Foto Jonathan Heyer; aus der Serie „America in crisis“Der Swiss Photo Award 2009 – dotiert mit insgesamt 35.000 Schweizer Franken – wird just im Moment verliehen. Die Bilanz der Jury: „Ein experimenteller Umgang mit Bildsprachen, Erzählformen und Sehweisen ist im Jahr 2009 selten. Die Fotografinnen und Fotografen wie auch ihre Auftraggeber und Kunden klammern sich in einer Zeit der Unsicherheit und des Umbruchs an das Bewährte“:

Der Swiss Photo Award wurde in diesem Jahr zum 12. Mal vergeben. Er richtet sich an Fotografinnen und Fotografen mit Wohnsitz in der Schweiz und / oder Schweizer Staatsbürgerschaft. Eine internationale Jury, bestehend aus Sven Bänziger, Fotograf, Valérie Fougeirol, Director of the Magnum Gallery, Lukas Frei, Creative Director Jung von Matt/Limmat, Jule Reuter, Kunsthistorikerin und Kuratorin, sowie Jean Révillard, photographe, directeur de l’agence rezo, bewertete unter der Leitung von Walter Keller, Kurator und Publizist, Anfang Februar 499 fotografische Arbeiten und 3164 Bilder. Und das ist das Ergebnis:
 

Foto Jacek Pulawski; aus der Serie „Un weekend con un transessuale di Chiasso“

Jacek Pulawski; aus der Serie „Un weekend con un transessuale di Chiasso“

 
Jacek Pulawski gewinnt den ewz.selection-Award für die beste fotografische Arbeit der Schweiz des Jahres 2009. Er erhält das Preisgeld von 15.000 CHF für seine Arbeit „Un weekend con un transessuale di Chiasso“. „Die klassische Schwarzweißarbeit überzeugt fotografisch wie auch durch das persönliche Engagement und das ehrliche Interesse des Fotografen an der Situation von Sex WorkerInnen im Tessin.“, so die Laudatio.
 

Foto Peter Bohler; aus der Serie „Irak in der amerikanischen Wüste“

Peter Bohler; aus der Serie „Irak in der amerikanischen Wüste“

 
Der Fotopreis der SonntagsZeitung in der Kategorie Redaktionelle Fotografie geht an Peter Bohler, Los Angeles, für seine Aufnahmen aus einem US-amerikanischen Trainingscamp: „in seiner Arbeit ‚Irak in der amerikanischen Wüste‘ vermischen sich Realität und Fiktion auf verwirrende Art und Weise“.
 

Foto Denis Jutzeler; aus der Serie „Jardin idéal“

Denis Jutzeler; aus der Serie „Jardin idéal“

 
Den Kategorienpreis Free spricht die Jury Denis Jutzeler, Petit-Lancy, für seine Arbeit „Jardin idéal“ zu: „seine malerischen All-over-Aufnahmen von Wäldern sind mehr Seelenbild als Abbild des Sichtbaren – still, der Zeit enthoben, obsessiv und ehrlich“.
 

Foto Jonathan Heyer; aus der Serie „America in crisis“

Jonathan Heyer; aus der Serie „America in crisis“

 
Der Fotopreis der vereinigung fotografischer gestalterInnen in der Kategorie Werbefotografie geht an Jonathan Heyer, Zürich, der in seiner Arbeit „America in crisis“ „mit ironischem Unterton amerikanische Mythen und Allmachtsphantasien zitiert“.
 

Foto Gabi Vogt; aus der Serie „Galerie des ancêtres“

Gabi Vogt; aus der Serie „Galerie des ancêtres“

 
Den Fotopreis der Julius Bär Stiftung in der Kategorie Fine Arts vergibt die Jury an Gabi Vogts „Galerie des ancêtres“ (Zürich): „Ihre Porträts geben Menschen auf ungewohnte, irritierende Weise wieder“; die bestechende Einfachheit von Vogts Konzept überzeugte die Jury.

Die Preise sind mit jeweils 5000 CHF dotiert.
 
 
Kommentar zum Swiss Photo Award 2009

von Martin Jaeggi, freischaffender Kritiker, Kurator und Dozent

Vorbei die Lust an launigen Spielereien, vorbei die Feier von Künstlichkeit und Inszenierung um ihrer selbst willen – vergleicht man die diesjährigen Arbeitender ewz.selection mit jenen der Vorjahre, fällt sogleich der nachdenkliche, bisweilen düstere Grundton auf. Der Zeitgeist, geprägt durch Wirtschaftskrise, politische Verwerfungen und unsichere Zukunftsaussichten, findet auch in der Fotografie seinen Niederschlag. Krieg, Macht und Geschichte sind dominierende Themen.

Es geht oft um «Wahrheiten» und «Wirklichkeiten», dementsprechend sind die Bildsprachen der Arbeiten überwiegend klassischen fotografischen Konventionen verpflichtet, neue formale und mediale Ansätze finden sich nur wenige. Das Krisengefühl scheint einen bildnerischen Stillstand zu zeitigen.
 

Foto Jonathan Heyer; aus der Serie „America in crisis“

Jonathan Heyer; aus der Serie „America in crisis“
 
 
Foto Christof Schürpf; aus der Serie „Entdeckertheater“

Christof Schürpf; aus der Serie „Entdeckertheater“
 
 
Foto Andreas Zimmermann & Tobias Sutter; aus der Serie „Walzwerk“

Andreas Zimmermann & Tobias Sutter; aus der Serie „Walzwerk“

 
Nicht einmal die Werbefotografie, wesensgemäß der Verführung verpflichtet und der Frivolität verdächtig, verbreitet dieses Jahr Heiterkeit. Jonathan Heyer versinnbildlicht plakativ Amerikas Krise mit in Hollywoodmanier inszenierten Bildern von Superhelden in einer Identitätskrise: Batman trinkt einsam in einer Bar, Wonderwoman verdingt sich als Stripperin, Superman kniet ratlos auf einem Hotelbett. Christof Schürpf bewirbt das Luzerner Theater mit Figuren, die in Alltagssituationen ein Licht entdecken. Doch das Helldunkel der Bilder, der nachdenkliche Gesichtsausdruck der Protagonisten lassen diese Erleuchtungen ominös erscheinen, es bleibt ungewiss, ob sie ein Anlass zur Freude sind. Im Vergleich wirken die Bilder eines umgenutzten Walzwerks von Andreas Zimmermann und Tobias Sutter fast schon verdächtig harmlos. Der Tilt-Shift-Effekt, mit dem sie ihre Bilder aufhübschen, bleibt wie fast immer eine beliebige Spielerei.
 

Foto Meinrad Schade; aus der Serie „Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?“

Meinrad Schade; aus der Serie „Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?“
 
 
Foto Reto Albertalli; aus der Serie „Berlin: der Todesstreifen zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer“

Reto Albertalli; aus der Serie „Berlin: der Todesstreifen zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer“
 
 
Foto Peter Bohler; aus der Serie „Irak in der amerikanischen Wüste“

Peter Bohler; aus der Serie „Irak in der amerikanischen Wüste“
 
 
Foto Nicolas Righetti; aus der Serie „Calvin World – 40 portraits sur 5 continents“

Nicolas Righetti; aus der Serie „Calvin World – 40 portraits sur 5 continents“

 
Krieg und die Schatten der Geschichte treiben die Beiträge in der Kategorie Redaktionelle Fotografie um. Meinrad Schade hat in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion Feiern des Sieges im Zweiten Weltkrieg besucht. Die Bilder spielen geschickt mit der immer noch gegenwärtigen stalinistischen Propagandaästhetik der Monumente und Aufmärsche, lassen sie zugleich bombastisch surreal und bedrückend wirklich erscheinen. Der Sichtbarkeit / Unsichtbarkeit des Mauerverlaufs in Berlin, zwanzig Jahre nach der Wende, spürt Reto Albertalli in verhaltenen, entsättigten Bildern nach, deren Wintertristesse freilich ein wenig klischiert anmutet. Natürlich darf auch der Irakkrieg nicht fehlen: Peter Bohlers nachgebaute irakische Dörfer in der amerikanischen Mojave-Wüste, in denen Krieg geprobt wird, wirken zwar verstörend, doch die aalglatte Professionalität der Bilder mindert ihre Wirkung, ihre Zeitschriftenästhetik wirkt fast aufdringlich neutral. Nicolas Righetti porträtierte Menschen in fünf Kontinenten, die den Namen «Calvin» tragen, eine Aufgabe, die er einfallsreich und lustvoll löst, wobei sich Sinn und Zweck des Unterfangens nicht erschließen. Ein Erkenntnisgewinn mag sich nicht einstellen.
 

Foto Luca Zanier; aus der Serie „ Räume der Macht“

Luca Zanier; aus der Serie „ Räume der Macht“
 
 
Foto Peter Püntener; aus der Serie „Totenklage“

Peter Püntener; aus der Serie „Totenklage“
 
 
Foto Annette Boutellier; aus der Serie „Change we need“

Annette Boutellier; aus der Serie „Change we need“
 
 
Foto Nico Schärer; aus der Serie „Urban Jungle“

Nico Schärer; aus der Serie „Urban Jungle“
 
 
Foto Denis Jutzeler; aus der Serie „Jardin idéal“

Denis Jutzeler; aus der Serie „Jardin idéal“
 
 
Foto Patrik Fuchs; aus der Serie „Wetterseite“

Patrik Fuchs; aus der Serie „Wetterseite“

 
Auch in der Kategorie Free setzt sich die Beschäftigung mit Macht und Krieg fort. Luca Zaniers «Räume der Macht» sind Orte, an denen Regierungen, Parteien, Konzerne, internationale Organisationen ihre Entscheide fällen. Er fotografiert sie, meist zentralperspektivisch, aus dem Blickwinkel eines Teilnehmers, der mittendrin sitzt, und verleiht den Räumen so bildliche Gegenwart. Die oft bizarr popmodernistische Architektur der Macht wird pointiert als Inszenierung von Ideologie lesbar gemacht. «Totenklage» von Peter Püntener präsentiert Kleider von Kriegsopfern, ganz der Rhetorik von Oliviero Toscanis Benetton-Werbekampagnen verpflichtet. Annette Boutelliers Bilder von Obama-Wahlkampfmerchandise, Ausdruck der messianischen Fantasien, die er erregte, wirken fast schon nostalgisch ob der prosaischen Realitätseiner Präsidentschaft. Selbst Naturbilder haben dieses Jahr einen apokalyptischen Unterton: In «Urban Jungle» simuliert Nico Schärer eine menschenleere Stadt, die von der Natur zurückerobert wird, Science-Fiction-Ästhetik wird zum Werkzeug einer doppelbödigen Zeitkritik. Denis Jutzeler deutet seinen inneren «Jardin idéal» durch All-over-Bilder von Gras, Gesträuch und Gebüsch an, spätherbstliche Natur, die sich in reines mattfarbenes Linienspiel wandelt. In der Tradition becherscher Typologien stehen die Scheunenbilder von Patrik Fuchs, denen jedoch die Schneelandschaften, in denen sie gezeigt werden, und die bedachte Bildbearbeitung ein ganz unbechersches Endlichkeitspathos verleihen.
 

Foto Nicholas Winter; aus der Serie „Nowy Wilanow“

Nicholas Winter; aus der Serie „Nowy Wilanow“
 
 
Foto Irina Polin; aus der Serie „My Collection“

Irina Polin; aus der Serie „My Collection“
 
 
Foto Gabi Vogt; aus der Serie „Galerie des ancêtres“

Gabi Vogt; aus der Serie „Galerie des ancêtres“
 
 
Foto Christoph Schütz; aus der Serie Gaza 2009“

Christoph Schütz; aus der Serie Gaza 2009“

 
Folgt schließlich noch die Kategorie Fine Arts, die mitunter den Willen zur Kunst (oder was man dafür hält) als nicht unproblematisch erscheinen lässt. Nicholas Winter porträtiert einen Siedlungsneubau in Polen mit dem«Chocolate Edition»-Film von Polaroid, der den Bildern eine geschmäcklerisch patinöse Anmutung verleiht, die wohl das Prädikat «Fine Art» rechtfertigen soll. Irina Polins Bilder von Objekten, die sie bei ihrer Auswanderung aus der Sowjetunion mitgebracht hat, bleiben allzu dekorativ. Die ausgeklügelten Arrangements bringen die stummen Objekte nicht zum Sprechen, sondern lenken die Aufmerksamkeit vor allem auf das Verpackungsgeschick der Fotografin. Gabi Vogts fiktive Ahnengalerie verweist auf die Porträttradition der Renaissance, die abgewandten Gesichter, oft mit geschlossenen Augen, wirken gespenstisch halbtot, erzeugen gekonnt eine Aura des Unheimlichen. Christoph Schütz ist dieses Jahr der einzige Teilnehmer, der in seiner Arbeit dezidiert fotografische Bilder und ihre Möglichkeiten hinterfragt. Er zeigt fast leere Nebellandschaften aus dem Mittelland, darunter stehen Sätze, die Krieg und Gräuel im Gazastreifen beschreiben. Die Dissonanz von Bild und Legende unterstreicht die Diskrepanz zwischen den beiden Lebenswirklichkeiten, wirft aber auch Fragen auf nach dem Sinn von Gewaltdarstellungen und dem Vermögen von Bildern, Wirklichkeit zu zeigen. Im Kontext der diesjährigen Selection funktioniert die Arbeit als dringend nötige Hinterfragung einer naiv berichtenden Fotografie.
 

Foto Jacek Pulawski; aus der Serie „Un weekend con un transessuale di Chiasso“
 
 
Foto Jacek Pulawski; aus der Serie „Un weekend con un transessuale di Chiasso“

Jacek Pulawski; aus der Serie „Un weekend con un transessuale di Chiasso“

 
Bleibt die Gewinnerarbeit dieses Jahres, Jacek Pulawskis Wochenende mit einem Transvestiten, die mich mit sehr gemischten Gefühlen zurücklässt. Gewiss, sie ist virtuos fotografiert, gut beobachtet und emotional aufgeladen – keine Frage. Nur sind Thema und Ästhetik fatal vertraut – man denkt sogleich an Christer Strömholm, an Ed van der Elsken, an Merry Alpern, an Araki und Moriyama, an Nan Goldin. Und man vermutet, dass der Fotograf diese Traditionslinie fortsetzen möchte mit seiner Neuauflage des klassischen fotografischen Topos «Prostitution in existentiellem Schwarzweiß». Fotografie wird hier zum bloßen nostalgischen Simulakrum ihrer eigenen Geschichte und ihrer Mythen, trotz oder gerade wegen ihres offenkundigen Willens zur «Authentizität», dem fotografischen Gral längst vergangener Zeiten. Die Arbeit wirft pointiert jene Frage auf, der sich nur allzu viele Fotografen entziehen: Was wäre ein zeitgemäßes Bild? Vielleicht sollten Fotografenganz einfach mehr über Bilder und weniger über die Wirklichkeit nachdenken – auch in Zeiten der Krise.

(Martin Jaeggi; mit freundlicher Genehmigung der ewz.selection)
 
 
Ausstellung
Die Ausstellung „Swiss Photo Award“ zeigt die 18 besten Arbeiten des letzten Jahres
8. bis 16. Mai 2010, täglich, 12 – 20 Uhr
ewz-Unterwerk Selnau
Selnaustrasse 25
8001 Zürich

Online
Swiss Photo Collection – enthält alle seit 2006 zum Swiss Photo Award eingereichten Arbeiten

Katalog
Swiss Photo Selection – Die Besten 2009
Der Katalog von ewz.selection erscheint im Schwabe Verlag und bietet neben 120 farbigen Bildern Projekttexte, einen Jurybericht sowie einen Kommentar zum Jahrgang.
 

(thoMas)
 

Nachtrag (8.5.2010): Wir haben oben den Kommentar von Martin Jaeggi samt weiterer Arbeiten eingefügt.