Der politische Umbruch in Ostdeutschland und der Fall der Berliner Mauer jähren sich in diesem Jahr zum 20. Mal. Ein Jubiläum auch für die Fotografie: Eine große Zahl von Ausstellungen beschäftigt sich derzeit mit deutsch-deutschen Verhältnissen, mit dem Umbruchs-Jahr 1989, mit der Wende und ihren gesellschaftlichen Veränderungen. Wir stellen zwei Ausstellungen vor – und zwei ganz unterschiedliche Arbeiten von Fotografinnen:

Die Teilung Deutschlands und deren Überwindung, der Mauerfall, ist Thema vieler Berliner Ausstellungen dieses Jahres. Eine der spannendsten wird vom 6. November bis zum 7. Februar im Ephraim-Palais des Berliner Stadtmuseums zu sehen sein: Es geht hier um die Überwindung der Teilung im Medium Bild, wobei beinahe alle künstlerischen Gattungen präsentiert werden. Dokumentarfotografie, Fotokunst, Malerei, Skulptur, Grafik, Videokunst und Installation werden zu sehen sein – eine Vielfalt künstlerischer Techniken, der eine andere Vielfalt gegenübersteht, wie die Ausstellungsmacher ankündigen: „Die Beteiligung dreier Künstlergenerationen aus konträren politischen Systemen lassen ein Kaleidoskop unterschiedlicher Wahrnehmungen und Interpretationen entstehen.“
 

Foto Hans W. Mende, Potsdamer Platz, 1978-79

Hans W. Mende, Potsdamer Platz, 1978-79; © Stadtmuseum Berlin
 
 
Arbeit: Hans Ticha, Applaudierendes Podium, 1979

Hans Ticha, Applaudierendes Podium, 1979; © Stadtmuseum Berlin
 
 
Foto: Vincent Trasov, Ancient Regime, 1990

Vincent Trasov, Ancient Regime, 1990; © Stadtmuseum Berlin
 
 
Foto: Kain Karawahn, Berlin brennt

Kain Karawahn, Berlin brennt – Feueraktion am Potsdamer Platz, 1984; © Stadtmuseum Berlin
 
 
Foto: Kai Olaf Hesse, Maueroeffnung, 1989

Kai Olaf Hesse, Maueröffnung, 1989; © Stadtmuseum Berlin

 
Die Ausstellung trägt den Titel „FALLMAUERFALL / 61-89-09“ – sie setzt mit dem Mauerbau am 13. August 1961 ein. Ein besonderes dokumentarisches Zeugnis sind die Mauer-Farbdias des Westberliner Rundfunkjournalisten Rolf Goetze. Shinkichi Tajiiri dagegen hat einen Film über einen Helikopter-Rundflug entlang der Grenze realisiert. Weitere fotografische Zyklen von Kai-Olaf Hesse, Karl-Ludwig Lange und Hans W. Mende untersuchen die Veränderungen nach dem Mauerfall. Eine der eindringlichsten Arbeiten der Ausstellung stammt von einem Holländer: Martin Roemers’ Serie „Relics of the Cold War“ zeigt bizarre Luftstützpunkte, Waffenarsenale, Bunkeranlagen, Trainingslager und Versorgungseinrichtungen in ganz Europa – ein Memento mori der europäischen Teilung.

Ganz fokussiert auf das Medium Fotografie ist die Ausstellung „Szenen und Spuren eines Falls. Die Berliner Mauer im Fokus der Photographen“, die bis zum 6. Dezember in der Stiftung Brandenburger Tor – Max Liebermann Haus – zu sehen ist: 200 Arbeiten von 21 Fotografen und Fotografinnen, die von der Zeitenwende erzählen. Kuratiert von Matthias Harder von der Helmut Newton Stiftung Berlin versammelt die Schau Werkgruppen und Einzelbilder von Wilfried Bauer, Wolfgang Bellwinkel, Sibylle Bergemann, Thierry Buignet, Dietmar Bührer, Norbert Enker, Thomas Ernsting, Harald Hauswald, Kai-Olaf Hesse, Karl-Ludwig Lange, André Kirchner, Barbara Klemm, Eberhard Klöppel, Werner Mahler, Hans W. Mende, Nelly Rau-Häring, Karsten de Riese, Gilles Peress, Regina Schmeken, Ralf Schuhmann und Maurice Weiss.
 

Foto: Hans W. Mende, Checkpoint Charlie, Berlin, 9. November 1989

Hans W. Mende, Checkpoint Charlie, Berlin, 9. November 1989
 
 
Foto: Wolfgang Bellwinkel, Grenzöffnung in Thüringen, aus der Serie Wendezeit, Frühjahr 1990

Wolfgang Bellwinkel, Grenzöffnung in Thüringen, aus der Serie Wendezeit, Frühjahr 1990

 
Allesamt, wie der Kurator sagt, „Dokumente von hoher historischer Signifikanz“: Bilder von innerdeutschen Verbrüderungen, im Hintergrund die Mauer, Bilder von Grenzbeamten, in deren Gesichtern sich bereits der Zeitenwechsel ankündigt. Bilder, die um die Welt gingen: „Die internationale Medialisierung dieses Ereignisses, die in manchen dieser Aufnahmen thematisiert wird, offenbart die weltpolitische Bedeutung des Mauerfalls in Berlin.“

Im Zentrum der Schau steht natürlich die Mauer selbst. Das schlichte Grau im Osten, die bunten Bemalungen im Westen. Die Mauer an prominenten Orten – oder an abgelegenen Stellen. Jeder der Fotokünstler hat eine individuelle Handschrift – in der Summe werden die Stimmen zu einem Chor, der die vielen Facetten des Sujets auszudrücken weiß: journalistische Reportage-Fotografie, Architekturbilder, Porträts. Mal dramatisch, dann lakonisch ins Bild gebracht. Mal engagiert, dann distanziert. Alles in allem eine faszinierende Studie deutsch-deutscher Befindlichkeit. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Berliner Nicolai-Verlag erschienen, der die Fotografien mit Texten von Monika Grütters, Norbert Lammert und Matthias Harder vereinigt. Ein überaus faszinierendes Ausstellungsprojekt zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.
 

Fotos: Bettina Cohnen, Ablenkung 1-4

Bettina Cohnen, Ablenkung 1-4

 
Schnitt. Nun etwas ganz anderes: Die fotografische Selbstinszenierung ist ein spannender Zweig der Fotokunst. Auch die 1973 in Bielefeld geborene Bettina Cohnen benutzt diese Technik. Im Rahmen eines Stipendiums machte sich sie auf die Suche nach deutscher Kultur in den USA. Sie besuchte für ihre Serie „Reminiszenzen“ deutschstämmige Amerikaner und Amerikanerinnen, die sich in Schützen- und Heimatvereinen organisiert haben – hinterfragt Klischees von Heimat und Tradition, die sich hier in offensichtlicher Inszenierung erschöpfen. Oft sind es stark klischierte Rollenbilder, die Cohnen auf ironische Weise in Szene setzt – vor allem um die Konstruktion dieser Bilder offen zu legen. Was ist das Authentische? Fragt sie in ihrer Kunst, auch wenn sie aufwändig arrangierte Selbstporträts anfertigt – als Zitat berühmter Fotografen und Fotografinnen wie Weegee, Thomas Ruff, Helmut Newton, Nan Goldin oder Cindy Sherman. Im Kerber-Verlag ist jetzt ein erster monografischer Katalog erschienen, der den treffenden Titel „Reality is Overrated“ trägt. Die Publikation erscheint anlässlich der aktuellen Ausstellungen in der Halle für Kunst Lüneburg und im Kunstverein Hildesheim.
 

Foto: In Sook Kim, Saturday Night
 
 
Foto: In Sook Kim, Saturday Night
 
 
Foto: In Sook Kim, Saturday Night

In Sook Kim, Saturday Night

 
Weniger faszinierend ist das Buch „Saturday Night“ der 1969 geborenen südkoreanischen Fotografin In Sook Kim – erschienen bei Hatje Cantz. Der Aufwand, den sie für ihre Fotoinszenierungen betreibt, ist enorm, doch die Abgründe menschlichen Daseins finden wir kaum auf diesen Bildern. Die erleuchteten Fenster einer Hochhausfassade geben den Blick frei auf wüste Orgien, einsame Menschen, Eifersuchtsdramen und Alkohol-Exzesse, doch uns Betrachter berührt das alles auf sonderbare Weise nicht. Hier sind Schauspieler am Werk, wir wohnen einer professionellen Foto-Inszenierung bei. Auch diese Arbeit fragt: Was ist das Authentische? Gibt aber keine Antwort.

(Marc Peschke)