Allgemein herrscht die Meinung vor, dass Leica ein unbeweglicher Altherrenverein im verschlafenen Solms ist, der nie und nimmer rechtzeitig in die Pötte kommt und so überholte wie überteuerte Produkte an betuchte fotografische Nichtskönner verkauft, die sich mit dem Roten Punkt vermeintliche fotografische Kompetenz einkaufen. Blanker Unsinn!

Das alles mag ja zu Teilen sogar stimmen, es stimmt aber auch, dass unter den Besten immer auch Fotografen sind, die mit Leica fotografieren und dass, wer höchste technische Bildqualität verlangt, bei Leica ohne den Hauch eines Zweifels hervorragend aufgehoben ist. Allerdings sind das zunehmend weniger, weil immer mehr digital fotografieren.

Das Vorurteil aber, Leica habe die digitale Entwicklung verschlafen, wie es nicht nur der hr in "Die Leica" – La Grande Dame muss dazulernen immer mal wieder formuliert, ist so alt wie falsch.

Anlass für diese Überlegungen war übrigens die Anfrage anlässlich einer Seminararbeit zum Thema „Trägheit in Organisationen/Unternehmen“ – und just Leica war als Beispiel ausersehen: Hierfür habe ich mir die Unternehmung „Leica“ ausgesucht, da ich der Ansicht bin, dass der verspätete Einstieg in die Welt der Digitalkameras zum größten Teil an der herrschenden Trägheit im Unternehmen selbst begründet ist und hierdurch zu großen Umsatzeinbußen der Firma führte.

Interessantes Thema. Aber: Falsche Firmenwahl, falscher Ansatz.

Gerade der Bereich der Digitalfotografie ist in den letzten Jahren durch den sehr schnellen und immensen Wandel der Technologien und (Verdienst-)Möglichkeiten gekennzeichnet – das hat letztlich selbst potente Unternehmen wie Kyocera, Konica Minolta oder kürzlich Mamiya mit vorhandenem Know-How und Kapital bewogen, sich aus dem Bereich zu verabschieden bzw. die Sparten stillzulegen oder zu verkaufen.

Was Leica angeht: Hier wurden sicherlich Fehler gemacht, aber was hätten sie denn im digitalen Bereich grundsätzlich anders machen sollen? Ein Problem ist, dass keine Firma in Deutschland über das Know-How und das Kapital verfügt, Digitalkameras alleine zu bauen. Sie sind alle mindestens auf die Bildsensoren aus Japan, Korea oder Taiwan angewiesen.
• Zunächst waren die Bildsensoren (samt der zugehörigen kamerainternen Bildverarbeitungstechnologien) einfach zu schlecht für den Leica-Anspruch. Eine Leica mit farbstichigen 640×480 Pixeln?
• Leica musste das Problem also gewissermaßen aussitzen (bis vernünftige Technik verfügbar war). Zugestanden sei, dass sie ein wenig lange gesessen haben…
• Doch jetzt hat Leica ein Digitalrückteil für die R-Modelle, die M digital ist für den Herbst avisiert.
• Weiter hat Leica mit Panasonic einen sehr fähigen Partner gefunden (Objektiv-Know-How nach Japan, Digitalkameras zu Leica), und beide springen jetzt zusammen auf FourThirds auf – hier sieht Leica gar ein drittes Leica-System im Entstehen begriffen.

Alles Dinge, die Leica gut tun (werden).

Das Digitalrückteil zur R hätte sicher ein Jahr früher kommen können, statt sich zu verspäten; und man kann sich auch fragen, ob nicht eine digitale M besser gewesen wäre – doch letztere Frage hat schon mit interner Firmenpolitik, nicht aber mit Trägheit zu tun.

Leica ist eine der wenigen Firmen aus der einst großmächtigen deutschen Fotoindustrie, die tatsächlich noch eigene Produkte entwickeln und herstellen. Und es ist die einzige deutsche Firma, die eigenständige Kameras mit Digitaltechnik anbieten kann.

Bedenkt man, dass Firmen wie Rollei, Voigtländer, Exakta, Contax, Agfa … einst praktisch den Weltmarkt beherrscht haben und heute nicht mehr existent sind bzw. teilweise als Markenname für Taiwan-Geräte benutzt werden, dann ist das eine sehr, sehr respektable Leistung (überhaupt noch zu existieren).

Zwar gibt es Digitalkameras schon seit etlichen Jahren – aber:
1. brauchte Leica einen Partner mit Sensortechnologien, und der musste
2. gute Technologie liefern (können und wollen).
Mindestens Punkt 2 war lange nicht gegeben.

In den Anfangstagen der Digitalfotografie hätte Leica nur Bildsensoren zweiter Wahl bekommen (die besten behielten die Hersteller für sich) – und das in Zeiten, da auch die Sensoren erster Wahl drittklassig waren. Nennenswert Geld wurde zuerst mit Digitalkameras verdient, die a) qualitativ schlecht waren, bei denen es b) ziemlich egal war, welcher Markenname darauf stand und die c) im Vierteljahresrhythmus ausgewechselt wurden.

Das sind schlechte Zeiten für einen Anbieter, der auf Markenbewusstsein, Qualität und Langlebigkeit setzt.

Jetzt, wo die Bildsensoren so gut geworden sind, dass auch die Qualität der Objektive eine zunehmende Rolle spielt, hat Leica sowohl eigene Produkte als auch mit Panasonic einen sehr respektablen Kooperationspartner und kann wieder mit seinen Pfunden wuchern.

Zusammenfassend: Leica gilt zwar gemeinhin als träge und „Altherrenverein“, aber wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ansieht, dann hat es diese Firma von der gesamten deutschen Kameraindustrie mit Abstand am Besten gemacht.

Und steht heute, da nach den vielen deutschen auch etliche japanische Fotofirmen lieber das Handtuch werfen, gar nicht mal so schlecht da, was die Zukunft angeht.

Respekt.

Und Ihnen ein schönes Wochenende

(thoMas)