Foto„Unerkannt durch Freundesland – Illegale Reisen durch das Sowjetreich“, so der Titel einer Ausstellung im Berliner Museum Lichtenberg, die von einer abenteuerlichen Art des Reisens in jenen Zeiten zeugt, als es DDR-Bürgern kaum möglich war, das sowjetische Bruderland legal auf eigene Faust zu erkunden:

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Pressemitteilung vom Berliner Museum Lichtenberg im Stadthaus:

Unerkannt durch Freundesland

Illegale Reisen durch das Sowjetreich

„Unerkannt durch Freundesland“ möchte von jenen berichten, die im Land bleiben wollten und dennoch die Ferne suchten. Von denen, die die verordnete Deutsch Sowjetische Freundschaft beim Wort nahmen und sich dafür in die Illegalität begeben mussten.

Wer dem DDR-Alltag mal entfliehen, andere Landschaften und Kulturen erleben wollte, dem stand die Welt mit gerade mal fünf Ländern offen. Das waren die genehmen sozialistischen Bruderländer Polen, CSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Der Westen war tabu. Was blieb denjenigen, die wahre Abenteuer und das wirklich Fremde suchten? Einzig die Sowjetunion, dieses Riesenreich mit seinen elf Zeitzonen, gigantischen Hochgebirgen und exotisch anmutenden mittelasiatischen Republiken, jenes Mutterland des Kommunismus und Verheißung des Arbeiterparadieses, wovon tagtäglich im Schulunterricht zu hören und auf Transparenten zu lesen war. Jedoch besuchen durfte das Land nur, wer sich auf kontrollierte Gruppenreisen einließ oder die Einladung eines Sowjetbürgers vorweisen konnte.

Tatsächlich gab es ein bürokratisches Schlupfloch, das, einmal erprobt, in eingeweihten Kreisen weitergereicht wurde: Man benötigte dazu ein Transitvisum, das einen für 2 Tage berechtigte, sich grenznah in der Sowjetunion aufzuhalten, einzig zum Zweck der Weiterreise nach Rumänien. So konnte zwar gelingen, in das Land hineinzukommen, aber damit war noch keinerlei Genehmigung verbunden, sich dort auch aufzuhalten. Eine Vielzahl abenteuerlustiger junger Menschen wagte trotz des Verbotes diesen Schritt. Wochenlang reisten sie zu Fuß, per Anhalter oder gar 3000 km mit dem Fahrrad vom Baltikum bis zum Kaukasus, durch die Steppe und die Tundra bis nach Sibirien. Wer sich so jenseits der offiziellen Touristenpfade durch die Sowjetunion bewegte, erlebte ein zerrissenes, marodes und mitunter absurdes Land, das zwar in der Lage war, einen Sputnik ins All zu schießen und die „nicht-sozialistische“ Welt hochgerüstet in Atem zu halten, aber bei den einfachsten Alltäglichkeiten scheiterte. Die wirtschaftlichen Engpässe zogen sich durch alle Bereiche und forderten den Menschen permanente Improvisation ab. Schattenwirtschaft und Korruption gehörten zum täglichen Spiel. Der Lebensfreude aber tat all dies keinen Abbruch – und die Gastfreundschaft obsiegte immer. In der Ausstellung werden bislang unveröffentlichte Fotoserien, Dokumente und Schmalfilme aus den siebziger und achtziger Jahren präsentiert, die von der Faszination erzählen, die dieses Land mit all seinen Widersprüchen zwischen Mythos und Zerfall ausstrahlte. Hinter jedem Bild steckt eine Geschichte, die von der abenteuerlichen Art des Reisens zeugt und wie es ist, wenn man sich ohne gültige Papiere „unerkannt durch Freundesland“ bewegt und die Miliz hinter jedem Fotografen gleich einen Spion vermutet.

Die Fotografen: Tina Bara nimmt bei ihrer Serie aus dem Baltikum außerdem noch das Erinnern als Prozess selber in den Focus. Michael Biedowicz setzt sich in einer installativen Arbeit mit Propaganda und Realität auseinander. Robert Conrad präsentiert Portraits und bizarre Stadtlandschaften. Von André Nickl stammen die ins Malerische gehenden Aufnahmen aus der autonomen Bergregion Swanetien. Frank Hawemann, Wolfgang Hensel, Jan Oelker, Peter Ulm und Edgar Winkler versammeln unter dem Titel „Friede den Hütten“ verschiedene Behausungen, die vor allem durch ihre Fähigkeit zur Improvisation beeindrucken.
 

Foto Tina Bara: Markt mit Garanatäpfeln, 1984

Tina Bara: Markt mit Garanatäpfeln, 1984. © Tina Bara
 
 
Foto Tina Bara: Feiernde, 1984

Tina Bara: Feiernde, 1984. © Tina Bara

 
Die Zeitzeugen: Oelker, Wirthwein und Winkler berichten von ihrer Tour mit einem selbstgebauten Katamaran den Aldan entlang, irgendwo tief in Sibirien. Andere versuchten es mit einem Eissegler auf dem Baikalsee. Ingo Gediga beschwört noch einmal die Atmosphäre Astrachans herauf, einer damals „verbotenen Stadt“. FotoUlrich Henrici ist heute noch dem KGB dankbar dafür, dass der ihm sein Filmmaterial aus den Bergen aus 5000 Meter Höhe gerettet hat. Hartmut Beil dahingegen hat erfahren, wie es ist, sich mit nur 3 Rubeln in der Tasche bis zur Krim durchzuschlagen, während Mathias Jahnke mit dem Rad bis nach Odessa kam und sogar noch mit einem Diplom nach Hause zurückkehrte. Und andere.

Die Kuratorin: Cornelia Klauß (*1962 in Dresden), aufgewachsen in Ost-Berlin. Erste Filmaktivitäten auf Super8, die zu einem Studium der Filmwissenschaft an der HFF-Babelsberg führen. Zwangsversetzung an das Fernsehstudio Halle. Frühjahr 1989 Ausreise nach West-Berlin. In den folgenden Jahren arbeitete Cornelia Klauß als Journalistin und in der Kinoprogrammleitung des Filmkunsthauses Babylon (1990-2003). Parallel und bis heute tätig für das Internationale Kurzfilmfestival Oberhausen und das Leipziger Dokumentarfilmfestival. Als Regisseurin mehrere Filme realisiert, die sich mit „dem anderen Leben in der DDR“ beschäftigen. Erste Zusammenarbeit mit dem Museum Lichtenberg 2006: „Zeitmagneten – Eine filmische Zeitreise durch Lichtenberg in 12 Kapiteln“, eine Videoinstallation. 2008/2009 beteiligt als Rechercheurin und Co-Regisseurin bei „24 Stunden Berlin“ (produziert von zero-Film für RBB/Arte). Zurzeit Dramaturgin für Dokumentarfilme und Autorin für Radiofeature. Die Ausstellung „Unerkannt durch Freundesland“ ist eine Fortsetzung des gleichnamigen Dokumentarfilms, der 2006 für den RBB entstand.

Ausstellungsgestaltung und Architektur: Karl Karau (*1952 in Schleswig-Holstein) schloss sein Studium an der FH und der Hochschule für bildende Künste Hamburg 1990 mit einem Diplom in Architektur und Stadtplanung ab. Von 1990 bis 1996 arbeitete er im Büro Helmut Riemann in Lübeck an der Entwicklung und Umsetzung verschiedenster klassischer Architekturprojekte (1994-1996 Büroleitung). Seit seinem Umzug nach Berlin 1996 ist Karl Karau als freischaffender Architekt vorwiegend im Bereich der Entwicklung und Umsetzung kommunikativer Architekturen tätig (Ausstellungen, Markenarchitektur und Themenwelten). Projektauswahl: 2009 Jan Pappelbaum, Bühnen/Stages, eine Ausstellung im Architekturmuseum Oslo 2001-2002* „HappyEnd“, Pavillon der Zürich Versicherungsgesellschaft, Expo 02 in Biel, Schweiz 1998-2000* “Planet m. Medien für Menschen”, Pavillon der Bertelsmann AG, EXPO 2000 Hannover 1997 – 1998* “Der Traum vom Sehen. Zeitalter der Televisionen”, eine Ausstellung im Gasometer Oberhausen.
Begleitende Vorträge mit Christian Halbrock, Christian Hufen, Christian Noack und Carlo Jordan sowie Kurzfilme: 22.06.2010, 19 Uhr im Zeughauskino, Unter den Linden 2, 10117 Berlin

Gefördert wird die Ausstellung vom Hauptstadtkulturfonds und vom Museum Lichtenberg Unterstützt wird die Ausstellung von der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. und dem Zeughauskino.

Ein Begleitbuch erscheint im III. Quartal 2010 im Lukas Verlag, Hg. Conny Klauß / Frank Böttcher
 
 
Ausstellung:
Unerkannt durch Freundesland
Illegale Reisen durch das Sowjetreich
Eine multimediale Ausstellung mit Fotos, Filmen und Zeitzeugeninterviews
20. Juni bis 24. September 2010
Eröffnung: Freitag, 18. Juni 2010 um 18 Uhr
Museum Lichtenberg im Stadthaus
Türrrschmidtstrasse 24
10317 Berlin

Öffnungszeiten Ausstellung: Di-Fr 11:00 – 18:00 Uhr, So 11:00 – 18:00 Uhr
Feiertags geschlossen
 

Buch:

Titel Unerkannt durch Freundesland Frank Böttcher (Hg.), Cornelia Klauß (Hg.)
Unerkannt durch Freundesland (erscheint im Oktober 2010)
Lukas Verlag Berlin
350 Seiten, 150 Abb.; 15,8 x 23,5 cm; Klappenbroschur
ISBN 978-3-86732-076-4
19,80 Euro

 
(thoMas)