Foto Nicole AhlandNicole Ahland, 1970 in Trier geboren und in Wiesbaden lebend, ist eine der ungewöhnlichsten Fotokünstlerinnen dieser Tage. Ihr Werk kreist auf sinnliche und behutsame Weise um den Begriff des „Raums“. Wir sprachen mit der Fotografin, die gerade mit dem Stipendium des Landes Rheinland-Pfalz, Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, ausgezeichnet wurde:

Foto Nicole Ahland

photoscala: Nicole Ahland, Sie haben Ihre Ausbildung als Künstlerin von 1999 bis 2005 in der Fotoklasse der Akademie für Bildende Künste in Mainz absolviert – bei Professor Dr. Vladimir Spacek. Sie wussten schon damals, dass Sie als Künstlerin fotografisch arbeiten wollten?

Nicole Ahland: Ja, die Entscheidung für das Medium Fotografie ist bereits vor dem Studium gefallen. Ich komme aus einer Künstlerfamilie, da spielte die Malerei eine große Rolle. Mich interessiert aber vor allem die Fotografie, weil sie verspricht, für einen Augenblick die Realität abzubilden. Ob das wirklich so ist, wo die Grenzen sind oder ob da vielleicht noch was anderes ist, das hat mich seit Anbeginn des Studiums interessiert und beschäftigt mich noch immer.

photoscala: In welcher Weise hat die Lehre Spaceks Sie beeinflusst? Mir ist aufgefallen, dass viele Absolventen dieser Klasse sich für eine subjektive, nicht-dokumentarische Fotografie entschieden haben …

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Nicole Ahland: Der Einfluss des Lehrenden ist natürlich nicht zu unterschätzen. Als ich begann, bei Vladimir Spacek zu studieren, waren die „Becherschüler“ bereits in der Kunstszene und auf dem Kunstmarkt weit verbreitet. Wir haben uns viel angesehen und diskutiert und es brauchte kaum Weitblick, um zu wissen, dass man sich in diesem Bereich der realitätstreuen und auch sachlichen Fotografie nicht auch noch abarbeiten muss. So habe ich es für mich jedenfalls gesehen. Es hat mich auch nicht so sehr interessiert. Mit Vladimir Spacek hatte man bei Bildbesprechungen jemanden an der Seite, der in seinem unverwechselbaren tschechischen Akzent fragte: „… Und, was soll’s? Was ist damit? Was wollen Sie damit? Da muss doch noch mehr sein! Ach, kennt man …" und so weiter. Kurz, er gab sich selten mit reinen Oberflächen und Abbildern zufrieden. Er hat seriell gedacht, das Sublime befragt – ein präziser Beobachter mit sehr schnellem Auge.

photoscala: Sie leben und arbeiten in Wiesbaden – einer Stadt ohne Kunsthochschule, mit nur einer Handvoll interessanten Ausstellungsorten für Kunst. Sehen Sie das manchmal als Nachteil?

Nicole Ahland: Nicht unbedingt. Wenn man wirklich will, kann man von überall aus etwas bewegen. Ich habe mich für Wiesbaden entschieden, da das Rhein-Main-Gebiet verkehrsstrategisch äußerst günstig liegt und auch eine Menge zu bieten hat. Mein Aktionsradius ist ohnehin national angelegt und international angestrebt. Aus dieser Warte betrachtet, ist Wiesbaden ein geeigneter Ausgangspunkt. Und leben kann man hier ja sehr gut.

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photoscala: Die gestalterischen Mittel Ihrer Fotografie sind milchige Unschärfen, diffuse Verschleierungen, helle Überstrahlungen – was Ihre Bilder oft sehr malerisch wirken lässt. Könnten ähnliche Werke etwa auch als Aquarell entstehen? Oder anders gefragt: Warum müssen diese Bilder Fotografien sein?

Nicole Ahland: Wie schon gesagt, ein Maler in der Familie ist mehr als genug. Aber im Ernst, gerade diese Grenzbereiche der Fotografie interessieren mich. Das vermeintliche Aushebeln des Mediums ist spannend und arbeitet mit den Erwartungen und Sehgewohnheiten der Betrachter.

photoscala: Immer wieder haben Sie darauf hingewiesen, wie wichtig es Ihnen ist, dass Ihre Kunst Räume öffnet. Räume der Assoziation, der Selbsterkenntnis, der Bewusstwerdung. Ist die Abstraktion in ihren Bildern eine Voraussetzung dafür?

Foto Nicole Ahland

Nicole Ahland: Fehlende Bezugskoordinaten und Unschärfen im Bildraum führen in gewisser Weise zu einer Raumauflösung oder Abstraktion. Das Darin-Zurechtfinden des Betrachters erzeugt möglicherweise Verunsicherung und er wird so auf sich selbst zurückgeworfen.

photoscala: Immer sind es „Räume“, die sie zeigen. Mir kommen diese Orte vor wie imaginierte Denk-Räume, das heißt: Räume, die für den Betrachter Platz schaffen sollen, um Ruhe zu finden und nachzudenken … Können Sie Ihre künstlerische Definition von „Raum“ in Worte fassen?

Nicole Ahland: Meine Definition von Raum? Die Doppeldeutigkeit von Raum beschäftigt mich. Einerseits steht da die formale Architektur, andererseits ist es ein Ort, an dem sich Zeit in Raum verwandelt – ein Resonanzraum eben.

photoscala: Die Räume, Säle, Flure und Zimmer, die Sie zeigen, sind zumeist menschenleer. Warum ist dies so? In welcher Weise prägt der Mensch dennoch Ihre Räume?

Nicole Ahland: Räume sind für mich Erinnerungsstätten und haben die Fähigkeit Vergangenes zu speichern. Unter Umständen lässt ein Raum die ganze Welt und die gesamte Gegenwart zurück. Man begibt sich in eine andere Atmosphäre – fast so, als stünde man gänzlich außerhalb der Zeit. Raum verschafft der Leere und dem Menschen Präsenz.

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photoscala: Immer wieder wurde Ihre Fotokunst mit dem Begriff der „Entschleunigung“ in Verbindung gebracht …

Nicole Ahland: Ich frage mich, ob der Imaginationsraum „Bild“ in der Lage ist, den Betrachter in einer gewissen Weise zu befreien, zu entschleunigen – oder gar hilft, sich selbst besser wahrzunehmen. Genaues Hinsehen und das Loslassen von eingeübten Informationsimpulsen, die wir den Medien und Bildermassen verdanken, könnten uns gut tun. Etwas das Tempo herausnehmen – eben eine Form der Entschleunigung. Und nicht zu vergessen – das Bewahren von Stille.

photoscala: Wo entstehen Ihre Bilder?

Nicole Ahland: Das kann überall sein – meist auf Reisen. Wann immer ich unterwegs bin, habe ich die Kamera dabei – und den Zufall, der mich an einen Ort führt, der „mein“ Raum wird.

photoscala: Eine zweiteilige Arbeit aus dem Jahr 2003 nannten Sie „Zwischengängerin“. In welcher Weise passt dieser Titel zu Ihnen – als Künstlerin?

Nicole Ahland: Die „Zwischengängerin“ hat die Fähigkeit, sich zwischen den Welten, dem Hier und dem Dort – zwischen Vergangenheit und Zukunft, hin und her zu bewegen. Sie befindet sich in einem Schwellenraum.

photoscala: Lassen Sie uns noch etwas über das Licht in Ihren Fotografien sprechen. Was bedeutet es Ihnen?

Foto Nicole Ahland

Nicole Ahland: Neben der technischen Seite ist Licht für mich im metaphorischen Sinne von großer Bedeutung. Außerdem erlaubt der präzise Umgang von Licht und Farbe feinste Abstufungen und Übergänge, die für meine Vorstellung von fotografischer Wirklichkeitsaneignung wichtig sind.

photoscala: Ihre Arbeiten entstehen analog. Hat die Verwendung der Analogtechnik einen bestimmten konzeptionellen Hintergrund?

Nicole Ahland: Die mit der analogen Fotografie verbundenen Zeitabläufe und Zeitabstände sind sowohl inhaltlich als auch formal Bestandteil meiner Arbeit. Ich brauche die langen Pausen zwischen dem Belichten des Films, der Entwicklung, der Sichtung und des Archivierens. Meist vergehen Monate oder gar Jahre, bis etwas zum endgültigen Werk fertig gestellt wird.

photoscala: Ihre Arbeiten und Serien tragen teilweise sehr poetische Titel. Sie heißen etwa „warte nicht auf mich“, „auch über den atem“ oder „ … dass du die stille nicht hören musst“. Was bedeuten Ihnen diese Titelgebungen?

Nicole Ahland: Titel sind mir wichtig. Neben meiner Bilderwelt existiert eine Textwelt. Lyrik, Briefe, aber auch gefundene Textfragmente, dienen mir, eine hermetische Parallelwelt zu entwerfen, von der möglicherweise ein Geheimnis ausgeht und die Fragen aufwerfen soll.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
Informationen:

Nicole Ahland

Aktuelle Ausstellungen und Galerievertretungen:

Nicole Ahland Fotografie / Martina Hahn Zeichnung
Galerie UP art
Im Meisental 51
67433 Neustadt
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Sonntag bis Dienstag 14 bis 17 Uhr
18.1. – 1.3.2009

Nicole Ahland – ’and then there was silence’
Kunstverein Friedberg
Haagstraße 16
61169 Friedberg
13.2. – 22.3.2009

Nicole Ahland – Fotografien
Galerie photonet
Taunusstraße 43
65183 Wiesbaden
14.2. – 11.4.2009

Nicole Ahland – Fotografie
Galerie semina rerum
Cäcilienstraße 3
CH – 8032 Zürich
26.2. – 11.4.2009

Galerie Wichtendahl auf der Art Karlsruhe 2009
Stand H3 / K15
5.- 8.3.2009