Fotografien im Krieg, die Täter gemeinsam mit ihren Opfern zeigen (… grinsende Schaulustige mit Leichnam …), das lehrt uns Anton Holzers Werk Die andere Front, sind Beispiel einer grauenvollen Strategie der Verhöhnung, der Erniedrigung. Einer Strategie, der Fotografen auf erschreckende Weise treu geblieben sind:
Es dauerte nur wenige Jahre, bis die Fotografie nach ihrer Erfindung zum Propagandainstrument wurde. Schon im Jahr 1855, im Krimkrieg, findet sie ihren Einsatz, wie der 1964 geborene österreichische Fotohistoriker Anton Holzer – der Herausgeber der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Fotogeschichte – in dem von ihm 2003 herausgegebenen Buch Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie skizziert hat. Jetzt ist mit Die andere Front ein weiterer Band des Autors erschienen, der die Wechselwirkung von Fotografie und Propaganda im 1. Weltkrieg untersucht.
Seither kann man sich Kriege kaum mehr ohne ihre fotografische Inszenierung denken. 500 solcher, zumeist unveröffentlichter, Kriegsfotografien aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (erhalten sind die Original-Glasplattennegative) versammelt der Band. Bilder, die vor allem in Osteuropa und Südosteuropa entstanden sind. Dokumente, die nicht nur die Arbeitsbedingungen der Kriegsfotografen schildern, sondern auch die Methoden der Bildpropaganda.
Natürlich, so führt Holzer in seinem auf grandioser Archivarbeit fußenden Werk aus, war es die Hauptaufgabe jener Bilder, ein geschöntes Bild des Kriegs zu zeichnen – eines Krieges, der als Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts in den vergangenen Jahren erneut Gegenstand vieler historischer Betrachtungen gewesen ist. Und doch zeigen viele Bilder auch die Verwüstungen des Krieges, die Ruinen, Deportationen, die Barackenlager und schließlich auch die Hinrichtungen.
In dem Am Galgen. Krieg gegen die Zivilbevölkerung überschriebenen Kapitel skizziert Holzer etwa das Schicksal des ehemaligen österreichischen Reichsratsabgeordneten Cesare Battisti, der sich bei Kriegsbeginn auf die Seite Italiens gestellt und für den Anschluss des italienisch-sprachigen Südtirols an Italien gekämpft hatte. Der Sozialist, der die Habsburger Monarchie als Völkerkerker brandmarkte, wurde am 12. Juli 1916 gemeinsam mit einem Genossen in Trento, dem Südwestzipfel der Monarchie, hingerichtet.
Vor allem die fotografische Inszenierung jener Hinrichtung, der Tod des Hochverräters vor der Kamera, auf einer eigens gebauten Schaubühne vor zahlreichen österreichischen Soldaten, interessiert Holzer. Mindestens zwei Dutzend Kameras fotografierten das grausame Spektakel. Private Knipser wie offizielle Kriegsfotografen. Etwa 100 Bilder des Moments sind erhalten, darunter auch solche, die grinsende Schaulustige mit dem Leichnam Battistis zeigen.
Eine dieser Fotografien diente Karl Kraus als erste Seite seiner 1922 erschienenen Ausgabe von Die letzten Tage der Menschheit – ein Bild, das er so kommentierte: Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen! Ein Bild eines offiziellen Kriegsfotografen, das aber, so Holzer, in Österreich aufgrund eines Verbots des k.u.k. Kriegspressequartiers schon bald nicht mehr gedruckt wurden durfte: Die Militärzensur hatte erkannt, dass die Bilder aus Trient in den Augen des ‘Feindes’ ihre Lesart zu ändern begannen. Die Fotografien, die aus dem Augenwinkel der österreichischen Gaffer aufgenommen worden waren, gelangten in die Hände des italienischen Militärs und wurden dazu verwendet, die Abscheulichkeit des Gegners auf drastische Weise darzustellen. Schon bald nach der Hinrichtung waren die Fotografien als Bildpostkarten aufgetaucht, die in Italien bald in großen Auflagen zirkulierten. Die Bildunterschriften prangerten die Grausamkeit, die Barbarei und die Unmenschlichkeit Österreichs an und präsentierten den Hingerichteten als nationalen Märtyrer.
Im Unterschied zum zweiten Weltkrieg geschah die fotografische Dokumentation von Hinrichtungen im ersten Weltkrieg noch mit offensichtlicher Billigung des Militärs. Viele jener Hinrichtungen von Zivilisten, die vor allem im Hinterland der Ost- und Südostfront an Ruthenen, Juden in Galizien, Sozialisten, orthodoxen Priestern, Bosniern, Serben und Italienern – zumeist wegen des Vorwurf der Spionage – massenhaft durchgeführt wurden, dokumentierten Fotoamateure, aber auch offizielle österreichische und ungarische Kriegsfotografen. Joseph Roth schreibt in seinem Roman Radetzkymarsch über die Massenhaftigkeit österreichischer Kriegsgreuel: Tagelang hingen die echten und vermeintlichen Verräter an den Bäumen auf den Kirchplätzen, zur Abschreckung der Lebendigen.
In seiner dichten Beschreibung der abgebildeten Hinrichtungsszenen zeigt sich Holzer als sprachlich gewandter Meister psychologischer Deutungen. Etwa, wenn er eine andere Szene beschreibt. Eine Hinrichtung, die zum Schauspiel wird – bei dem der Tote von Soldaten umringt zu sehen ist, von denen einer den Gehenkten mit der Hand berührt: Die körperliche Berührung des Opfers – das Angreifen – fügt der Zeugenschaft durch das Auge noch etwas hinzu: Die Bezeugung durch den Tastsinn.
Holzers Buch ist ein ungemein faszinierendes Werk – zwischen den Stühlen: Es bietet eine eingehende fotohistorische Untersuchung von Herkunft und Überlieferungsgeschichte der gezeigten Bilder, eine umfassende Bibliografie zum Thema, aber auch eine tiefgehende, wissenschaftlich fundierte Analyse des Kriegsgeschehens. Es erzählt von Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung in den eroberten Gebieten und von der Inszenierung der Kriegsgefangenen – von denen viele an den Folgen von Zwangsarbeit, Unterernährung und schlechter Behandlung starben – als fremdartige, ärmliche Vertreter einer anderen, niedrigeren Kultur.
In solchen Aufnahmen, schreibt Holzer, fixiert der Blick des Eroberers abschätzig die Vertreter des fremden Ostens oder Südostens. Fotografie im Krieg, Bilder, die Täter gemeinsam mit ihren Opfern zeigen, das lehrt uns dieses Buch, sind Beispiel einer grauenvollen Strategie der Verhöhnung, der Erniedrigung. Eine Strategie, der Fotografen – von der Isonzo-Front bis zu den 2004 veröffentlichten Fotografien von Abu Ghraib (bei der die Fotografie selbst zum Folterinstrument wurde) – auf erschreckende Weise treu geblieben sind.
Anton Holzer
Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg (bei amazon.de)
Gebunden mit Schutzumschlag
368 Seiten, 22 x 29 cm, 520 Abbildungen
Primus Verlag Darmstadt 2007
ISBN: 3-89678-338-6
€ 39,90. SFR 66,70.
(Marc Peschke)
In Süddeutschland …
… weiß man das richtig einzuordnen: Der Mensch ist halt a Sau …
Nicht von der Hand zu
Nicht von der Hand zu weisen, wenn man den zweiten Weltkrieg und seine Verursacher, die Deutschen, näher betrachtet.
In Austria
konnt er nix werden. Da notdurftete es schon der Deutschen. Shit happens.
blutige Löcher
in den Köpfen zeigte man den Kindern gern
doch von jenem Loch der Löcher hielt man sie mit Schlägen fern
frei nach Degenhardt
Wie Opa zu sagen pflegte
Ein Schuss, ein Russ
Ein Stoss, ein Franzos
Ein Tritt, ein Britt
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Eine Straf, ein Fotograf
Die “Alle gegen uns und Wir gegen Alle” – Mentalität
führt zwangsläufig zum Krieg und somit der Selbstzerstörung. Das lehrt uns die Geschichte immer wieder auf schmerzliche Weise. Sogar bis heute, wo es kurz nach dem “Who´s not with us is against us”- Statement alsbald zum Irakkrieg kam. Die Geschichte will uns lehren, aber dumme sind nicht belehrbar.
senfi
(ein ganz kluger)
Manch Blick auf die Verhangenheit
könnte sich als visionärer Blick in die Zukunft Europas entpuppen … der Boden, aus dem dies Gewürm kroch, ist offensichtlich noch fruchtbar. 😎