Wir haben uns das digitale Kleinbild und Mittelformat einmal ganz praktisch und genau angesehen. Gibt es qualitative Unterschiede? Und falls ja – wie groß sind sie wirklich?

Einleitend sei vorausgeschickt, dass dieser Vergleich exemplarisch anhand der beiden Modelle Leica S2 und Nikon D3x durchgeführt wird. Das soll aber kein Vergleich Leica kontra Nikon sein; können doch beide mit Fug und Recht stellvertretend für eine ganze Gattung stehen. Interessiert hat uns nicht der Markenvergleich, sondern der Formatvergleich: Was hat das digitale Mittelformat dem digitalen Kleinbild voraus?

Vorbemerkung: Während Kleinbildkameras ihr „Vollformat“ 24×36 mm vor einigen Jahren auch im Digitalen erreichten – die EOS-1Ds von Canon war 2002 die erste digitale Kleinbild-Vollformatkamera – Nikon und Sony folgten ein paar Jahre später, hat das Mittelformat bezüglich der Sensorgrößen bislang nicht zu den analogen Mittelformaten (4,5×6, 6×6, 6×7) aufgeschlossen und es deutet auch nichts darauf hin, dass sich das in Zukunft ändern wird. Im Gegenteil setzen die Hersteller eher auf neue Systeme, bei denen Gehäuse und Objektive auf die – im Vergleich zum „klassischen“ Mittelformat – kleineren Sensoren abgestimmt sind: Hasselblad mit der HD-Serie, Leica mit der S2.

Hier ein Überblick über gängige bzw. vergangene Aufnahme- / Sensorformate:
 

  Format effektiv Bilddiagonale
(= ca. Normalbrennweite)
Formatfaktor*
(des Kleinbilds bezogen auf dieses Format; gerundet)
Kleinbild 24×36 mm 43 1
4,5×6 45×55 mm 71 1,6
6×6 55×55 mm 78 1,8
S2-Format 30×45 mm 54 1,25
Hasselblad H4D-40 33,1×44,2 mm 55 1,3
Hasselblad H3D 36×48 mm 60 1,4
Leaf Aptus II-8 33×44 mm 55 1,3
Leaf Aptus-II 10R 36×56 mm 60 1,4
Mamiya M22 36,7×48,9 mm 61 1,4
Pentax 645D 33×44 mm 55 1,3
Phase One P65+ 40,4×53,9 mm 67 1,6

 
* Formatfaktor: Durch diesen Wert müssen Sie die jeweilige Brennweite teilen, um die kleinbild-äquivalente Brennweite zu erhalten. Beispiel: 80 mm an H4D-40 = 80 / 1,28 = 63. Das 80-mm-Objektiv an der H4D-40 zeigt ungefähr denselben Motivausschnitt wie ein 63-mm-Objektiv an Kleinbild.
 
 
In medias res

Mit der folgenden Reihe hatten wir den Test der Leica S2 beschlossen:
 

Foto: Georg N. Nyman

Gesamtmotiv Mariahilfer Kirche; S2 mit Summarit-S 2,5/70 mm Asph.
 
 
Foto: Georg N. Nyman

Bildmitte – Bildrand bei Blende 5,6: S2 mit Summarit-S 2,5/70 mm Asph.
 
 
Vergleichsreihe: Georg N. Nyman

Bildmitte – Bildrand bei Blende 5,6: D3x mit AF-S 1,4/50 mm G

 
Wie man sieht: die Nikon D3x bzw. eben Kleinbild schlägt sich wacker. Auch nicht uninteressant, da wir schon dabei sind, der Vergleich mit dem analogen Mittelformat:
 

Vergleichsreihe: Georg N. Nyman

Mamiya RZ67 Pro II mit 4,5/75 mm Shift bei Blende 5,6 auf Fuji Velvia 50. Die feinen Details der Altarkrone gehen im Korn und in der Dicke der Emulsion unter, wohingegen die nicht so feinen Details der Wand noch sehr gut wiedergegeben werden. Eine nachfolgende Untersuchung der Dias unter einem Stereomikroskop hat diesen Umstand dann bestätigt – es sind tatsächlich nicht viel mehr Details vorhanden. Der Vergleich macht deutlich, dass sowhl die digitale Mittelformat- wie auch die digitale Kleinbildkamera dem Film überlegen sind. Zwar kann man noch ein wenig mehr aus den Dias ktizeln, wenn man statt eines guten Scanners der oberen Mittelklasse (hier Nikon ED8000) einen Spitzenscanner (z.B. einen Heidelberg-Trommelscanner) nimmt – aber viel Gewinn ist es nicht.

 
Hier soll es nun weitergehen mit dem Vergleich der Systeme. Ich habe eine ganze Serie von Aufnahmen parallel gemacht – also S2 gegen D3x, beide mit dem Normalobjektiv bestückt. Die S2 mit dem 2,5/70 mm Asph. und die D3x mit dem AF-S 1,4/50 mm G. Als Vergleichsblenden habe ich 2,8 sowie 5,6 und 8 gewählt.

Grundsätzlich habe ich alle Aufnahmen im jeweiligen RAW-Format gemacht (also die Leica in DNG, die Nikon im NEF-Format), dann in den RAW-Converter geladen (Leica in Adobe Camera Raw , Nikon in Capture NX2) und anschließend in Photoshop CS4 importiert. Dort wurden die Fotos möglichst identisch optimiert. Die hier gleich gezeigten Beispiele sind zum Teil (deutlich) runterskaliert, zum Teil leicht geschärft und Web-optimiert – also mit möglichst kleiner Dateigröße bei noch akzeptabler Qualität – gespeichert. Dabei wurde darauf geachtet, dass sie möglichst aussagekräftig bleiben. Sie stehen aber keinesfalls für die absolute Qualität der Kameras bzw. der Fotos, sondern sollen bestimmte Aspekte anschaulich machen.
 

Foto: Georg N. Nyman

Hier die Übersichtsaufnahme. Enstanden beim Vienna International Center, aufgenommen mit der Nikon D3x mit dem AF-S 1,4/50 mm G bei Blende 4
 
 
Foto: Georg N. Nyman
 
 
Foto: Georg N. Nyman

 
Die Detailausschnitte stammen aus einem Bereich oberhalb der Mitte, links. Bei einer 100-%-Ansicht am Monitor erscheint das Detail der Leica-S2-Aufnahme etwas besser definiert, sie zeigt eine etwas höhere Auflösung und ein etwas geringeres Rauschen.

Es folgt eine weitere Aufnahme, die mehr Details zeigt. Auch hier wählte ich wiederum einen kleinen Ausschnitt – in diesem Fall links außen, dort, wo der vertikale rote Schriftzug der Strabag zu erkennen ist. Wieder beide Kameras bei Blende 4 mit denselben Objektiven wie eben:
 

Foto: Georg N. Nyman
 
 
Foto: Georg N. Nyman
 
 
Foto: Georg N. Nyman

 
Dasselbe Ergebnis wie eben: nur geringfügige Unterschiede, bei der D3x ist ein etwas intensiveres Rauschen zu erkennen.

Da die beiden Sensoren unterschiedlich groß sind, wurde das Detail der Nikon etwas stärker nachvergrößert. Im Original ist das Verhältnis so wie hier abgebildet:
 

Foto: Georg N. Nyman

 
Diese Gegenüberstellung führt zu einer wichtigen Aussage: die Pixeldichte und damit die grundlegende Bildqualität der beiden Kameras mag sich sehr ähnlich sein, der größere Sensor der S2 (und vergleichbarer Mittelformatkameras) hat aber Vorteile, die sich direkt auf die Bildqualität auswirken: Da der Sensor größer ist, braucht man eine geringere „Nachvergrößerung“ des digitalen Bildes, um eine bestimmte Bildgröße bei einer gegebenen Druckauflösung zu erreichen.

Ein Beispiel dazu: Ich möchte einen Druck in der Größe 60×90 cm bei 240 dpi machen. Dann muss ich für Aufnahmen mit der Nikon D3x eine stärkere Bildvergrößerung einstellen als für Aufnahmen mit der S2. Das wirkt sich dahingehend aus, dass die feinen Details aus der D3x zwar auch vergrößert werden, nur werden sie weniger bildrelevanten Inhalt haben als die gleichen Details von der S2. Das war ja bereits auf den Detailaufnahmen in der Mariahilfer Kirche (siehe oben) zu sehen. Hier noch ein sehr anschauliches Beispiel:
 

Foto: Georg N. Nyman

Das Motiv in der Übersicht
 
 
Foto: Georg N. Nyman

Vergleichs-Detail aus der Bildmitte: Links D3x, rechts S2 – keine Bildoptimierung

 
Beide Aufnahmen wurden in Adobe Camera Raw 5.4 ohne irgendeine Optimierung entwickelt und in Photoshop CS4 importiert. Dann wurden beide Aufnahmen auf 60×90 cm bei 240 dpi skaliert und bei 200-%-Ansicht wurde ein Bildschirmfoto des Ausschnitts gemacht. Man erkennt jetzt eindeutig den Größenvorteil des Sensors der S2 (gleiches gilt natürlich für alle Mittelformatkameras mit vergleichbar großem Sensor).

Die relative Dichte beider Sensoren, also die Megapixel pro Flächeneinheit, ist praktisch identisch, aber das Ausgangsformat der S2 ist etwas größer, daher brauche ich etwas weniger leere Nachvergrößerung, um ein gegebenes großes Format zu erreichen. Solange aber die Pixeldichte bezogen auf gleiche Fläche nicht höher wird, ist der Vorteil der Mittelformatdigitalfotografie sehr limitiert und für viele Anwendungen kein entscheidender Vorteil. Erst wenn diese Pixeldichte höher wird – und dafür gibt es bei einem größeren Aufnahmeformat genügend Reserven – dann wird das digitale Mittelformat einen entscheidenden Vorteil gegenüber den 24+Megapixel-Kameras bringen; dann wird die Bildqualität deutlich sichtbar besser sein. Das sollte etwa bei der neuen H4-Serie von Hasselblad gegeben sein; vorausgesetzt, man hat auch die dazu passenden Objektive in entsprechender Qualität, denn sonst zeigen sich auch die optischen Fehler und Grenzen der Objektive noch deutlicher.
 

Foto: Georg N. Nyman

Eine noch höhere Vergrößerung (400 % in Photoshop CS4) eines Details (in der Gesamtaufnahme oben durch einen kleinen roten Pfeil angedeutet) mit nachfolgender Nachvergrößerung beider Ausschnitte – daher mit einer Interpolation der Pixel durch Photoshop. Links der Screenshot der S2, rechts der von der D3x ohne Angleichung der unterschiedlichen Ausgangsformate. Es sei dem Leser überlassen, den Qualitätsunterschied zu bewerten.

 
Noch ein letztes Beispiel, entstanden bei Blende 8. Beide Aufnahmen wurden in Photoshop CS4 geladen, farblich angeglichen, und dann wurden die Ausschnitte gewählt und ohne weitere Bearbeitung zusammenmontiert.
 

Foto: Georg N. Nyman

Blick auf die Neue Donau und die Hügel des Wienerwalds. Im Hintergrund im rechten Bildteil – kaum zu erkennen – das auf dem Leopoldsberg liegende Kloster. Und etwa in der Mitte ein Hochhaus. Beide Details wurden für eine Detailvergrößerung verwendet.
 
 
Foto: Georg N. Nyman

200-%-Ausschnitt ist aus einem Bereich nahe der Bildmitte. Deutlich zu erkennen: die bessere Detailwiedergabe der S2, wobei das Ergebnis der D3x beachtlich ist.
 
 
Foto: Georg N. Nyman

Der 400-%-Ausschnitt aus dem rechten Bildrandbereich zeigt deutlich die Reserven des Mittelformats im Vergleich zum Kleinbild.

 
(Georg N. Nyman / thoMas)
 

Nachtrag (6.4.2010; 20:00 Uhr): Irrtümlich hatten wir in der Bildunterschrift zur Mamiya-Aufnahme einen „Provia 50“ erfunden, den es gar nicht gibt. Richtig ist: „Velvia 50“; und das wurde oben so berichtigt.