… schafft unkontrollierbare Räume für technisches Versagen und manipulative Einwirkung, so eine Einschätzung zu den Access-Blocking-Maßnahmen des künftigen „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“. Ist das Geplante also noch ein notwendiges Übel oder schon hoheitliches Übermaß?

Am 18. Juni hat der Deutsche Bundestag, das Kinderpornografiebekämpfungsgesetz beschlossen. Dieses sieht im Wesentlichen vor, dass das Bundeskriminalamt Sperrlisten erstellt, die Kinderpornografie im Sinne des § 184 b Strafgesetzbuch enthalten oder darauf verweisen. „Wir wollen in Deutschland nicht länger dulden, dass die Vergewaltigung von Kindern frei über das World Wide Web abrufbar ist“, sagte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen abschließend.

Doch was sind die konkreten Konsequenzen dieses Regelungskomplexes? Beschränkt sich seine Wirkung auf die Vermittlung eines „wichtigen gesellschaftlichen Signals“ oder kann die Zahl von Sexualdelikten an Kindern dadurch tatsächlich eingedämmt werden? Birgt dieses Gesetz möglicherweise erhebliche Grundrechtseingriffe und Gefahren, deren Eintritt bereits heute vorhersehbar ist? Wie wird im Falle von fehlerhafter Anwendung reagiert und welche Maßnahmen sind hierfür vorgesehen? Der Beantwortung dieser konkreten Fragen widmet sich der folgende Beitrag.

Anwendungsbereich und Maßnahmen des geplanten Gesetzes

– Bezugnahme auf strafrechtliche Definition

Der Anwendungsbereich des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderpornografie bezieht sich zur unmittelbar auf die Definition des § 184 b StGB, wonach die Verbreitung, Herstellung oder Zugänglichmachung von Daten, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben unter Strafe gestellt ist.

– Führung der Sperrlisten durch das BKA

Das Bundeskriminalamt führt auf der Grundlage dieser Definition Sperrlisten von Internet-Seiten die entsprechendes Material enthalten oder darauf verweisen, wobei bei der Aufnahme der Einträge in die Sperrliste grundsätzlich das Gebot „Löschen vor Sperren“ gelten soll. Das Bundeskriminalamt hat bei der Ausführung dieser Aufgaben festgelegte Dokumentations- und Aufsichtspflichten. Ein beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit bestelltes Expertengremium kann zudem jederzeit Einsicht in die Sperrliste nehmen und die Einträge überprüfen. Das BKA stellt diese Sperrlisten den Diensteanbietern täglich zur Verfügung, sodass diese Kenntnis nehmen können.

– Sperrung der gelisteten Webseiten

Die verpflichteten Diensteanbieter nach § 8 Telemediengesetz erschweren den Zugang zu den gelisteten Seiten, indem sie „geeignete technische Maßnahmen“ ergreifen. Ruft ein Nutzer eine gelistete Seite auf, erscheint die Stoppmeldung, die über den Grund der Sperrung und über die Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt informiert. Personenbezogene Daten, die aufgrund der Stoppmeldung anfallen, sollen nicht zu Zwecken der Strafverfolgung verwendet werden. Die Diensteanbieter übermitteln dem Bundeskriminalamt aber eine wöchentliche anonymisierte Aufstellung über die Zugriffe auf die Stoppmeldung.

Zuständigkeitsüberschreitung

Warum soll der Bund überhaupt die vorliegende Materie regeln können? Diese Frage ist ein von Juristen und Experten vielfach vorgebrachter Hinweis auf einen möglicherweise folgenschwerer Mangel des Gesetzes. Kritiker haben zuletzt noch an die Bundesländer appelliert, die Sperren als Teil des Polizeirechts und damit als Ländersache zu sehen und eine bundesweite Regelung abzulehnen. Dies folgt aus der grundsätzlichen bundesstaatlichen Kompetenzverteilungsregel für den Bereich der Gesetzgebung, die in den Art. 70 ff.GG konkretisiert wird. Danach ist das Polizeirecht – trotz der fortschreitenden Aushöhlung der Zuständigkeit der Länder in den letzten Jahren – derzeit noch ein Kernstück originärer Landesgesetzgebung. Aus diesem Grunde sind Verfassungsklagen nicht nur absehbar, sondern wahrscheinlich.

Überprüfung der Sperrlisteneinträge:

Geplant ist die Bestellung eines unabhängigen Expertengremiums zur Bewertung der strafrechtlichen Qualität der zu sperrenden Inhalte (§ 184 b StGB). Die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums soll die Befähigung zum Richteramt besitzen. Anhand einer relevanten Anzahl von Stichproben erfolgt sodann eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen.

Konkret: Eine Kontrolle ist zwar zu begrüßen. Sie darf jedoch wegen ihrer personellen Zusammensetzung nicht zu dem trügerischen Schluss verleiten, dass eine richterliche Überprüfung vorgesehen wäre. Zudem handelt es sich lediglich um eine stichprobenartige Kontrolle, deren Einzelfälle nicht von der Betroffenheit des jeweiligen Seitenbetreibers ausgehen. Schließlich sind die zeitlichen Fristen für eine solche Kontrolle nicht klar definiert. Für den betroffenen Webseitenbetreiber könnte eine zu lange Prüfungszeit erhebliche – möglicherweise existenzielle – Nachteile nach sich ziehen.

„Offene“ Sperrtechniken

Eine weitere Unbekannte des Gesetzes ist die Technikoffenheit, mit welcher der Gesetzgeber für ihn scheinbar unbekannte Sachverhalte zu regeln gedenkt. So heißt es in der Begründung zu Artikel 1 Absatz 2 des vorgelegten Entwurfs: „Angesichts der rasanten Fortentwicklung der Technik erscheint es nicht zweckmäßig, den Zugangsvermittlern vorzugeben, wie die Sperrung technisch zu erfolgen hat. Vor diesem Hintergrund ist das Gesetz technologieneutral, dass heißt, es können alle vorhandenen technischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, soweit diese den Diensteanbietern zuzumuten sind.“

Konkret: So zukunftsorientiert diese Formulierung auf den ersten Blick erscheinen mag, sollte ihr Potential keinesfalls verkannt werden. Nicht nur wird hier ein Freibrief für sämtliche Sperrtechniken ausgestellt. Vielmehr wird sich die Kontrolle der Sperrmaßnahmen immer an dieser Begründung ausrichten müssen. Den Diensteanbietern wird so die Möglichkeit eingeräumt, anhand mehr oder minder effizienter Sperrmethoden über die Durchführung des Gesetzes und damit über die Zugänglichmachung oder Sperrung von (legalen und illegalen) Inhalten zu entscheiden. Eine solche Unabhängigkeit wird sonst nur Behörden oder Beliehenen gewährt. Der Grad der Gefahr eines solch weiten Ermessens wird sich in den kommenden Jahren feststellen lassen, ist aber heute schon ein äußerst kritischer Punkt.

Haftung bei fehlerhaftem Access-Blocking

Wer aber haftet nun, falls die Liste unzutreffende Einträge enthält und aufgrund dessen Internetportale fälschlicher Weise gesperrt werden?

Die Diensteanbieter haften für eventuelle Schäden nur, sofern sie die Liste nicht ordnungsgemäß umgesetzt haben. Diensteanbieter, die nicht oder nicht rechtzeitig sperren oder die Sperrliste nicht, nicht richtig oder nicht vollständig sichern, werden mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro belegt.

Nach Ansicht des Bundesfamilienministeriums können Zugangsanbieter heute punktgenau gefährliche Inhalte blockieren. Dies zeigten etwa die Beispiele aus dem Ausland wie Skandinavien. Zudem ließe sich sehr gut abgrenzen, was Kinderpornografie ist und was nicht. Zugangsanbieter würden daher nur die Seiten sperren, die vom Bundeskriminalamt verschlüsselt auf laufend aktualisierten Listen zur Verfügung gestellt werden. Was gesperrt werde, sei allein durch das Bundeskriminalamt festgelegt. Die Zugangsanbieter setzen die Sperrung lediglich um. Sofern sie dies ordnungsgemäß tun, liege die Haftung allein beim Bundeskriminalamt. Die Zugangsanbieter müssten keine Ersatzansprüche fürchten.

In den meisten Fällen unrechtmäßiger Aufführung in Sperrlisten dürfte daher eine Staatshaftung eröffnet werden. Wie ein Versagen der Behörde (BKA) darzulegen ist, insbesondere ob hierfür auch Einsicht in „sensible“ Sperrdatenbestände gewährt werden muss ist bislang nicht abzusehen. Für denjenigen, der fälschlicherweise auf einer Sperrliste geführt wird, bedeutet das eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Datenschutzrechtlich nicht unbedenklich ist aber auch eine ggf. gewährte Einsicht in die Sperrliste.

Konkret: Das größte Problem für den betroffenen Webseitenbetreiber dürfte – im Falle einer Staatshaftung – die Darlegung des erlittenen (wirtschaftlichen) Schadens sein. Zwar treffen auch nach der Argumentation von der Leyens die Internet-Sperren „die Anbieter empfindlich, weil weniger Geld eingeht“. Eine genaue Bezifferung eines Schadens dürfte aber nicht ganz einfach sein. Die aufgelaufenen Besuche der entsprechenden Stopp-Seite wären – soweit dies durch BKA offengelegt wird – ein erstes, wenn auch nicht hinreichendes Indiz.

Umfang und Verwendung der Datenerhebung

Nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums setzt die Webseitensperrung und die Umleitung auf Stoppmeldungen keine Erhebung von Daten, die nicht ohnehin im Rahmen des technischen Prozesses beim Geschäftsbetrieb der Zugangsanbieter anfallen. Zudem dürfen die anfallenden Verkehrs- und Nutzungsdaten nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden.

Provider sind jedoch nach wie vor berechtigt, Auskunft darüber zu erteilen, welcher Internetnutzer sich hinter einer bestimmten IP-Adresse verbirgt. Denn nach dem überwiegenden Teil der hierzu ergangenen Rechtsprechung (so auch das OLG Zweibrücken Az. 4 W 62/08) sind IP-Adressen keine geschützten „Verkehrsdaten“, zu deren Preisgabe der Provider nicht berechtigt und verpflichtet sei. Vielmehr werden solche IP-Adressen als sogenannte „Bestandsdaten“ angesehen – mit der Folge einer sehr weitgehenden Zulässigkeit von Auskünften.

Fügt man der Aussage des Ministeriums die bisherige Rechtsprechung hinzu, so ergibt sich zumindest die Gefahr, dass Personen, die lediglich ungewollt auch Sperrseiten gelangen, im Rahmen der Überprüfung der Nutzungsdaten individualisiert werden.

Eine klare Stellungnahme, die diese Befürchtungen entkräften könnte, ist seitens des Ministeriums nicht erfolgt.

Zusammenfassende Stellungnahme

Die konkreten Maßnahmen des beschlossenen Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderpornografie sind im Ergebnis weder geeignet, die Verbreitung kinderpornografischer Erzeugnisse in erheblichem Umfang einzudämmen, noch sind deren Eingriffe verfassungsrechtlich unbedenklich.

Durch die divergierende Zuständigkeit zwischen Führung der Sperrlisten (BKA) und Umsetzung der Seitensperrungen (Diensteanbieter) entstehen unkontrollierbare Räume für technisches Versagen und manipulative Einwirkung. Die Überprüfung durch das unabhängige Expertengremium zur Bewertung der strafrechtlichen Qualität der zu sperrenden Inhalte greift grundsätzlich zu früh in den Prozess ein, so dass Fehler bei der Seitensperrung durch die jeweiligen Provider zunächst unbemerkt bleiben. Bereits die Einsetzung des Expertengremiums ist ein Zeugnis für die befürchteten „Pannen“, die heute schon vorhersehbar sind. Zudem ist die Erhebung von Nutzerdaten, wie etwa IP-Adressen, ein sensibler Eingriff in die Privatsphäre der einzelnen Nutzer, die eventuell ungewollt auf gesperrte Seiten (z.B. aufgrund eines „redirect“, d.h. einer Umleitung auf eine fremde Webseite) gelangen. Hier ist eine Beobachtung des Einzelnen denkbar und realisierbar.

Schließlich drängt sich dem Bürger die Frage auf, warum auf die bereits bestehende Vereinbarung zwischen Providern und Staat, die Seitensperrung durchzuführen, überhaupt noch eine gesetzliche Regelung folgen muss.

Und letztlich sind sich Internet-Fachleute einig, dass die vorgesehenen Sperren relativ einfach zu umgehen sind. Anleitungen dazu kursieren bereits im Web.

Diese Feststellungen führen zur Annahme eines in Kauf genommenen Übermaßes zum Zwecke eines gesellschaftlichen Signals. Gespannt darf man daher auf eine mögliche Überprüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sein, sowie auf die nach zwei Jahren fällige Überprüfung der Gesetzesanwendung durch den Deutschen Bundestag.

(RA Alessandro Foderà-Pierangeli*)

*Der Autor ist Rechtsanwalt in Mainz mit Tätigkeitsschwerpunkt im Medienrecht und internationalem Rechtsverkehr
 
 
Siehe auch:
Juristen melden schwere Bedenken gegen Web-Sperren an (heise online)
Umstritten: Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie (photoscala)