Ausschnitt aus einem Foto von Christine Erhard: Haus des Weinbauern… ist mehr von Bildern als durch eigene Erfahrungen geprägt – sagt Christine Erhard, eine der interessantesten jüngeren Fotokünstlerinnen Deutschlands:

Die Düsseldorferin, 1969 in Crailsheim geboren, studierte von 1992 bis 1998 an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wir sprachen mit ihr:

photoscala: Liebe Christine Erhard, Sie haben von 1992 bis 1998 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler studiert, in einer Klasse für Bildhauerei. Was zeichnete seine Lehre aus?

Christine Erhard: Seine Lehre war nicht auf ein bestimmtes Medium festgelegt. Fritz Schwegler befähigte die Studenten, die eigene Motivation und das eigene künstlerische Wollen zu formulieren und zu erarbeiten. Ganz wichtig war die beharrliche Arbeit. Nur durch die Auseinandersetzung mit einem Werk war ein Weiterkommen möglich. Dabei war nicht von Bedeutung, mit welchen Mitteln man arbeitete, am Wichtigsten war die Stimmigkeit in sich und die Authentizität, die in einem Werk spürbar werden sollte.

photoscala: Lassen Sie uns über den Werkprozess sprechen, der bei Ihren Arbeiten sehr wichtig ist. Sie beginnen mit dem Aussuchen fotografischen Materials. Das können eigene Bilder sein – oder fremde. In einem nächsten Schritt isolieren Sie Elemente dieser Bilder und bauen aus digital bearbeiteten Foto-Oberflächen und anderen Materialien dreidimensionale Raummodelle, die Sie danach fotografieren. Am Ende des langwierigen Prozesses steht also wieder eine Fotografie. Wie wichtig ist Ihnen dieser so handwerkliche Prozess?
 

Foto Christine Erhard: Durchgang zur Terrasse, 2003

Christine Erhard: Durchgang zur Terrasse, 2003

 
Christine Erhard: Sehr wichtig. Mit meiner Methode, Fotografien herzustellen, wird die Konvention, nach der die Kamera im Bruchteil einer Sekunde das Bild eines Gegenstandes anfertigt, konterkariert. Hier fertigt die Kamera im Bruchteil einer Sekunde das Bild eines Gegenstandes an, der nur zum Zweck des Fotografierens hergestellt wurde. Die Herstellung dieses Bildgegenstandes ist dagegen ein langwieriger handwerklicher Prozess, der die Bildproduktion extrem verlangsamt. Dieses Verfahren verhält sich also genau gegenläufig zu dem immer schneller werdenden medialen Verwertungskreislauf des fotografischen Bildes.

Foto Chrisine Erhard: Gehege, 2007

photoscala: Collage und Montage, das sind zwei Stichworte aus der Geschichte der Kunst, Leitmotive der Moderne, die auch in Ihrem Werk sehr wichtig sind. Was bedeuten sie Ihnen?

Christine Erhard: Collage und Montage ziehen sich durch mein gesamtes künstlerisches Werk. Meine ersten Versuche, ein Bild von dreidimensionalem Ausgangsmaterial zu erzeugen, welches reine Reproduktion im zweidimensionalen Sinne ist, waren Collagen, die – ähnlich wie meine Modelle von heute – ausschließlich zum Zwecke ihrer fotografischen Reproduktion entstanden. Fotografien wurden reproduziert durch etwas, was kein Foto ist – eine Papiercollage. Diese Collage wurde ihrerseits abfotografiert, so dass das entstandene Bild seinen Bildgegenstand und sein ursprüngliches Bildmedium nur noch indirekt in sich trägt, überlagert von dem Ergebnis eines handwerklichen Prozesses, dem Collagieren.

photoscala: Sie haben Ihren Bildern stets sehr einfache Titel gegeben, wie etwa „Die Gartenterrasse“ oder „Die Garagenzufahrt“. Waren Sie nie in Versuchung, poetischere Titel zu finden?

Christine Erhard: Nein. Die Titel sollen den Bildgegenstand lediglich typologisch einordnen. Es soll keine Assoziation auf sprachlicher Ebene über das Bild gelegt werden.

photoscala: Früher waren es Foyers, Eingangshallen, Dachterrassen, Fassaden, vertraute Allerweltsorte, die sie zeigten. Warum? Wollten sie die tatsächliche Existenz dieser oft so leeren, emotionslosen Orte ironisieren? Und warum waren diese Orte stets menschenleer?

Foto Christine Erhard: Der Bürobau

Christine Erhard: Die genannten Bilder rekonstruieren meist ein konkretes historisches Vorbild. Bei dem Bild „Die Dachterrasse“ handelt es sich zum Beispiel um die Rekonstruktion der Dachterrasse auf einem der Doppelhäuser von Le Corbusier und Pierre Jeanneret in der Weissenhofsiedlung Stuttgart. Viele meiner Fotografien aus dieser Reihe sind in Auseinandersetzung mit der Abbildungsgeschichte von Architektur entstanden. Am Bauhaus und in Vorläufern im Werkbund erlangte die Architekturfotografie als Darstellungsmedium des „Neuen“ – Neues Bauen, Neues Sehen, Neue Sachlichkeit – eine enorme Bedeutung. In dieser Zeit entwickelten Architekten spezifische Strategien des Umgangs mit dem fotografischen Medium. Sie benutzten so das Medium der Fotografie um ihr Idealbild einer neuen Architektur zu propagieren. Es entwickelten sich Darstellungsformen, die schließlich stilbildend gewirkt haben. Dieses fotografische Ausgangsmaterial interessiert mich in seiner Rolle als Darstellungsmedium. Die Orte waren menschenleer, da diese Bilder keine Bezugsgröße brauchten.

photoscala: Ute Eskilden hat einmal geschrieben, Ihre Arbeiten würden sich „eindeutig als Konstrukte, als Entwürfe virtueller Räume“ präsentieren. Geht es tatsächlich darum, die Konstruiertheit der Bilder offenzulegen?

Christine Erhard: Es gibt bei den meisten meiner Fotografien Hinweise darauf, dass diese konstruiert sind. Bei den jüngeren Arbeiten gehe ich noch einen Schritt weiter und lege dieses Prinzip offen, indem die gebauten Objekte in den Realraum übergehen und eine direkte Verbindung eingehen.

photoscala: „An einem Bild interessiert mich die Reproduktion einer Reproduktion, an deren Ende ein durchkomponierter, völlig neuer Bildraum steht“, haben Sie einmal geschrieben. Es geht darum, etwas Neues zu erschaffen?

Christine Erhard: Meine Fotografien der letzten Jahre sind von der Überzeugung geprägt, dass Kunsterfahrung heute vorwiegend durch das Medium der fotografischen Reproduktion vermittelt ist, wie auch unsere Vorstellungswelt mehr von Bildern als durch eigene Erfahrungen geprägt ist. Von dieser Überzeugung ausgehend arbeite ich vor allem mit reproduziertem Bildmaterial. Es geht also nicht so sehr darum, wirklich etwas „Neues“ zu erschaffen, als vielmehr darum, eine neue Sichtweise auf das bereits „Bekannte“ zu entwickeln.

photoscala: Eine weitere Bildserie waren Stereobilder. Um was ging es Ihnen dabei?

Christine Erhard: Die Stereobilder lassen eine stereoskopische, also dreidimensionale Betrachtung des aufgenommenen Bildgegenstandes zu, und führen umso deutlicher vor Augen, dass Bilder der Wirklichkeit letztendlich in unserem Gehirn entstehen.

photoscala: Früher prägte ein sehr nüchterner, sachlicher, beinahe aseptischer Blick ihre Arbeiten. Das scheint sich seit einiger Zeit zu verändern. Ihre neuen Werke wie etwa „Der Bürobau“ oder „Haus des Weinbauern“ wirken in der Komposition chaotischer, auch skulpturaler. Zudem kombinieren Sie die Architekturelemente mit Möbeln und Requisiten. Sie sind nun ungleich fiktionaler.
 

Foto Christine Erhard: Haus des Weinbauern

Christine Erhard: Haus des Weinbauern, 2009

 
Christine Erhard: Durch die Vermischung von Realraum und gebautem Raum kann der Blick zwischen der Seherwartung und dem tatsächlichen Bild hin und herwandern. Ich will das Bild der Realität nicht deckungsgleich wiedergeben, sondern mit anderen Mitteln ein ähnliches Bild erzeugen. Die oben genannten Fotografien stellen den Versuch dar, mit den vorgegebenen Konstanten fotografischer Bilderzeugung – Strahlen dringen durch die Linse und schaffen ein linearperspektivisches Bild auf einer Ebene – zu brechen und das Mittel der Fotografie einzusetzen, um damit eine andere Raum – und Bildwahrnehmung zu erzeugen.

photoscala: Sie sind Bildhauerin und Fotografin, ergänzen zwei Sphären zu etwas Neuem. Man kann sagen: zu einer neuen Raumerfahrung. Wie nehmen Sie denn ganz persönlich Räume wahr? Etwa, wenn Sie durch Düsseldorf laufen?

Christine Erhard: Ich gehe meist mit einer bestimmten Zielsetzung durch die Stadt und betrachte oder fotografiere die Dinge vor dem Hintergrund dessen, woran ich gegenwärtig arbeite. Einzelne Teile fließen dann in meine aktuelle Bildproduktion ein. Die Stadt dient gewissermaßen als Fundus für meine Bilder.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
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Christine Erhard

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