundewelpen, starren in die Kamera und werden zum Mittelpunkt einer Groteske mit ungewissem Ausgang.
Häufig ist Ballen der Vorwurf gemacht worden, er nutze die Ausweglosigkeit der Gezeigten für seine Zwecke, führe voyeuristisch jene vor, die am Rande des neuen Südafrika vegetierten, auffallend mehr Weiße als Schwarze, denen die Apartheid trotz ihrer mangelhaften Ausbildung eine Existenz sicherte. Doch auch wenn Ballen die dunklen Randzonen des Mensch-Seins in der Tradition von Diane Arbus in gleißendes Fotografen-Licht taucht, so können die hoffnungslosen Menschen seiner Bilder doch auf eines hoffen. Auf die leise Sympathie des Fotografen. Ihm zu Ehren posieren sie vor der schmutzigsten Kulisse, vor dem wenigen Hab und Gut, das ihnen geblieben ist.

Roger Ballen: Cut loose, 2005; aus der Serie: Boarding House
Inkjet-Print, 65×65 cm
© Roger Ballen
„Alle Personen wissen um den Akt des Fotografierens“, sagt Roger Ballen. „Mein Blick ermöglicht ihnen, eine selbstbewusste Haltung gegenüber der Kamera und den Betrachtern zu finden, um Fragen zu provozieren, zuweilen beunruhigende Fragen über die Natur des Menschen, die Haltung des Fotografen und die Rolle von passiven Opfern des Kameraobjektivs gegenüber aktiven, expressiven, selbstdarstellenden Protagonisten.“ Und es scheint tatsächlich, als stelle der Besuch Ballens einen Höhepunkt im ereignislosen Leben der Gezeigten dar. So wirft das grausame Blitzlicht der Fotografie bisweilen sogar einen hellen Glanz: den Existenzbeweis jener Vergessenen am Ende der langen Kolonialgeschichte Südafrikas.

Roger Ballen: Clown, USA, 1969; aus der Serie: Civil Rights
Silbergelatinepapier, 15×23 cm
© Roger Ballen
Roger Ballen: Passerby, Israel, 1974; aus der Serie: Israel
Silbergelatinepapier, 23×15 cm
© Roger Ballen
Roger Ballen: Letting go, Ceylon, 1976; aus der Serie: Boyhood
Silbergelatinepapier, 24×36 cm
© Roger Ballen
Die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum zeigt Bilder aus den Jahren 1969 bis 2009. Groteske, bedrohliche Bilder, surreale, an die „Arte Povera“ gemahnende Stillleben: ein ganz eigener, verstörender fotografischer Kosmos darunter auch sehr frühe, bisher nicht präsentierte Arbeiten. In seinen neuesten Werken, etwa in der Serie „Shadow Chamber“, erscheint der Mensch nur noch als Fragment, stattdessen sind es immer wieder von Ballen selbst gefertigte Zeichnungen und Objekte, die als Gegenstand der Inszenierung taugen. Für Ballen ist das Fotografien wie eine Entdeckungsreise in die eigene Psyche, wie der Fotokünstler selbst sagt. „The older I get the more I need to get to the source, the place where dreams originate, the source of the psyche.“ (*) Die Ausstellung gibt einen umfassenden, faszinierenden Überblick über alle Schaffensperioden.
(Marc Peschke)
Ausstellung:
Roger Ballen. Fotografien 1969-2009
12. November 2010 27. Februar 2011
Münchner Stadtmuseum Sammlung Fotografie
St.-Jakobs-Platz 1
80331 München
Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr
Katalog:
Zur Ausstellung erscheint im Kerber Verlag der Katalog „Roger Ballen – Retrospektive. Fotografien 1969 2009“ (44,80 Euro, bei amazon.de) mit Texten von Ulrich Pohlmann und Angela Stercken. Die Publikation beinhaltet neben bekannten Fotografien auch zahlreiche bislang unveröffentlichte Aufnahmen aus Roger Ballens Serien „Boyhood“, „Platteland“, „Dorps“, „Shadow Chamber“ und „Boarding House“.
Künstler:
Roger Ballen
(* Je älter ich werde, um so mehr drängt es mich, zur Quelle gelangen, dem Ort, wo die Träume entspringen, der Quelle der Psyche.)

Roger Ballen: Untitled, 2009; aus der Serie: Asylum
Inkjet-Print, 90×90 cm
© Roger Ballen
Roger Ballen
ist banal. Zurück zur Kultur.
Banal ist dieser Kommentar
Nach Jules Beck ein weiterer herausragender Fotograf. Wer das nicht sieht, hat ganz einfach Pech gehabt.
Freak als User?
[quote=Gast][quote=Gast]Nach Jules Beck ein weiterer herausragender Fotograf. Wer das nicht sieht, hat ganz einfach Pech gehabt.[/quote]
Ein paar Freaks abgelichtet und in künstlerischem SW präsentiert.Fertig.
Da ist der Kenner schwer beeindruckt.[/quote]
Ja, dann willst wohl lieber die üblichen DVF-Bildchen mit Klatschmohn, Landschaften und Venedigmotiven. Deine Fotos möchte ich sehen…
Lieber guter Mann,
vom Standpunkt des Blasierten ist alles banal. Nur ist der blasierte Standpunkt selbst grottenlangweilig. Jedenfalls dann, wenn man schon mehr erlebt hat als eine Rebellion gegen die alt-68er Lehrer.
nein,
[quote=Plaubel]ist banal. Zurück zur Kultur.[/quote]
ich finde diese Bilder keineswegs banal. Mich „treffen“ sie … mitten in den Bauch und ins Hirn.
War heute da…
…muss sagen es war sehr sehenswert. Einzig der schale Beigeschmack einer morbiden Schau inzwischen längst toter Menschen bleibt. Fotografisch jedoch über jeden Zweifel erhaben.
Rod
Banal?
Sind die Bilder Ballens banal? Vielleicht. Für einige Bilder der Ausstellung gilt sicherlich, dass sie unter rein fotografischen Aspekten nun nicht wirklich die absoluten Highlights sind. Sauber fotografiert sind sie allemal, aber das ist nur eine Seite der Fotos und beileibe nicht die wichtigste. Für die Ausstellung insgesamt gilt: Sie berührt. Sie verstört. Sie beeindruckt. Und das nachhaltig. Hingehen!
Reiner