Foto: Irina LiebmannAnfang der achtziger Jahre gab es sie noch, jene „Stille Mitte von Berlin“: eher alt, trist und muffig, doch auch: Geschichte atmend. Ein Fotoband von Irina Liebmann erinnert diese andere Welt:

Die Mitte Berlins in den frühen achtziger Jahren zeigt die 1943 in Moskau geborene Schriftstellerin Irina Liebmann in ihrem schmalen Foto-Bändchen. Bilder Ost-Berlins, (ursprünglich für einen nie geschriebenen Roman entstanden), die vor Augen führen, wie sehr sich die Stadt in den vergangenen Dekaden verändert hat. Mehr noch: Kaum erkennt man die Straßenzüge wieder, das Scheunenviertel rund um den Hackeschen Markt, die Gegend zwischen nördlicher Friedrichstraße und Alexanderplatz, die heute von Millionen internationaler Berlin-Touristen überflutet wird.
 

Foto: Irina Liebmann
 
 
Foto: Irina Liebmann

 
Die Gegend wurde mächtig aufgehübscht nach der Wende – mit all jenen Folgen, die seit einigen Jahren unter dem Stichwort „Gentrifizierung“ diskutiert werden: erheblich gestiegene Mieten, ein sozialer Umstrukturierungsprozess, der in einer vollkommen veränderten Bevölkerungsstruktur mündete. In den frühen achtziger Jahren waren die meisten Häuser der Berliner Mitte beinahe ruinös, verwittert und verstaubt. Eine untergegangene Welt.

Im ersten Teil des Buchs beschreibt die Autorin ihre damalige Spurensuche in Archiven und Bibliotheken, lässt Anwohner zu Wort kommen und erinnert sich an die Zeit, als sie selbst hier wohnte: „Für uns war es der Alltag. Wir liebten die Gegend. Wir wussten, dass es ein sehr altes Stück von Berlin war und dass hier immer die arme Seite der Stadt gewesen war. Über die Häuser selber, ihre Erbauer, ihre Bewohner, wussten wir kaum etwas.“

Doch mehr noch als der Text sprechen die Bilder zu uns, Fotografien der Großen Hamburger Straße etwa, die zwei Jahrzehnte in Kartons schlummerten: „Als ich die Kisten nach zwanzig Jahren öffnete, sah ich zuerst die Fotos. Die abgeschrammten Häuser auf den Bildern verströmten die Zeit von damals, und genauso war es mit meinen Notizen. Unser Leben rutschte da raus, dieses nicht sehr hoch geschätzte Leben in dem Berliner Osten der achtziger Jahre.“
 

Foto: Irina Liebmann

 
Es ist faszinierend, diese Farbfotografien zu betrachten. Bilder von Straßen mit verrammelten Läden, verblichenen Ladenschildern und Werbemalereien, Bilder einer Gegend, die nicht schön ist, sondern eher alt, trist und muffig, doch auch: Geschichte atmend. Was besonders fasziniert, ist die Ruhe dieser Bilder. Kein Ton ist zu hören: Es ist so unsagbar still. Das beruhigt und verunsichert im selben Moment.

Es ist eine andere Welt. Eine Welt, die es heute kaum noch gibt. Weder in Berlin, noch in anderen deutschen Städten. Vernagelte Fenster, bröckelnde, graue Häuser, auf denen „Gemüse Konserven Kartoffeln“ steht, die sich seit der Vorkriegszeit kaum verändert haben. Bilder, die ungemein faszinieren, weil sie den Lauf der Zeit in sich selbst tragen. Die Farben haben sich verändert, sind verblasst, so, wie sich die Erinnerung an diese Zeit beinahe verflüchtigt hat. Doch dieses Buch hält sie auf eine sehr poetische Weise fest.

(Marc Peschke)
 
 

Titelabbildung Stille Mitte von Berlin

Buch:
Irina Liebmann
Stille Mitte von Berlin (bei amazon.de)
Eine fotografische Spurensuche rund um den Hackeschen Markt
112 Seiten. Gebunden
Berlin Verlag 2009
ISBN 978-3827008770
19,90 Euro

Kunstdrucke:
Kunstdrucke im Format A2 ( 42 cm X 60 cm) auf LuxoCream-Papier 150 g.
Stille Mitte von Berlin bei DaWanda
Die Fotos entstanden in den Jahren 1983 bis 1985 in Ostberlin, DDR, mit einer Olympus-XA-Kamera auf ORWO-Color.
Ein Blatt kostet 16 Euro, zuzüglich 7 Euro Versandkosten.

Webseite:
Irina Liebmann