Kleid aus Licht, Foto Heinrich Heidersberger, 1949

Heinrich Heidersberger begegnete dem fotografischen Medium eher zufällig. 1928 ging er, nach abgebrochenem Studium der Architektur, nach Paris, studierte bei Fernand Léger Malerei und entdeckte auf einem Flohmarkt eine alte Kamera. Er begann, zu fotografieren:

 
 

Kleid aus Licht, Foto Heinrich Heidersberger

„Kleid aus Licht“, 1949. Schwarzweiß-Fotografie. 109/12, © Heinrich Heidersberger, www.heidersberger.de

 
Es waren erregende Jahre für den jungen Heidersberger, denn das Paris der Surrealisten – er war befreundet mit Yves Tanguy und anderen Protagonisten der surrealistischen Gruppe – war in den Zwanzigern und Dreißigern der Ort, an dem die Avantgardekunst ihr weltweites Zentrum hatte. In diesen Jahren begann Heidersbergers Werk zu wachsen. Bald entstanden seine berühmten „Blicke von oben“, wie etwa das 1935 in Kopenhagen entstandene Bild der Fahrradkuriere auf der Laederstraede – aufgenommen mit einer Leica.
 

Kraftwerk, Wolfsburg 1971, Foto Heinrich Heidersberger/artur

Kraftwerk, Wolfsburg 1971. Schwarzweiß-Fotografie. 4148/5, © Heinrich Heidersberger/artur, www.heidersberger.de

 
Bekannt wurde Heidersberger seit 1939 als Werksfotograf der zunehmend der Rüstungsproduktion dienenden Stahlwerke in Braunschweig, als freier Industriefotograf – vor allem aber durch seine Arbeit für Volkswagen in den fünfziger und sechziger Jahren. Seit 1961 bis zu seinem Tod lebte Heidersberger in Wolfsburg. Hier entstanden Arbeiten, die geprägt waren durch einen tief empfundenen Glauben an kulturellen und technischen Fortschritt.
 

Tankstelle „Blauer See“, Hannover 1953, Foto Heinrich Heidersberger/artur

Tankstelle „Blauer See“, Hannover 1953. Schwarzweiß-Fotografie. 607/4, © Heinrich Heidersberger/artur, www.heidersberger.de

 
Wolfsburg, Autostadt, „Modellstadt“ mit den Produktionsstätten von Volkswagen, wurde in seinem Werk zu einem in metaphysisches Hell-Dunkel getauchten Sehnsuchts-Ort der Moderne. Auch seine fotografischen Interpretationen der Bauwerke von Alvar Aalto und denen anderer Architekten wie Egon Eiermann sind mehr als Dokumentationen. In ihnen steckt der Hang zum Drama, zur Überspitzung und Erhöhung – in ihnen lebt ein utopischer Geist, der etwas von der Zukunft ahnen lassen will.
 

FotoHeinrich Heidersberger  FotoHeinrich Heidersberger

Rhythmogramme, 1950er/1960er. Schwarzweiß-Fotografien. 3782/34 & 3782/229a. © Heinrich Heidersberger, www.heidersberger.de

 
Ein Geist, der sich immer wieder von der Auftragsfotografie abwandte – auch wenn er sie kaum als solche verstanden haben dürfte: Heidersberger kannte den Unterschied zwischen autonomer und angewandter Fotografie nicht. Aktfotografien entstanden, besonders aber seine Werkgruppe der „Rhythmogramme“. Abstrakte, von der surrealistischen Idee des „mechanischen Schreibens“ und der „Fotografie des Unsichtbaren“ inspirierte Lichtspur-Bilder – eine mit Hilfe von vier Pendeln und einem Spiegel erzeugte dreidimensional wirkende Sichtbarmachung von Lichtgebilden auf fotografischem Material. Kunstwerke, die dann ganz praktische Anwendung fanden: Von 1956 bis 1986 verwendete der Südwestfunk in Baden-Baden ein Rhythmogramm Heidersbergers als Testbild.
 

Foto

New York, 1954. Schwarzweiß-Fotografie. 9013/9.1, © Heinrich Heidersberger, www.heidersberger.de

 
Wie divers das Werk Heidersbergers ist, zeigen auch jene Farbfotografien, die er im Jahr 1954 als Bordfotograf der „MS Atlantic“ auf drei Reisen von New York nach Kuba anfertigte: die Weltstadt-Architektur New Yorks, das pralle, bunte Leben der Schiffstouristen und dann, intimer, berührender, die kleine kubanische Welt der Märkte und Feste.

Dieses große, weitverzweigte Werk ist jetzt in einer Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg zu bewundern, die den Titel „Heinrich Heidersberger: Rückkehr zum Aufbruch“ trägt. Es sind etwa 170 Arbeiten aus den Jahren 1949 bis 1973 zu sehen – aus allen Schaffensbereichen des so vielfältigen Fotografen, der am 10. Juni 1906 in Ingolstadt geboren wurde und am 14. Juli 2006 in Wolfsburg verstarb.

Zur Ausstellung erscheint im Berliner Nicolai Verlag ein hochwertiger Reprint des im Original sehr gesuchten Fotobuchs „Wolfsburg – Bilder einer jungen Stadt“ von Heinrich Heidersberger – das ursprünglich 1963 zum 25. Stadtjubiläum Wolfsburgs herausgegeben wurde.

(Marc Peschke)
 
 
Buch:
Heinrich Heidersberger
Wolfsburg – Bilder einer jungen Stadt (bei amazon.de)
104 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag. 77 Abbildungen
Nicolai Verlag. Berlin 2008
ISBN-13: 978-3894794279
24,90 € / sFr 44,90
 
 
Ausstellung:
Heinrich Heidersberger: Rückkehr zum Aufbruch. Fotografien 1949 bis 1973
26. April bis 21. September 08
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Dienstag 11 – 20 Uhr, Mi bis So 11 – 18 Uhr