Max Liebermann, Strandszene in Nordwijk, 1908, PastellDie Ingelheimer Ausstellung hat sich den Impressionismus in Deutschland zum Thema gemacht, will dem neue Facetten abgewinnen – und entdeckt dabei auch die Arbeiten eines altbekannten Fotografen:

Medienmitteilung:

Internationale Tage Ingelheim

Von Liebermann bis Nolde
Impressionismus in Deutschland auf Papier

Ingelheim, Altes Rathaus: 5. April bis 15. Juni 2014
Hamburg, Ernst Barlach Haus: 29. Juni bis 21. September 2014

Das Projekt der Internationalen Tage Ingelheim 2014 erweitert die Sichtweise auf den Impressionismus in seiner deutschen Ausprägung und zeigt Werke im Übergang zwischen dem Akademismus des 19. Jahrhunderts und der Autonomie von Farbe und Form an der Wende zum 20. Jahrhundert.

Der Impressionismus in Deutschland war immer wieder Thema in Ausstellungen. Zumeist bezogen sich diese Projekte jedoch auf die drei Künstler, die sofort damit in Verbindung gebracht werden: Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt. Und sie konzentrierten sich fast ausschließlich auf deren Malerei. Auch stand immer wieder der Vergleich mit dem französischen Impressionismus als Vorbild im Zentrum.

In der Ingelheimer Ausstellung wird deutlich, dass es nicht nur die drei „Großen“ in Berlin waren, die in Deutschland die entscheidenden Impulse zu dieser Entwicklung gaben. Vielmehr gab es – mit dezentralen Schwerpunkten – deutschlandweit Strömungen, die künstlerisch jeweils ganz eigene Lösungen fanden. Von Weimar aus, wo der Kunstschriftsteller Emil Heilbut im Januar 1889 anhand von drei mitgebrachten Gemälden Claude Monets Vorträge über die neueste künstlerische Entwicklung in Frankreich hielt, über Karlsruhe und Hamburg, bis hin in die Abgeschiedenheit von Worpswede und Ahrenshoop fand der Impressionismus in Deutschland Orte, an denen es starke Bestrebungen gab, der „Lichtmalerei“ eigenständige Ausprägungen zu geben. Auch waren es vielfach Frauen, denen der Zugang zu den Kunstakademien noch verwehrt war, die in den zahlreichen privaten Malschulen für Frauen vor allem das Studium direkt vor der Natur betrieben und so auch eine durchaus eigene Sehweise entwickelten.
 

Max Liebermann, Strandszene in Nordwijk, 1908, Pastell

Max Liebermann, Strandszene in Nordwijk, 1908
Pastell
Galerie Ludorff, Düsseldorf
 
 
Emil Nolde, Weiden im Schnee, 1908

Emil Nolde, Weiden im Schnee, 1908
Aquarell
Nolde Stiftung Seebüll

 
Indem sich die Ausstellung eben nicht auf die Malerei, sondern auf das Medium Papier konzentriert – auf Zeichnung, Aquarell, Pastell und Druckgrafik –, wird ein neuer Blick auf die Entwicklung des Impressionismus‘ in Deutschland gerichtet. Stand in Frankreich fast ausschließlich die Malerei auf Leinwand im Zentrum der impressionistischen Bewegung, war es in Deutschland die Beschäftigung mit dem schnellen Arbeiten auf Papier, als Zeichnung oder Aquarell. Diese Blätter waren nicht als „prima idea“ für eine spätere in der „Königsklasse“ der Kunst, der Malerei, gedacht, sondern als authentischer Beleg für die Wiedergabe des Gesehenen durch die Künstler. Mit dem Arbeiten auf Papier war den Künstlern eine viel unmittelbarere und spontanere Sicht auf die Realität möglich, zumeist auf die Landschaft.

In der Ausstellung werden exemplarisch ca. 150 Werke von 13 Künstlerinnen und Künstlern gezeigt, die jeder für sich eine eigenständige Sehweise gefunden haben, dem Überkommenden des Akademismus etwas Neues, Autarkes entgegen zu setzen.
 

Lesser Ury, Märkischer See bei Sonnenuntergang, um 1900

Lesser Ury, Märkischer See bei Sonnenuntergang, um 1900
Pastell
Kunststiftung Bönsch

 
Neben den Landschaftsstudien aus Holland von Max Liebermann aus den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts und den Pastellen aus dem Refugium des Wannseegarten in seinem Spätwerk, den 1899 in Weimar und Gothmund bei Lübeck entstandenen Pastellen von Christian Rohlfs, bis hin zu den Berliner Straßenszenen Lesser Urys, werden künstlerische Positionen gezeigt, die unbekannt und ungewöhnlich sind. So zeigen die noch nie ausgestellten, kleinformatigen Bleistiftzeichnungen von Thomas Herbst, einem lebenslangen Freund Liebermanns seit gemeinsamen Studienjahren, fast abstrakte Verkürzungen in der Wiedergabe der gesehenen Landschaft, während Otto Modersohn in seinen farbigen „Nachtzeichnungen“ am abendlichen Tisch seine Motive imaginiert. Andere, wie Max Slevogt auf seiner Reise nach Italien, Lovis Corinth am Walchensee, Maria Slavona in Frankreich, Ernst Eitner in Holland und auf Reisen in Norddeutschland oder der eher unbekannte Stuttgarter Otto Reininger auf Reisen in den Alpen, hielten ihre Eindrücke spontan in gezeichneten oder aquarellierten Notaten fest, die allesamt nicht als Vorlagen für spätere Bearbeitungen zu Gemälden gedacht waren. Ganz anders und für ihre Zeit vollkommen ungewöhnlich sind die Experimente, die Anna Gerresheim in Ahrenshoop und Arthur Illies 1896 in Hamburg mit farbigen Radierungen tätigten, deren Ergebnisse zu dem Ungewöhnlichsten zählen, was um 1900 in Deutschland künstlerisch entstand. Die großformatigen Aquarelle von Emil Nolde, die Anfang 1907 in der Cospeda bei Jena entstanden, dokumentieren, dass es nicht einer neuen altersmäßigen Generation bedurfte, um Form und Farbe vom Motiv zu lösen.
 

Arthur Illies, Falkenberg im Mondschein, 1896

Arthur Illies, Falkenberg im Mondschein, 1896
Farb. Radierung
Privatsammlung
 
 
Ernst Eitner, Jungfernstieg, Ecke Reesendamm (Hamburg), um 1892

Ernst Eitner, Jungfernstieg, Ecke Reesendamm (Hamburg), um 1892
Aquarell
Nachlass Familie Eitner/Wolters
 
 
Maria Slavona, Blumenstillleben, um 1920

Maria Slavona, Blumenstillleben, um 1920
Pastell
Die Lübecker Museen – Museum Behnhaus Drägerhaus

 
Parallel zu den Bestrebungen innerhalb der bildenden Kunst entwickelt sich auch in der Fotografie eine künstlerische Sehweise, die eine große Nähe zu dem aufweist, was die Künstler beschäftigte. Der so genannte Piktorialismus, für den der gebürtige Dresdner Heinrich Kühn als Hauptvertreter steht, war motivisch wie auch in der gewollten Unschärfe und den Versuchen mit farbigen Abdrucken eine künstlerische Auseinandersetzung, die den Bestrebungen der Maler bzw. Zeichnern gleichzusetzen ist. Dies gilt auch in der Plastik von Clara Rilke-Westhoff, die, im persönlichen Kontakt zu Auguste Rodin in Paris, die Oberflächen ihrer Portraitbüsten aufbricht und so das Licht zum entscheidenden Faktor werden lässt, die das dreidimensionale Objekt immer wieder anders dem Betrachter darstellt.
 

Thomas Herbst, Kartoffelbuddler, um 1890

Thomas Herbst, Kartoffelbuddler, um 1890
Aquarell
Privatsammlung USA, Courtesy Galerie Herold, Hamburg und Kampen

 
In diesem Sinne möchte die Ausstellung in Ingelheim und Hamburg eine neue Sicht auf eine Entwicklung innerhalb der Kunst in Deutschland geben, in der es noch immer ungewöhnliche Facetten zu entdecken gibt. Neben der Ingelheimer Schau „Von Liebermann bis Nolde. Impressionismus in Deutschland auf Papier“ (05.04. – 15.06.14) bietet auch das benachbarte Landesmuseum in Mainz eine Ausstellung zu Max Slevogt: „Neue Wege des Impressionismus“ (04.05. – 12.10.14).
 
 
Eine Entdeckung: Heinrich Kühn, der impressionistische Fotograf

Heinrich Kühn, Stillleben, Blumen in Vase, um 1914 Bromölumdruck, 40,4 x 27,8 cm, Galerie Kicken Berlin
Das Projekt der Internationalen Tage Ingelheim 2014 erweitert die Sichtweise auf den Impressionismus in seiner deutschen Ausprägung und zeigt Werke im Übergang zwischen dem Akademismus des 19. Jahrhunderts und der Autonomie von Farbe und Form an der Wende zum 20. Jahrhundert.

In der Ausstellung werden exemplarisch ca. 150 Werke von 13 Künstlerinnen und Künstlern ge- zeigt, die jeder für sich eine eigenständige neue Sehweise gefunden haben. Indem sich diese Schau ausschließlich auf das Medium Papier kon- zentriert, wird ein anderer Blick auf die Entwick- lung des Impressionismus‘ in Deutschland gerich- tet. Erstmalig werden in diesem thematischen Zusammenhang auch Fotografien präsentiert.

Aus diesem Grund nimmt der Fotograf Heinrich Kühn (1866 -1944) eine besondere Position ein. Sein Ziel war es, eine Fotografie zu schaffen, deren künstlerischer Wert der Malerei in nichts nachstand. Er zählt zu den Wegbereitern und
Protagonisten der europäischen Kunstfotografie, die sich Anfang der 1880er-Jahre formiert und die sich vom starren Atelierstil der Berufsfotografen distanziert. Kühn gilt als führender Protagonist der piktorialistischen Fotografie in Europa. Es gelingt dem Fotografen ein modernistisches Werk zu entwickeln, das seiner Zeit weit voraus war.

 

Clara Rilke-Westhoff, Portrait Rainer Maria Rilke, 1905

Clara Rilke-Westhoff, Portrait Rainer Maria Rilke, 1905
Bronze
Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen
 
 
Heinrich Kühn, Stillleben, Blumen in Vase, um 1914

Heinrich Kühn, Stillleben, Blumen in Vase, um 1914
Bromölumdruck
Galerie Kicken Berlin

 
Der so genannte Piktorialismus, für den der gebürtige Dresdner als Hauptvertreter steht, war motivisch wie auch in der gewollten Unschärfe und den Versuchen mit farbigen Abdrucken eine künstlerische Auseinandersetzung, die den Bestrebungen der Maler bzw. Zeichnern gleich- zusetzen ist. Nach dem Abitur besucht er für einige Monate eine Musik- und Malschule, danach studiert er drei Jahre lang Naturwissenschaften und Medizin. Da er gut situiert ist, kann er sich nun ganz der Fotografie widmen.

Im Jahr 1894 stellt er erstmals auf einer europäischen Amateurfotoausstellung aus und wird Mitglied im Wiener Camera-Club, später in der Vereinigung von Amateurfotografen „The Linked Ring“ in London. Er entdeckt den von Louis-Alphonse Poitevin 1855 entwickelten Gummidruck neu und führt ihn in die Kunstfotografie ein. Mit diesem Verfahren, das er perfektionierte, kann man aus einem fotografischen Negativ einen Druck erzeugen, und durch die freie Wahl von Papier und Pigment glich das Ergebnis eher einer Grafik als einer konven- tionellen Fotografie. Damit ließen sich die Helligkeitskontraste gezielt Kühns Bildvorstellungen anpassen und die Bildschärfe nach Belieben auflösen. Mit seinen künstlerischen Fotografien, insbesondere seinen Porträtstudien, Stillleben und Landschaftsfotografien, erlangt er große internationale Anerkennung, unter anderem 1898 auf der Ausstellung der Münchner Sezession. Ab 1905 widmet er sich auch der Malerei, der Radierung und dem Holzschnitt. Er eröffnet in Wien ein Porträtatelier.
 

Heinrich Kühn, Wiese mit Bäumen, 1897

Heinrich Kühn, Wiese mit Bäumen, 1897
Dreifarbiger Gummidruck
Photoinstitut Bonartes, Wien
 
 
Ernst Eitner, Schilffeld an der Trave, 1893

Ernst Eitner, Schilffeld an der Trave, 1893
Gouache und Pastell
Nachlass Familie Eitner/Wolters

 
Durch seine Freundschaft zum amerikanischen Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz kann er einige Werke auf der International Exhibition of Pictorial Photography in Buffalo ausstellen. Kühn beginnt mit farbfotografischen Experimenten mit den von den Brüdern Lumière entwickelten Autochrome-Platten. Nach Verlust des Familienvermögens gründet er 1914 eine Fotoschule, die jedoch nur ein Jahr lang existiert. 1920 schließt er sein Porträtatelier und zieht sich nach Birgitz bei Innsbruck zurück, wo er von nun an Artikel für diverse fotografische Zeitschriften schreibt, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er publiziert zwei Bücher: Die Technik der Lichtbildnerei (1921) und Zur photographischen Technik (1926). 1937 erhält er die Ehrendoktorwürde der Universität Innsbruck.
 
 
Ausstellung:
Internationale Tage Ingelheim
Von Liebermann bis Nolde
Impressionismus in Deutschland auf Papier
5. April bis 15. Juni 2014

Altes Rathaus
François-Lachenal-Platz 1
55218 Ingelheim am Rhein

Öffnungszeiten Di-Fr 11 – 19 Uhr; Sa, So und Feiertag 11 – 18 Uhr
 

Emil Nolde, Tanz, 1908

Emil Nolde, Tanz, 1908
Feder- und Tuschpinselzeichnung
Nolde Stiftung Seebüll

 
(thoMas)