Heute soll, zumindest in Nordamerika, die 11. Auflage von Photoshop erscheinen, die auf den Namen Photoshop CS4 hört. Martin Vieten hat für photoscala eine der letzten englischen Betaversionen ausführlich begutachtet: Lohnt sich der Aufstieg vom Vorgänger CS3? Und: Was bietet Photoshop CS4 dem engagierten Fotografen?

Mein Workflow beginnt in der Regel damit, dass ich frische Fotos von der Speicherkarte in Bridge lade. In Bridge CS4 hat sich nicht allzu viel getan. Erwähnenswert ist hier vor allem eine Funktion, mit der sich Bildübersichten drucken lassen. (Bryan O’Neil Hughes, Product-Manager bei Adobe erzählte mir, dass bisher Bridge-Benutzer Screenshots machten, die sie dann ausdruckten.) Und ähnlich wie das neue Lightroom 2.0 unterstützt Bridge CS4 jetzt auch die Ansicht auf zwei Monitoren.
 

Screenshot ACR 5

ACR-Verlaufsfilter

 
Von Bridge führt mich mein Workflow zu Adobe Camera Raw (ACR), dem Raw-Konverter von Photoshop. Mit Photoshop CS4 kommt ACR in der Version 5.0 – und die entpuppt sich mehr denn je als kleine aber feine Bildbearbeitung, die den Griff zum mächtigen Photoshop immer seltener nötig macht. Wie schon in Lightroom 2 sind nun auch in ACR 5.0 selektive Eingriffe ins Foto möglich. Der Himmel ist zu hell geraten? Mit dem „Verlauffilter“ zieht man eine Verlaufsauswahl auf, mit der sich die gewünschte Bildpartie gezielt abdunkeln lässt. Ebenso gut lassen sich in den ausgewählten Bereichen der Kontrast einstellen, die Sättigung regulieren oder gezielt schärfen – um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Noch feiner malt der „Anpassungspinsel“ Korrekturen ins Foto. Und mit dem „Bereichsreparaturpinsel“ verschwinden jetzt sogar störende Strommasten direkt in ACR, ohne dass ich dazu Photoshop starten muss. Clever: Alle diese Korrekturen sind virtuell. Die Original-Pixel werden im ACR nicht angetastet, die Änderungen lassen sich jederzeit wieder zurücknehmen.

Trotz dieser ausgeklügelten Bildbearbeitungsmöglichkeiten im ACR landet auch bei mir letztendlich jedes Foto in Photoshop. Etwa, wenn es darum geht, ein Bild für den jeweiligen Ausgabezweck zu schärfen. Oder aus zwei unterschiedlich entwickelten RAW-Dateien ein Bild mit optimalem Dynamikumfang zu montieren.
 

Screenshot der Oberfläche von CS4

Die Oberfläche von CS4

 

Screenshot der Adjustments-Palette

Photoshop CS4 präsentiert sich mit der bereits angekündigten „Ein-Fenster-Oberfläche“: Sie vereint alle wichtigen Panels übersichtlich am rechten Bildschirmrand. Dabei passt Photoshop sowohl die Höhe als auch die Breite der Palettenfenster dynamisch entsprechend der aktuell gewählten Palette an. Screenshot der Adjustments-PaletteDas funktioniert ideal auf einem Breitbildmonitor, der allerdings am besten eine Auflösung von 1920×1200 Pixeln bieten sollte. Viele Photoshopper werden jedoch weiterhin eine Zwei-Schirm-Lösung bevorzugen. Sie können die Paletten jederzeit abdocken und frei verschieben – etwa auf einen zweiten Monitor. Schön auch, dass sich Photoshop CS4 (das ich unter Windows Vista ausprobiert habe) in schlichtem Grau präsentiert und die quietschbunten Fenstertitel des Betriebssystems durch einen dezenteren Auftritt ersetzt – so lenkt nichts von dem Bild ab, das es zu bearbeiten gilt.

In den Paletten am rechten Bildschirmrand sticht sofort ein neues Panel ins Auge, das die Paletten „Adjustments“ (Einstellungen) und „Masks“ bereithält. Die beiden haben es wirklich in sich: Ein Klick etwa auf das Symbol „Curves“ (Gradationskurven) legt augenblicklich eine Einstellungsebene vom Typ „Gradationskurven“ über das Bild. Deren Dialogfeld erscheint jetzt in der „Adjustments“-Palette – auch nachträglich, sobald die Einstellungsebene angeklickt wird.

Laut Adobe war ein Entwicklungsziel, Routinearbeiten in Photoshop CS4 deutlich einfacher zu machen und damit die Produktivität zu erhöhen. Bei der neuen „Adjustements“-Palette ist dies sicherlich gelungen – Adobe verspricht nahezu 90 Prozent weniger Mauszüge. In dieselbe Richtung zielt die Masken-Palette: Sie ermöglicht es, Ebenenmasken nachträglich zu bearbeiten. So gibt es jetzt einen Regler für „Feather“ (weiche Auswahlkante), mit der sich der Maskenrand nachträglich einstellen lässt. Wer schon einmal in früheren Versionen eine Ebenenmaske nachträglich weichgezeichnet hat, weiß, wie umständlich das bisher war.

Was Adobe nicht sagt: Die neuen Features erlauben nicht nur dem Photoshop-Profi deutlich schnelleres Arbeiten – sie sorgen auch dafür, dass der Einsteiger wesentlich einfacher zu respektablen Bildbearbeitungsergebnissen kommt. Besonders der Photoshop-Novize wird sich über die vielen, direkt wählbaren Vorgaben bei den Einstellungsebenen freuen oder über die neue Einstellungsebene „Belichtung“ (mit Vorgaben wie „Plus 1.0“).
 

Screenshot Auto-Blend Layers

Ebenen automatisch ausrichten

 
Eine neue Funktion hat es mir besonders angetan: „Auto-Blend Layers“ (Ebenen automatisch ausrichten) kann jetzt Fotos mit unterschiedlichen Schärfeebenen zu einem Bild durchgängiger Schärfentiefe übereinanderlegen. Dazu wird zunächst das Motiv mit unterschiedlichen Fokuseinstellungen mehrfach fotografiert. Photoshop stapelt die einzelnen Aufnahmen dann automatisch in Ebenen übereinander, sorgt für perfekte Deckung der Einzelbilder (ein Stativ ist also nicht zwingend nötig) und blendet dann in jeder Ebene die unscharfen Bildbereiche automatisch aus. Das funktioniert verblüffend gut!
 

Fotobeispiel Content-Aware Scaling

„Content-Aware Scaling“; Original und Ergebnis

 
Eine zweite Funktion mit WOW-Effekt ist das „Content-Aware Scaling“. Mit ihr lässt sich ein Bild blitzschnell in ein neues Format ziehen (etwa von 3:2 auf 4:3 oder 16:9), wobei die Hauptmotive ihre Proportionen erhalten und nur der Bildhintergrund gedehnt oder gestaucht wird. Das klappt aber nur, wenn sich das eigentliche Motiv deutlich von seinem (am besten: unscharfen) Hintergrund abhebt. Nett anzusehen, wie’s geht – aber in der Praxis wird man es nicht so häufig brauchen.

Weitere Verbesserung gibt es in vielen Details: Die Panoramafunktion („Photomerge“) fügt nun auch 360-Grad-Panoramen ordentlich zusammen, Abwedler, Nachbelichter und Schwamm gehen schonenden mit den Kontrasten um als bisher. Käufer von Photoshop CS4 Extended (die Unterscheidung in eine Basis- und eine erweiterte Version behält Adobe bei) können direkt auf 3-D-Modelle malen, die sie importiert haben.

Einiges hat sich auch unterm Blech getan: Photoshop CS4 sprengt die übliche 4-GB-Speichergrenze – leider nur unter einer 64-Bit-Version von Windows Vista. Für Mac-User bleibt CS4 vorerst 32-bittig. Dafür kommen Freunde des Apple-Rechners in den Genuss, ihre Fotos mit echten 16 Bit Farbtiefe an den Drucker senden zu können.

Außerdem nutzt Photoshop CS4 die Rechenpower moderner Grafikkarten. Dank Open-GL-Unterstüzung zoomt man nun sanft in die gewählte Auflösungsstufe, die Arbeitsfläche lässt sich flüssig drehen und Adobe verspricht nun in jeder Zoom-Stufe eine zuverlässige Beurteilung der Bildschärfe. Auf meinem Intel Quad-Core mit 2,4 GHz Taktfrequenz und 3 GB RAM lief die Beta von CS4 jedenfalls unter einem 32-Bit-Vista verblüffend flott – selbst beim Bearbeiten einer 200-MB-Datei.

Auch wenn Photoshop CS4 mit vielen nützlichen Neuerungen glänzt – an manchen Stellen ist die lange Geschichte des Programms immer noch allzu deutlich spürbar. Beim Gang durchs „Filter“-Menü begegnen einem uralte Bekannte: Filterdialoge, die nur ein briefmarkengroßes Vorschaufensterchen zeigen oder gar Filter ganz ohne Vorschaumöglichkeit. Hier wäre es dringend Zeit, das Programm einmal gründlich zu renovieren und allen Filterdialogen ein einheitliches „Look&Feel“ zu verpassen.

Fazit: Lohnt sich der Aufstieg auf Photoshop CS4 also? Die Antwort ist ein klares „Ja“, wenn Sie viel oder gar professionell mit Photoshop arbeiten. Alleine schon die automatischen Einstellungsebenen und die Möglichkeiten zur Manipulation von Ebenenmasken machen vieles leichter. Aber auch Hobby-Fotografen, zu denen ich mich zähle, profitieren eindeutig von den Verbesserungen. Ganz besonders angetan bin ich von Adobe Camera Raw 5, das mich dank der neuen Möglichkeiten zur selektiven Korrektur nun viel seltener zum großen Photoshop greifen lässt.

Und wer Photoshop bislang noch nicht hatte? Dem wird mit CS4 den Einstieg in den Bildbearbeitungsboliden so leicht gemacht wie noch nie. Jetzt könnte sich nur noch der Preis als echte Hemmschwelle erweisen: Photoshop CS4 soll wieder rund 1000 Euro kosten, das Update knapp 300 Euro. Für Photoshop CS4 Extended wird Adobe fast 1500 Euro verlangen und immerhin rund 470 Euro für’s Update. Ganz genau werden wir es Ende des Jahres wissen – dann soll die deutsche Version von Photoshop CS4 erscheinen.

(Martin Vieten)