Trostlosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Gewalt, Verlassenheit, soziale Kälte, das sind die Themen der Fotografie Jeff Walls, die stets zwischen Realismus und Inszenierung pendelt:
Mit der Ausstellung Jeff Wall – Belichtung ist dem Deutschen Guggenheim in Berlin ein besonderer Coup geglückt. Vier neue großformatige Silbergelatine-Abzüge hat der kanadische Künstler als Auftragsarbeit für das Museum Unter den Linden geschaffen – eine Werkgruppe, die das Lebensthema Walls ein weiteres Mal ausformuliert. Es ist eine kinematografisch anmutende Fotografie, die Menschen zeigt, die auf verschiedene Art und Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind.
Jeff Wall; Men Waiting
Men Waiting, eine der neuen, großformatigen Arbeiten – die jetzt ein Katalog vorstellt -, zeigt eine Gruppe von Männern, die am Straßenrand im Matsch stehen und warten. Doch was sie da tun, ist nicht eindeutig. Warten sie darauf, einen Tagesjob und damit ein paar Dollars zu bekommen? Die zweite Arbeit zeigt ein heruntergekommenes Mietshaus, vor dessen Eingängen Menschen sitzen. Auf der dritten Arbeit ist eine Gruppe Kinder zu sehen, die auf einem verlassenen Gelände Krieg spielen. Die vierte Fotografie schließlich, Cold Storage, die ganz ohne Menschen auskommt, zeigt die Innenansicht eines Kühlraums – Symbol für die prekäre Situation menschlicher Beziehungen, die schon immer inhaltlicher Kern im Schaffen Walls war.
Jeff Wall; Cold Storage
Trostlosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Gewalt, Verlassenheit, soziale Kälte, das sind die Themen der Fotografie Jeff Walls, die stets zwischen Realismus und Inszenierung pendelt. Mir scheint, die besten Werke bildender Kunst bleiben zögernd, unentschlossen im Hinblick auf diesen Unterschied, diese Dis-Identität, sagt der 1946 geborene promovierte Kunsthistoriker, der es wie kaum ein anderer Fotograf vermocht hat, einen eigenen Stil zu etablieren, vermeintliche Schnappschüsse anzufertigen, die doch auf so aufwändige Weise mit Schauspielern inszeniert sind, dass sie das Augenblickliche, den Moment verlassen – und exemplarisch auf den Zustand der Gesellschaft verweisen.
Wer diese Fotografien wie großes Kino betrachtet, wer hier nach einer Geschichte sucht, nach einer, die man erzählen könnte – wer ist etwa diese Frau mit dem Rucksack, die im Begriff ist, das Haus zu betreten? – der ist auf der richtigen Spur. So ist es immer mit der Kunst von Jeff Wall: Immer sucht man nach einer Geschichte in diesen rätselhaften Bildern. Allein: Es gibt keine. Zumindest bleibt sie unerzählt. Es gibt nur diese Einzelbilder. Der Rest passiert im Kopf des Betrachters.
(Marc Peschke)
Jeff Wall: Belichtung (bei amazon.de)
Hrsg. The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York
Text von Jennifer Blessing, Katrin Blum
Hatje Cantz 2007
60 Seiten, 37 farbige Abbildungen. 25,70 x 30,50 cm. Broschur
ISBN 978-3-7757-2068-7
€ 22,00 / CHF 39
Das ist der Kern- und Schlüsselsatz:
“Immer sucht man nach einer Geschichte in diesen rätselhaften Bildern. Allein: Es gibt keine.”
Ja nun.
Ich habe in den zurückliegenden Jahren eine Menge solcher Bilder in allen möglichen Umgebungen und Ausstellungen gesehen. Junge (Foto-)Künstler, alte Künstler, solche mit akademischer und ohne Ausbildung. Wie auch immer. Die letzten Jahre waren vor allem in avantgardistischen Kreisen der Renner. Keine ambitionierte Galerie ohne diese Form von Fotografie oder künstlerischer Installation (Video geht genauso).
Ich bin da normalerweise ziemlich offen. Was mich persönlich allerdings immer mehr abnervt, ist dieser antiästhetische visuelle Trash, der vorzugsweise unkritisch von einigen US-Künstlern in hiesigen Breiten von “avantgardistischen” Künstlern bis zur massenhaften Beliebigkeit ausgebreitet worden ist. Es gibt ja nun gerade aus den USA genügend Beispiele für eine sozial engagierte Form der künstlerischen Aufbereitung von sozialen Lebenslagen. Reich wie arm und unterprivilegiert, verwöhnt und leidend. Es gibt unendlich viele Spielarten und Varianten menschlicher Erscheinungs- und Lebensformen und die Aufgabe der Kunst ist es u.a., ein mediales Echo als Abbildung dieser menschlichen Existenz wieder zu geben. Dazu muss auch eine Botschaft erkennbar werden. Ansonsten ist es einfach nur die schlichte Belanglosigkeit.
Nun kann man ja annehmen, dass junge Künstler, mangels tieferer Reife und mangelnder Erlebnisse infolge von fehlenden Lebensjahren, sich eher gekünstelteten Themen zuwenden, damit man das für den Ausfluss von Lebenserkenntnissen halten kann, oder vielleicht auch gar nicht, dann nimmt man das als ehrliches Statement. Bei älteren Künstlern möchte man ein tieferes Verständnis annehmen. Und dann enttäuscht Banalität noch heftiger.
Wie auch immer. Es wird wieder Zeit, ein Höchstmaß an Kreativität, an ästhetischer Perfektion, an innerer Beteiligung bei der Sicht auf die Dinge, als kulturellen Maßstab mit anzulegen. Die Grundprinzipien der Gestaltung sind nach wie vor nicht außer Kraft. Das Publikum darf sich emanzipieren und nicht jeden visuellen Schrott als durch Kunst geadelt durchwinken. Der Kunstmarkt ist da ohnehin schon weiter. Da war und ist diese “Kunstform” ohnehin praktisch nicht verkaufbar. Da reichte es in der Regel eher für Ankäufe von öffentlichen Galerien.
Unverkaufbar??
[quote=Gast]Der Kunstmarkt ist da ohnehin schon weiter. Da war und ist diese “Kunstform” ohnehin praktisch nicht verkaufbar. Da reichte es in der Regel eher für Ankäufe von öffentlichen Galerien. [/quote]
Aha? Jeff Wall’s Photos werden für ungefähr 1 Mio US-Dollar gehandelt, Gursky wechselt für 3,3 Mio USD den Besitzer. ( Quelle: http://www.nytimes.com/2007/02/25/magazine/25Wall.t.html?_r=1&oref=slogin&ref=magazine&pagewanted=all )
Aber wie in jeder Kunstform gilt: das Original ist wertvoll und teuer, Amateur-Kopien ohne eigene Ideen kommen in die Ramschecke. Irgendwo ist die Welt noch in Ordnung.
Du nix Deutsch ?
“Prekäre Fotografie” heiß auf Deutsch: verarmte, verelendete Fotografie.
Davon kann hier aber keine Rede sein !
Gemeint ist wohl eher: “Fotografie des Prekären” – oder ?
Du nix Lexikon?
Der Brockhaus sagt mir zu prekär: “schwierig, misslich, heikel”. Nix verarmt.