Sabine Dehnel; aus der Serie „Dazwischen“Sabine Dehnel, die an der Schnittstelle von Malerei und Fotografie arbeitet, über die Konfrontation mit der eigenen Existenz, über Bilder und Ereignisse, die an die Oberfläche, und also ins Bewusstsein, gelangen, über ihre Arbeit:

Sabine Dehnel, 1971 in Ludwigshafen geboren, studierte 1993 bis 1999 Bildende Kunst an der Akademie für Bildende Künste in Mainz, danach ein Jahr am Otis College of Fine Arts and Design in Los Angeles. Die vielfach ausgezeichnete Malerin und Fotografin lebt in Berlin und arbeitet an der Schnittstelle von Malerei und Fotografie. Marc Peschke sprach mit ihr:

photoscala: Lassen Sie uns zuerst über zwei ganz neue Fotoserien sprechen. “Portrait I-XIII“ aus dem Jahr 2008 zeigt Frauen mit verschiedenen Kopfbedeckungen. Das Überraschende ist: Sie offenbaren nicht die Gesichter Ihrer Protagonisten. Warum?
 

Sabine Dehnel; Serie „Portrait“

Sabine Dehnel; Serie „Portrait“

 
Sabine Dehnel: Die unterschiedlichen Frisuren und Accessoires verweisen auf einen bestimmten Typus von Frau, den der Betrachter zu kennen meint. So können die Frauen ganz viele Gesichter haben – je nachdem, wer sie anblickt. Portraits unterliegen jeher bestimmten Darstellungsnormen – meistens dem Dreiviertelprofil. Ich nehme das auf, führe es gleichzeitig doch ad absurdum und zeige damit, das Individualität und Typus durch Normen kaum zu trennen sind.

photoscala: Haben Sie auch für diese Serie eine malerische Vorlage benutzt?

Sabine Dehnel: Ja klar! Die Fotografie würde ohne die Malerei nicht existieren. Es geht mir ja um das Überschreiben, um das Übermalen eines Momentes. Was ich in meinem ständigen Hin und Her zwischen den Medien praktiziere, weist Parallelen zum Prozess des Erinnerns auf. Gemeint ist der Umgang mit eigenen Erlebnissen und daraus resultierenden autobiografischen Bildern, die uns immer wieder begleiten und schließlich zu einem ganz persönlichen Bildarchiv werden.

Sabine Dehnel; Birte

photoscala: Es gibt eine weitere neue Fotoserie, bei der sie eine Frau in einer Turnhalle zeigen. Genauer gesagt: Sie zeigen Ausschnitte von Turnhallenböden, die im Studio nachgebaut sind. Was interessiert Sie an diesen Orten?

Sabine Dehnel: Nachdem sich meine Protagonisten lange in kargen Winterwäldern befanden, war ich auf der Suche nach einem Innenraum, der öffentlich ist und somit von vielen Menschen erlebt wird. Die Idee kam durch meine eigene Biografie. Als Jugendliche bespielte ich mit unterschiedlichen Volleyballmannschaften unzählige Turnhallen. Nach dem Abitur habe ich ein Jahr für eine Mannschaft in Amsterdam gespielt und dabei von einigen Städten in den Niederlanden fast nur die Turnhallen kennengelernt. Eine Ausstellung in Amsterdam Ende 2007 war dann der Anlass, eine Sportstätte von damals erneut aufzusuchen. Ich habe die Turnhalle zum ersten Mal visuell wahrgenommen. Die Spielfeldmarkierungen hatten plötzlich etwas von einer großen konkreten Zeichnung – sie erinnerten mich an Schnittmuster und die Unterlagen von Brettspielen. Ein „schräger“ Raum an sich – fast schon ein „Kunstraum“. Fast wie ein auf den Boden projizierter Van Doesburg oder Mondrian.

photoscala: Bei dieser Serie ist eine Frau zu sehen, die zwischen gespannten Gymnastikbändern Sport treibt. Es steckt etwas Bedrohliches darin – vielleicht ist es der labyrinthische Effekt. Ist diese Sportlerin gefangen? Sie scheint stets an neue Grenzen zu stoßen.

Sabine Dehnel: Durch den 3-fachen Überschreibungsprozess der Bilder haben sich die Linien plötzlich vom Hallenboden gelöst und wurden für die Fotoinszenierung im Atelier quer durch den Raum gespannt. Das Agieren der Frauen lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Es ist eine Mischung aus rhythmischen Bewegungen, die ein ausgelassenes Hochgefühl hervorrufen können, und auch zugleich ein aggressives Verhalten – eine Art Befreiungsschlag.

Sabine Dehnel; Linda

photoscala: Typisch für diese Arbeit ist: Sie hat sich aus einer Malerei ins Fotografische entwickelt. Bitte erläutern Sie doch diesen Prozess.

Sabine Dehnel: Eine bildliche Vorlage wird von einem Medium in ein anderes Medium übertragen: Der Weg der Umwandlung führt vom Trivialfoto und der daraus resultierenden Fotocollage über die Malerei zum nachgebauten „lebendigen Bild“ einer temporären Installation, ehe er schließlich in einem C-Print endet. Während die Malerei in das Medium Fotografie zurückgeführt wird, aus dem sie ursprünglich hervorgegangen ist, wird das Foto wie eine Matrix überschrieben, umformuliert und neu besetzt.

photoscala: Aus einer Fotografie entsteht bei Ihnen Malerei – und daraus, vielleicht nach eins, zwei Jahren, wird eine aufwändige Foto-Inszenierung. Warum bedienen Sie sich immer wieder aus Ihrem eigenen Bildrepertoire?

Sabine Dehnel: Die Bilder werden von mir immer wieder neu und weiter verarbeitet. Ähnlich wie Bilder im Kopf – Erinnerungen an Momente, die nie authentisch und stets im Wandel begriffen sind. Denn Bilder und Ereignisse, die an die Oberfläche, und also ins Bewusstsein gelangen, verändern sich je nach Gefühlslage in Nuancen. Letztendlich überlappen biografische Ereignisse und Fiktionen in unserem Kopf zu einer neuen Realität. Es geht mir dabei um die Sensibilisierung der Wahrnehmung von Bildkonstruktionen, und damit um das Wesen von Erinnerung. Hierbei gibt es einen Bilderstamm, der einerseits durch Motive erweitert wird – und in dem andererseits Motive verblassen.

photoscala: In Ihrer inszenierten Fotografie kommen Malerei, Skulptur und Bühnenbildnerei zusammen. Sie bauen ganze Kulissen für Ihre Foto-Inszenierungen, schminken ihre Protagonisten – Sie lieben das Handwerkliche in der Kunst, oder?

Sabine Dehnel: Vielleicht ist es eine Zusammenarbeit zwischen Intellekt und Lust … Das direkte Eingreifen mit Hand, Pinsel und anderen Utensilien ist genauso wichtig wie die konzeptionelle Weiterentwicklung. Diese verschiedenen Techniken und Materialien stellen für mich Bearbeitungsmöglichkeiten dar, um meinen Objekten, Utensilien und Kleidungsstücken die passende Textur zu geben.

photoscala: Der Mensch ist immer Thema bei Ihnen, wenngleich oft nur als Fragment, als Anschnitt im Bild.

Sabine Dehnel: Weniger das auf den ersten Blick Sichtbare als das, was das Wesen Mensch ausmacht ist für mich immer wieder geheimnisvoll anziehend: die Konfrontation mit der eigenen Existenz und die Reflexion aus einer sehr subjektiven Perspektive heraus. Durch die Fragmentierung lenke ich den Blick des Betrachters auf die mir wichtigen Details.

photoscala: Ihre Fotoserie „Dazwischen“ zeigt eine junge Frau mit gesenktem Blick – inmitten von sieben verschiedenen, selbst gebauten Kulissen. Mal in einem Wald, dann in einer Blumenwiese, dann zwischen bunten Kunststoffbändern – oder zwischen einem Schwarm von Möwen.
 

Sabine Dehnel; Serie „Dazwischen“

Sabine Dehnel; Serie „Dazwischen“

Sabine Dehnel: Ja, die junge Frau ist gefangen, fast schon eingeklemmt. Sowohl körperlich als auch gedanklich befindet sie sich in einem Zwischenbereich.

photoscala: Ein anderer Themenschwerpunkt sind Ihre Waldbilder, wie etwa „Heimweg I-VI“. Aus ihnen spricht die Verlorenheit des Menschen in einer geheimnisvoll-düsteren Natur. Ist der Wald ein Ort des Grauens?

Sabine Dehnel: Das Motiv „Wald“ ist für jeden von uns durch Märchen, Sagen und Filme besetzt, hinzu kommt die persönliche Begegnung in der Natur und, mit der Natur. Die Bilder haben ein stark erzählerisches Moment, nehmen jedoch nichts vorweg. Ich hoffe dieses Moment verbindet sich mit den subjektiven Erfahrungen des Betrachters und endet in einem Kriminalfilm oder in einem Familienausflug. Geheimnisvoll – , manchmal positiv sinnlich, mitunter düster oder gar grausam.

Sabine Dehnel: Grüner Salon IV

photoscala: Eine andere Arbeit ist die Serie „Grüner Salon“.

Sabine Dehnel: Hier geht es um den Tanz als nonverbale Kommunikation: ein Paar, zwei Personen, eine Frau und ein Mann. Die beiden verfolgen kein nutzorientiertes Ziel, es geht darum, über die rhythmische Bewegung in einen beschwingten und gelösten Zustand zu kommen. -Ich frage mich, ob die Menschen schon immer getanzt haben!- Eine Paarbeziehung ist an unterschiedliche Rituale geknüpft, eines davon kann der Tanz sein. Vielleicht, um die Bindung der beiden Partner zu stärken?

photoscala: „Die Künstlerin kann nicht als Regisseurin außen vor bleiben, sondern gerät in die Rolle einer Täterin“, war einmal in einem Text von Sigrun Hellmich über Sie zu lesen. Wie eng ist Ihr Werk mit Ihrer Autobiografie verknüpft?

Sabine Dehnel: Ich bin immer wieder mit den eigenen Sehnsüchten und Ängsten konfrontiert. Etwas von diesen Momenten ist natürlich in der eigenen Arbeit zu finden. Es geht mir um eine neue Bebilderung – das Überschreiben von Erinnerungen. Ich finde, es ist ein schöner und erlösender Gedanke, dass ein Bild im Kopf einen neuen Rahmen bekommen kann und somit anders in die Geschichte eingebettet wird.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
Ausstellung:
The Non-Age
Kunsthalle Winterthur
7. Juni bis 25. Juli

Informationen:
Sabine Dehnel
Galerie Esther Woerdehoff
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