Foto Hans Watzek… die Gründung einer Photogalerie reiner Wahnsinn. – Rudolf Kicken, dessen Berliner Galerie heute zu den bedeutendsten Photogalerien weltweit zählt, über seine Anfänge in den 70ern, über Photographie und Kunst, und über den Markt einst und heute:

Rudolf Kicken; fotografiert von Harald Thierlein

photoscala: Herr Kicken, seit 1974 arbeiten Sie als Galerist. Das ist in der schnelllebigen Welt der Kunst ziemlich ungewöhnlich. Woher haben Sie den langen Atem?

Rudolf Kicken: Die Liebe zur Photographie war schon früh da. Ich hatte mich sogar für einen Studienplatz an der Folkwang-Schule in Essen beworben, diesen dann aber zugunsten des VWL-Studiums nicht angetreten. Nach einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA habe ich die eigene Künstler-Karriere jedoch aufgegeben – mein Talent hätte für eine ernsthafte Künstler-Laufbahn vermutlich nicht gereicht. Stattdessen machte ich in New York ein Praktikum bei der Light Gallery und konnte sie überzeugen, mich als Repräsentant ihrer Galerie in Europa zu verpflichten. So konnte ich meine Affinität zur Photographie weiter pflegen.

photoscala: Als Sie Ihre erste Galerie eröffneten, wurde noch darüber diskutiert, ob die Fotografie überhaupt Kunst sein könne. Sie haben den Aufstieg der Fotografie miterlebt, die heute selbstverständlicher Teil des Kunstmarktes ist. Nicht nur miterlebt, sondern selbst stark beeinflusst! Woher nahmen Sie Mitte der Siebziger den Mut, eine Galerie für Fotografie zu eröffnen?

Rudolf Kicken: Wirtschaftlich betrachtet war die Gründung einer Photogalerie zur damaligen Zeit reiner Wahnsinn. Anderen Leuten für viel Geld Photos zu verkaufen war sogar recht schwierig. In den 80ern konnte ich ein Helmut-Newton-Polaroid noch nicht einmal für 300 Dollar verkaufen. Heute ist so ein Stück über 100.000 Dollar wert. Ich war jedoch schon damals der Überzeugung, dass Photographie ohne Einschränkungen, und gleichberechtigt mit anderen Formen der Kunst, als solche zu betrachten sei. Und so ist auch mein inzwischen jahrzehntelanger Einsatz für die Photographie zu verstehen.
 

Foto Hans Watzek

Hans Watzek (1848-1903): „Untitled (Stone Pit)“, 1897; tri-color gum bichromate print. © Courtesy Kicken Berlin

 
photoscala: Sie eröffneten in Aachen, dann zogen Sie mit der Galerie 1979 nach Köln. Später, im Jahr 2000, gingen Sie nach Berlin. Doch arbeiten Sie international und sind auf den wichtigsten Kunstmessen der Welt vertreten. Welche Messe ist Ihnen zur Zeit die Bedeutendste?

Rudolf Kicken: Grundsätzlich sind alle Messen, auf denen wir präsent sind, wichtig für die Galerie, da dort neue Kontakte geknüpft und schon vorhandene gepflegt werden. In diesem Jahr nehmen wir erstmalig an der TEFAF in Maastricht teil, einer besonders exklusiven Messe, der wir hohe Bedeutung beimessen. Eine der wichtigsten Veranstaltungen bleibt wohl jedoch die Art Basel und deren Ableger in Miami.
 

Foto Hans-Christian Schink

Hans-Christian Schink (*1961): “7/14/2007 – 7/15/2007, 11:28 pm – 0:28 am, N 69°37.661′ E 018° 13. 470′”, 2007. © Hans-Christian Schink/Courtesy Kicken Berlin

 
photoscala: Die Liste Ihrer Künstler beinhaltet viele der einflussreichsten Fotografen und Fotografinnen des 20. Jahrhunderts, darunter legendäre Bildautoren wie Heinrich Riebesehl, Lee Friedlander, Joachim Brohm, Stephen Shore, William Eggleston oder Joel Sternfeld. Sie haben Ausstellungen mit Steichen und Stieglitz gemacht, vertreten Klassiker aus der Bauhauszeit, der tschechischen Avantgarde und der Subjektiven Fotografie. Kann ein junger Fotokünstler bei Ihnen denn noch reüssieren?

Rudolf Kicken: Wenn er gut ist, kann er gewiss reüssieren. Merken wir, dass ein Photograph auf dem richtigen Weg ist, empfehlen wir ihn auch weiter oder nehmen Empfehlungen von anderer Seite an. Zur Zeit aber nehmen wir keine neuen Photographen auf. Wir haben schon viele Photographen und die wollen schließlich alle betreut sein. Jeder unserer Photographen hat doch mindestens alle zwei Jahre eine Ausstellung verdient in der Hausgalerie.

photoscala: Vor allem die amerikanische Farbfotografie der 60er und 70er Jahre war Ihnen früh ein besonderes Anliegen. Welcher Künstler hat Sie damals besonders fasziniert?

Rudolf Kicken: 1980 habe ich „Zeitgenössische amerikanische Farbphotographie“ ausgestellt mit Künstlern wie Christenberry, Eggleston, Gibson, Kramer, McPherson, Meyerowitz, Shore und anderen. Diese Liste spricht für sich.
 

Foto Jitka Hanzlová

Jitka Hanzlová (*1958): „Untitled (Holy Bed), from the series ‘Rokytnik’“, 1991. © Jitka Hanzlová/Courtesy Kicken Berlin

 
photoscala: Was macht die Arbeit in Berlin spannend – im Vergleich zu Ihrer Kölner Zeit?

Rudolf Kicken: In seinem Ursprung war der Umzug nach Berlin privat motiviert und weniger eine taktische Entscheidung. Aber für die Galerie hat sich der Umzug nach Berlin als hervorragende Entscheidung erwiesen. Einer der wichtigsten Standortvorteile von Berlin liegt in der großen Attraktivität, die die Stadt als Kulturmetropole auf internationale Besucher ausstrahlt. Wir sehen hier viele Sammler und Kuratoren, zu denen Kontakte in der Vergangenheit nur auf internationalen Messen möglich waren, weil sie nicht nach Köln gereist wären. Und sie kommen nicht nur einmal, sondern immer wieder. Dasselbe Phänomen war schon immer in anderen Kunstzentren wie Paris, London und New York zu beobachten, wo das Geschäft mit den auswärtigen Sammlern ebenfalls einen wichtigen Teil des Umsatzes ausmacht.

photoscala: Lassen Sie uns noch ein bisschen über früher sprechen. Wie ging das weiter – nach Ihrem VWL-Diplom?

Rudolf Kicken: Nach meinem Diplom, das ich meinen Eltern zuliebe durchgezogen hatte, habe ich an der damals führenden Einrichtung, dem Visual Study Workshop in Rochester, New York, ein Jahr lang Photographie studiert. Rückblickend hat meine Laufbahn wohl in dieser Phase ihre entscheidende Prägung erhalten. Ich bin hinterher nie wieder, wie es von mir erwartet wurde, heim in die Firma – und somit um Haaresbreite dem Baustoffhandel meines Vaters entgangen. Gleichzeitig aber habe ich auch die Künstlerlaufbahn an den Nagel gehängt, um Galerist zu werden.
 

Foto Rudolf Koppitz, Hungrige Raben

Rudolf Koppitz (1884-1936): „Hungrige Raben“, vor 1914; Bromöldruck. © Liselotte Tavs-Koppitz / Courtesy Kicken Berlin

 
photoscala: Bis April 2009 zeigten Sie die Ausstellung „Pictoralism: Hidden Modernism“ mit Arbeiten aus den Jahren 1896 bis 1916. Was sagen uns die „Piktoralisten“ heute eigentlich noch? Ihre eigentliche Botschaft – Fotografie ist Kunst – ist ja allgemein anerkannt …

Rudolf Kicken: Ja, heute weiß das jeder – noch in den 1970er Jahren war die Kunstphotographie regelrecht verschrien. Inzwischen hat uns eine junge Photographie klargemacht, wie modern der Pictorialismus in Wirklichkeit ist. Denn wie seinerseits der Pictorialismus hat die junge Photographie abermals die Museen erobert und dies wurde ebenfalls mit kunstvoll manipulierten Großformaten erreicht. Kongeniale Umsetzung der malerisch-graphischen Anmutung fanden die Photographien des Pictorialismus in den verschiedenen Edeldruckverfahren wie den Gummi-, Pigment- oder Platindrucken. Genau diese verborgene Modernität der Aufnahmen wollten wir mit unserer Ausstellung zeigen. Da gibt es etwa den aus Dresden stammende Kunstphotographen Heinrich Kühn, der meisterhaft die Lichtwirkung umgesetzt hat. Oder Rudolf Koppitz, dessen Werk „Hungrige Raben“ seinen modernen Ausdruck dem Schwarzweiß-Kontrast ebenso wie der abstrahierenden Wirkung des Bromölumdruck-Verfahrens verdankt.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
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