Reisen! Und Fotografieren! In diesem Monat stellen wir überraschende Fotobücher und Ausstellungen vor, die sich dem Reisen widmen. So wie Joachim Brohm, der nach Ohio gefahren ist und dort seine besten Bilder machte. So wie Gesche Jäger, die nach Ostdeutschland fuhr – und einsame Männer fand. Frida Kahlos Fotosammlung hingegen entführt uns nach Mexiko: ein Zeitdokument das erst jetzt erstmals publiziert wurde:

aus: „Frida Kahlo – Ihre Photographien“

Der Filmregisseur und -produzent Arcady Boytler, Frida und Cristina Kahlo
© 2010 Banco de México, Diego Rivera & Frida Kahlo Museum Trust, México/ courtesy Schirmer/Mosel

 
Unsere eine erste fotografische Reise führt uns in das Mexiko Frida Kahlos. Wir kennen Kahlo als Malerin, doch sammelte sie auch Fotografien. Jetzt stellt ein Buch die private Fotosammlung von Frida Kahlo vor, die ein halbes Jahrhundert ungesichtet blieb. „Frida Kahlo – Ihre Photographien“ ist ein Familienalbum, eine Ideensammlung, eine Portrait-Galerie ihrer Freunde – ein überraschendes Zeitdokument, das in engem Verhältnis zu ihrem malerischen Werk steht. Das Buch zeigt 400 Fotografien aus ihrem Besitz.
 

Collier Schorr: Arrangement #18 (Blumen), 2008

Collier Schorr: Arrangement #18 (Blumen), 2008

 
Überraschend ist auch, wie vielfältig man sich einem Thema wie „Blumen“ fotografisch nähern kann. Der Berliner Fotografie-Kurator Matthias Harder hat ein schönes Buch zu dem Thema herausgegeben. „Flower Power“ heißt es und vereinigt Arbeiten von 32 Künstlerinnen und Künstlern. Vertreten sind etwa Nobuyoshi Araki, Vera Mercer, Luzia Simons, Michael Wesely, Irving Penn oder Robert Mapplethorpe.

Eine besondere Sichtweise auf den amerikanischen Alltag offenbart uns das fotografische Werk von Joachim Brohm. Seine beste Serie „Ohio“ ist jetzt bei Steidl als Buch erschienen. Brohm ist der bedeutendste deutsche Vertreter einer (von amerikanischen Fotografen wie William Eggleston schon in den siebziger Jahren initiierten) farbigen Sichtweise auf die Welt. Betrachten wir seine Bilder, die in Ohio entstanden sind, so denken wie unweigerlich an diese Vorbilder: Wir sehen Hinterhöfe, Häuser, Autos, Werbetafeln – Szenen aus dem amerikanischen Alltag. Erst seit kurzer Zeit wird Brohm wiederentdeckt, gerade war eine größere Ausstellung in der Mainzer Kunsthalle zu sehen.
 

Foto Konrad Rufus Müller

Foto und Copyright: Konrad Rufus Müller

 
Doch es gibt sie noch, die feine, klassische Schwarzweißfotografie, wie man in der Ausstellung Konrad Rufus Müllers noch bis zum 30. Mai im Rheinischen Landesmuseum in Bonn bewundern kann (siehe auch: Mehr als das: der Kanzler-Fotograf der Bundesrepublik). Müller hat sich vor allem als Porträt-Fotograf einen Namen gemacht, arbeitet stets ohne Kunstlicht mit einer alten Rolleiflex. Zu sehen sind Politiker-Porträts, Landschaften, Stadtansichten und Stillleben. Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch im Kehrer-Verlag erschienen: Licht Gestalten – Fotografien von 1960 bis 2010.

Weniger Staatsmänner, stattdessen Musiker und Künstler zeigt das Buch „Fish of Hope“ von Nicole Zachmann. Die Baseler Fotografin versammelt in ihrem neuen Band Bilder aus der subkulturellen Basler Szene seit den achtziger Jahren – ein Zeitdokument von ganz besonderer Originalität. Erschienen ist das Buch in der Edition Patrick Frey – man sollte jedes Buch dieses Schweizer Verlags besitzen!
 

Foto Gesche Jäger

Foto: Gesche Jäger

 
Auch die 1980 in Schleswig geborene Fotografin Gesche Jäger ist eine sehr gute Porträtistin. Ihr neues Buch was tun zeigt Menschen in Ostdeutschland: Bilder, die von einem Ungleichgewicht erzählen: Denn seit 1989 haben 1,5 Millionen Menschen den Osten verlassen: „Sie traf dabei meist junge, schlecht qualifizierte Männer, die in Bildung, Entwicklung und erfolgreicher Partnersuche als unterprivilegiert gelten. Die Fotos zeigen tiefe Einblicke in einen Randbereich der deutschen Gesellschaft …“
 

Foto Roman Signer

Foto: Roman Signer

 
Ein weiteres Buch aus der Schweiz möchten wir in diesem Monat empfehlen: „When You Travel in Iceland You See a Lot of Water“ ist ein mit vielen Fotografien ausgestattetes Reisebuch des St. Gallener Künstlers Roman Signer, der seit vielen Jahren immer wieder nach Island reist. Gemeinsam mit dem isländischen Künstler Tumi Magnússon stellt er die Insel vor: in Anekdoten und Erinnerungen.

Noch ein Reisebuch soll hier vorgestellt sein. John Margolies‘ Buch „Roadside America“, gerade erschienen bei Taschen, versammelt überaus skurrile Entdeckungen, nämlich jene selbstgemalten Werbeschilder und Werbe-Architekturen, die bis heute die Landstraßen der USA säumen. Seit einigen Jahren schon sammelt John Margolies diese für die USA so typischen Exponate fotografisch. Er inszeniert sie, dokumentiert die Fundstücke am Straßenrand. Der opulente Band fasst seine schönsten Bilder zusammen. Ein herrlich nostalgisches Buch!
 

Fotos Venetia Dearden

Fotos: Venetia Dearden

 
Und noch eine weitere fotografische Reise wollen wir unternehmen. Nach Glastonbury heißt die Devise. Dahin, wo alljährlich, seit 1970, eines der größten Rockfestivals der Welt stattfindet. Die englische Fotografin Venetia Dearden hat ein Buch über Glastonbury veröffentlicht. So flüchtig wie die gezeigten Momente sind, so intensiv sind sie auch.
 

Foto Andreas Herzau

Beyoglu. Foto: Andreas Herzau

 
Von Glastonbury nach Istanbul. Der Hamburger Fotograf Andreas Herzau, Mitglied der renommierten Fotoagentur „laif“, hat seinen neuesten Band der türkischen Metropole gewidmet: eine Stadt des Umbruchs, eine Stadt der Energie. Ganz egal, ob die Menschen auf seinen Bildern arbeiten, beten oder einkaufen – sie alle sind in Bewegung.

Schon öfter haben wir über das fotografische Werk des Wiesbadener Fotokünstlers Dirk Brömmel berichtet (Schiffe, kopfüber). Eine ältere Serie ist nun als Buch erschienen, welche die Brünner „Villa Tugendhat“ zum Thema hat – ein Schlüsselbau der modernen Architektur von Ludwig Mies van der Rohe. Doch Brömmel ist kein klassischer Architekturfotograf. Seine Annäherung an den Bau ist poetisch und experimentell, wenn er Originalaufnahmen aus dem Fotoalbum der Familie Tugendhat mit eigenen Bildern zu neuen Ansichten des Ortes kombiniert.
 

Foto Samantha Dietmar

Foto: Samantha Dietmar

 
Und eine allerletzte Buchempfehlung: Ihren schmalen Fotoband hat die Berliner Fotokünstlerin Samantha Dietmar „Über vieles. Und nichts.“ genannt (die Arbeiten sind aktuell auch in der Münchener Villa Stuck zu sehen). Ein visuelles Tagebuch, das zumeist Eindrücke versammelt, die auf Reisen entstanden sind. Auch dieses: ein geheimnisvolles, poetisches Buch.

(Marc Peschke)
 

Nachtrag (3.5.2010): Zwei weitere Abbildungen eingefügt.