Ausschnitt aus einem Foto von Paul GrahamPaul Graham, 1956 in Stafford geborener, britischer Fotograf, war in Deutschland bisher kaum in großem Rahmen zu sehen. Das ändert sich nun erstmals mit einer Retrospektive, die ihm das Folkwang Museum in Essen ausrichtet. Die von einem aufwändigen Katalog begleitete Schau präsentiert elf seit den achtziger Jahren entstandene Werkkomplexe – insgesamt weit über 100 Arbeiten und somit eine repräsentative Auswahl seines Werks:

 
 
 

Foto Paul Graham; aus der Serie „Troubled Land“

Paul Graham: Fotografie aus der Serie „TROUBLED LAND“; 1984-86; © Paul Graham, 2008

Graham steht sehr deutlich in der typisch britischen Tradition der Dokumentation des Sozialen, wie wir sie auch im englischen Film so oft finden. Er wendet sich wie andere englische Bildautoren wie Martin Parr, Richard Billingham, Tom Wood oder Paul Seawright stets und voller Sympathie jenen zu, die am Rande stehen: Die unverstellte soziale Wirklichkeit der Arbeitslosen, die Tristesse der Arbeitsämter des Thatcher-England, war in der 1984 bis 1985 entstandenen Serie „Beyond Caring“ ein Thema des seit einigen Jahren in New York lebenden Briten.
 

Foto Paul Graham; aus der Serie „End of an Age“  Foto Paul Graham; aus der Serie „End of an Age“

Paul Graham: Fotografien aus der Serie „End of an Age“. 1996-98. © Paul Graham, 2008

 
Oder das Leben der Menschen entlang der „A 1 – The Great North Road“, die quer durch England führt, entstanden 1981 bis 1982. Hier zeigt er die Welt entlang der Fernstraße: Tankstellen, Parkplätze, Raststätten, LKW-Fahrer. Doch auch seine bereits in den USA entstandenen Serien „American Night“, „End Of An Age“ und „A Shimmer Of Possibilities“ atmen jenen sozial-dokumentarischen Geist, stellen die Menschen am Rande ins Zentrum der Betrachtung. Seine Vorbilder: Gary Winogrand, Lee Friedlander, Diane Arbus. Aber auch die Farbfotografen, die „New Topographics“: Stephen Shore und William Eggleston.
 

Foto Paul Graham; aus der Serie „Beyond Caring“

Paul Graham: Fotografie aus der Serie „Beyond Caring“. 1984-85. © Paul Graham, 2008

 
Es ist stets und immer der Alltag, vor allem jener der Randzonen des Urbanen, der Graham interessiert. Ein Alltag, der heute gar nicht mehr so oft Thema der Fotografie ist, wie die Kuratoren der Ausstellung zurecht anmerken: „Zu einer Zeit, in der die Kunstfotografie zunehmend inszeniert, manipuliert oder im Studio produziert wird, oder die Welt auf eine kühle, konzeptualisierte Art auf Distanz gehalten wird, hebt sich Grahams Arbeit als kontinuierliche Beobachtung und Befragung der Lebenswirklichkeit ab.“ Der Blick in die Ausstellung (oder in das opulente Buch) überzeugt: Trostlos sind viele dieser Bilder – vor allem auch jene, die im Bürgerkriegs-Nordirland entstanden sind – doch von betörender Kraft. Nach der Essener Retrospektive wird die Schau im nächsten Jahr in der Londoner Whitechapel Gallery gezeigt.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Museum Folkwang
Paul Graham. Fotografien 1981-2006
Kahrstraße 16
45128 Essen
Telefon 0201–8845301
Bis 5. April 2009
Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr

Buch:
Paul Graham
Paul Graham (bei amazon.de)
Mit Essays von David Chandler, Michael Almereyda und Russell Ferguson
376 Seiten. Gebunden. 250 Farbabbildungen
Steidl Verlag. Göttingen 2009
ISBN 978-3-86521-889-6
48 Euro
 

Nachtrag (27.3.2008): Am 25.3.2009 wurde Paul Graham der mit £30.000 dotierte „Deutsche Börse Photography Prize“ verliehen. Mit diesem Preis wird jährlich ein Fotograf ausgezeichnet, der im Vorjahr einen bedeutenden Beitrag zur zeitgenössischen Fotografie in Europa geleistet hat, so die Preisgeber.

Aus der Laudatio:

Paul Graham (1956 in Großbritannien geboren) wurde aufgrund seiner Veröffentlichung „A Shimmer of Possibility“ (steidlMACK, Oct 07) nominiert. Die Arbeit Grahams ist geprägt von der Herausforderung des Mediums durch den Künstler. Er konzentriert sich ganz auf sein Medium als Dokumentationsmittel einzelner Momente, die Abhängigkeit von Licht und das Erkennen von Details. Sein soziales Engagement und die historische Perspektive seiner Fotografien sind unerbittlich, seine bildhafte Brillanz erleuchtend. Den Effekt seiner Bilder erzielt er durch das Andeuten des Großen und Ganzen sowie die Balance von Auslassen und Einbeziehen von Elementen. „A Shimmer of Possibility“ stellt aktuelle Bilder vom Alltag in den USA zusammen, eine Art Anspielung an die japanische Gedichtform Haiku, die keine komplexen Geschehnisse beschreibt aber auch nichts ausschließt. Woran denken Sie und was sehen Sie, wenn Sie die Straße entlang laufen? Wie beeinflusst dies ihr Erlebnis und inwiefern wird es durch Ihre Erlebnisse beeinflusst? Sie belehren den Betrachter nicht darüber, was er sehen soll, sondern erinnern ihn daran, wie. Grahams Bilder vermitteln die Macht der flüchtigen Begegnung, die Notwendigkeit, die Umwelt bewusst wahrzunehmen und die Fülle an Erfahrungen, die das Alltägliche zu bieten hat.

Die Eröffnungsausstellung ist noch bis 12. April 2009 in der Photographers’ Gallery in London zu sehen. Im Laufe des Jahres wird die Ausstellung im C/O Berlin und im Hauptsitz der Deutschen Börse in Frankfurt gezeigt.