Foto Achim HehnKlaus Kleinschmidt, gebürtiger Berliner, der in der Wiesbadener Taunusstraße die international renommierte Fotogalerie photonet betreibt, über den Fotografie-Markt, über Messen, und über fortschritt-steigernde Spagate:

photoscala: Herr Kleinschmidt, Sie haben Ihre Galerie photonet im Jahr 1998 gegründet. Wie hat sich der Markt für Fotografie in der vergangenen Dekade verändert?

Klaus Kleinschmidt: Rasant. Der Markt hat alles erlebt: Jahrzehnte Dornröschenschlaf, späte Anerkennung als Kunstform, wilder Boom, bodenlose Schmähung, Konsolidierung. Maßstäbe täten ganz gut. Begriffe müssten geklärt werden. Werte hängen oft zu sehr an schönen Worten. Zwischen dem blinden Glauben an den Markt der Superlative und dem Zweifel an Banalitäten liegen ganze Abgründe, die sehr schön das Auf und Ab der Fotokunst in den letzten Jahren abbilden. Die Fotografie als Kunstform entfaltet dort ihre potentielle Sprengkraft, wo sie ihren historischen Zeitsinn offenbart. Dieser kann sich generell verschieden kundtun – also zum Beispiel dokumentarisch oder inszeniert oder konzeptionell äußern.
 

Foto Achim Hehn

Klaus Kleinschmidt; fotografiert von Achim Hehn

 
photoscala: Ihr Programm war von Anfang an eher heterogen. Sie handeln mit Klassikern der Fotografie, aber auch mit zeitgenössischer Fotokunst. Ein Spagat?

Klaus Kleinschmidt: Spagate beim Ausschreiten steigern merklich den Fortschritt. Und regelmäßige Dehnung erhält zudem die volle Beweglichkeit. Im Dehnen offenbart sich letztlich doch erst der ganze historische Zeitsinn der Fotografie als Kunstform: „Die Geschichte der Menschheit ist die Sekunde zwischen den Schritten eines Wanderers.“ Dies sagte Franz Kafka mit echtem Zeitsinn für die Ewigkeit eines Moments. Aber im Ernst: Für mich gibt es keinen Widerspruch zwischen Klassiker und Neutalent der Fotografie. Ich betrachte jede Position vor dem Hintergrund ihrer Historie.

photoscala: Ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit ist die Teilnahme bei Kunstmessen wie der „Art Cologne“, der „Art Hong Kong“, der koreanischen „KIAF“ oder einst der „Photo London“. Kann es sich eine Galerie eigentlich erlauben, nicht auf Kunstmessen vertreten zu sein?
 

Foto Matthias Geiger, Serie Tide # SFO 2006

Matthias Geiger, Serie Tide # SFO 2006, C-Print im Diasec, 86 x 112 cm, Auflage 7. Mit freundlicher Genehmigung der photonet galerie.

 
Klaus Kleinschmidt: Das muss jeder selbst entscheiden. Viele Wege führen nach Rom. Messen sind sicher kein Ersatz für die seriöse Galeriearbeit. Und sie sind bestimmt keine Art „Zaubertrank“. Als Instrument der Werbung sind sie wichtig. Messeetat ist Werbeetat. Die Frage muss lauten: Kann eine Galerie es sich leisten, auf Messen zu gehen?

photoscala: Sie arbeiten zudem als öffentlich bestellter Sachverständiger und Gutachter für fotografische Kunst. Wie darf man sich diese Tätigkeit vorstellen?

Klaus Kleinschmidt: In etwa so: Schaden begutachten, Werke vergleichen, Werte schätzen. Als Sachverständiger habe ich mitunter in Unternehmen zu tun und dort ganze Sammlungen geschätzt. Ein Gutachten macht sehr viel Arbeit, muss extrem präzise aufgebaut und formuliert sein. Und es darf vor allem – wenn es gerichtsverwertbar sein soll – nicht angreifbar sein. Ich hatte seinerzeit das Gutachten zu den heftig umstrittenen Fotografien aus dem umfangreichen Mappenwerk eines bekannten Künstlers erstellen müssen, was kein Spaziergang war, da es bei einer Vielzahl von Werken um einen höheren sechsstelligen Streitwert ging. Der Künstler hatte zu seiner Auflage wegen des Erfolgs später im gleichen Blattformat eine weitere Auflage hinzugetan. Das war natürlich unglücklich. Die Sachlage war indes glasklar: Es handelte sich ganz offenbar um eine sogenannte „wilde Nachauflage“. Das ist die Verführung der Fotografie, der jeder seriöse Händler und Künstler widerstehen muss. Die Parteien einigten sich im besagten Fall dann schließlich außergerichtlich. Mancher Richter, gedrängt zum Urteil, hätte vielleicht auf Leistungsbetrug geurteilt. Der Fall beschäftigte damals intensiv die überregionale Presse.

photoscala: Sie haben lange Jahre auch als Fotokritiker für bedeutende Zeitungen und Zeitschriften wie F.A.Z., NZZ, Focus oder Vogue geschrieben, aber eigentlich sind Sie promovierter Literatur- und Kunstwissenschaftler. Wann geriet die Fotografie in Ihren Blick?
 

Foto Nicole Ahland, Before decision # 1 von 2008

Nicole Ahland, Before decision # 1 von 2008, C-Print auf Aluminium, 32,5 x 50 cm, Auflage 5. Mit freundlicher Genehmigung der photonet galerie.

 
Klaus Kleinschmidt: Das war während meines Studiums. Ich begriff mich als Fotojournalist und betrieb auch ein kleines Studio mit Labor in Frankfurt. Aber eher war es wahrscheinlich so, dass mein Medusablick mich zur Fotografie führte. Sie wissen doch: Das Trauma der Geburt. Kafka hat ein Bild dazu: „Mein Leben ist das Zögern vor der Geburt.“ Sich gegen das Zeitmaß der Welt stemmen: „Ein solcher Augenblick würgt an der Kehle.“ Das ist nicht von mir, sondern stammt auch aus der Feder von Franz Kafka. Danach erfahren Neugeborene bereits die schockhafte Prägung zum Augenmenschen. Der erste Augenblick, den ein Mensch erlebt, ist seine Geburt. Nur manche werden im Lauf ihres Lebens immer blinder. Wen der Schock bewusst ereilt, und eigentlich ist da immer irgendein ein Schock zur Hand, den prägt er. Ein Bangender zeigt Umsicht. Mit den Augen halte ich die Welt auf Distanz.

photoscala: Unter den von Ihnen vertretenen Künstlern ist etwa Jan Wenzel, ein Fotograf, der mit Fotofix-Automaten arbeitet, der mit Preisen hochdekorierte Peter Granser, aber auch Paul Almasy oder Walter Hege – echte Klassiker. In welchem Segment laufen die Geschäfte besser?

Klaus Kleinschmidt: Mal so, mal so. Unterm Strich trägt es. 2008 hat photonet den Umsatz abermals steigern können. Dieses Jahr wird es sicher spannend. Einbußen sind realistisch.

photoscala: Was wird im laufenden Ausstellungsjahr noch bei Ihnen zu sehen sein?

Klaus Kleinschmidt: Das soll eine Überraschung sein. Nur soviel: Ich zeige Stammkünstler der Galerie mit ihren neuen Arbeiten sowie die Entdeckung eines Jungtalents und auch eine aus der Epoche der späten Ausläufer der romantischen Photographie.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
Information:
galerie photonet
Dr. Klaus Kleinschmidt
Taunusstraße 43
65183 Wiesbaden
Telefon 06 11-59 90 70 1
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Bürozeiten: Montag bis Freitag 10 bis 14 Uhr
Samstags nach Vereinbarung 12 bis 16 Uhr