Dem einen verheißen Tests objektive Daten, dem anderen sind sie subjektive Aussagen mit aufgehübschten Schaubildchen

Hinweis: Lesen Sie diesen Beitrag nicht, wenn die Suche nach dem allgemein gültigen, dem „Objektiven“ Ihnen sehr viel bedeutet. Tests verschaffen vielen Sicherheit bei der Kaufentscheidung und schieben das ungute Gefühl drängender Fragen beiseite. Mit diesem Text dagegen werden Sie noch mehr beunruhigt und todunglücklich.

Für die einen liefern allein die Tests jene Daten, die objektiv sind, den anderen sind Tests eine Fortsetzung subjektiver Aussagen mit aufgehübschten Schaubildchen, bei denen man einen Eindruck bekommt von den realitätsnahen Testbedingungen, die noch zu schaffen sind.

Zu den letzteren gehöre ich. Dafür gibt es – wie ich meine – leicht verständliche Gründe. Ob Kamera oder Objektiv, alle Tests, so behaupten die Autoren, seien objektiv und nachprüfbar. Doch warum zeigen die Ergebnisse dieser Tests dann recht unterschiedliche Ergebnisse und Wertungen? Was bei den einen auf Platz 1 der ach so beliebten „Bestenliste“ gehört, wird bei den anderen auf die Plätze verwiesen.

Wer hat recht? Zumindest erklärt die Verunsicherung, warum unbedarfte Leser und Leserinnen nur den Tests „ihres“ Magazins glauben wollen. Daran hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert. Mit Grausen lese ich die üblichen Einführungstexte: „So testen wir“. Darin wird der Verdacht des Subjektiven schon dementiert, bevor jemand öffentlich den Finger hebt und sagt: „Dieser Test ist Unsinn.“

Tatsächlich sind nicht die Testprotokolle das Problem, sondern die Art, wie diese zur Wertung dienen, was üblicherweise nichts anderes ist als eine bewusste Irreführung der Ratsuchenden.

Bei Kameras ist die Sache einfach.

Jedes, wirklich jedes Testergebnis ist schnell und leicht als „Verkaufsförderung“ für Anzeigenkunden, das sind die Hersteller, erkennbar, sofern „Punkte“ vergeben werden.

Die Wertungen für „Ausstattung“ (was ist den Testenden wichtig), „Ergonomie“ (es soll wohl Handlichkeit bedeuten), „Dokumentation“ (Handbuch) und „Service“ (wie testet man für ein Modell das noch gar nicht oder erst kurz auf dem Markt ist?) sind als höchst subjektive Meinungen erkennbar. Trotzdem, alle diese Wertungen werden mit der Bildqualität in eine Reihe gestellt! Die Leserschaft scheint dies nicht zu stören. Nicht wenige verweisen in den Foren des Internets, als „Fachleute“ auftretend, auf „Punkte” oder ähnliches.

Ich nenne oben jene Kriterien, mit denen die Redaktion von CHIP-Online, aber letztlich auch viele andere Printmedien, ihre Gesamt-Wertungen begründen. Dabei hat so manche Kamera zwar keine brauchbare Bildqualität, doch die Software hat nach Meinung der Autoren viel zu bieten – das heißt zumeist, es gibt viele, viele Gimmicks, die mit Hilfe des LCD-Monitors die Bilder für den Ausdruck zubereiten, sogar verbessern, sollen oder anderes.

Um bei CHIP-Online zu bleiben: Lassen Sie in der Bestenliste fast alles weg, stellen Sie für die Bildqualität 90% oder 95% ein und für jenes, das noch wichtig erscheint 5% oder 10%, dann ändert sich das Ranking vollständig. Und Sie werden ziemlich erstaunt sein, welche Kameras dann vorne liegen. Immerhin, das möchte ich CHIP-Online zugute halten, man kann das Ranking den eigenen Kriterien anpassen. Allerdings sind es wohl nicht so viele Leser und Leserinnen, die überhaupt wissen, dass das geht. Warum auch, wenn schon das Verständnis für eine Änderung der Wertungen fehlt. Man drängt sich von Seiten der Redaktion auch nicht, die relative Aussagekraft der Wertungen herauszustellen, denn das wäre das Aus für die hübschen Tabellen bei allen Magazinen.

Bei Objektiven ist die übliche Manipulation der Leserschaft nicht so einfach erkennbar. (Es gibt Ausnahmen, die ich nicht verschweigen werde.)

Die Testberichte schmücken sich mit Diagrammen und Tabellen, die die ermittelten Daten als bedeutsame Fakten darstellen und darauf zielen, auch die Texte, die die Zahlen und Schaubildchen wertend kommentieren, diesen gleich zu stellen. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Sehen wir uns die „Daten“ für Objektive einmal genauer an, an einem Beispiel. Ein Eckwert aller Tests ist die Abbildungsschärfe. Und es steht bei der Leserschaft als wichtigstes Gütemerkmal vorne an.

Vorweg: Die „Abbildungsschärfe“ bedeutet in Tests so etwas wie bei Automotoren die Kilowatt- oder PS-Leistung. Es sagt gar nichts über die Qualität des Fahrwerks oder den Nutzwert eines Autos.

Abbildungsschärfe wird in Linien pro Bildhöhe oder in ähnlichen Messwerten angegeben. Nun hat auch ein Sensor eine bestimmte Auflösung, als eine Menge von messbaren Linien in Bildhöhe. Jeder an der digitalen Fototechnik Interessierte wird mittlerweile wissen, dass, wenn zwei Ortsfrequenzen aufeinander treffen, gleichmäßige Muster in der Art von Treppenstufen und Moiré entstehen. Dieses Muster entstehen im direkten Zusammenhang mit dem verwendeten Bildsensor, einschließlich der vorgesetzten Filter, und der die Daten aufbereitenden Software der Kamera. Selbst wenn bei zwei Kameramodellen der Bildsensor identisch ist, wird die Abbildungsschärfe in den Modellen zu gänzlich anderen Messergebnissen führen. Das gilt auch für Modelle desselben Herstellers. – Jeder Hersteller bietet mit jedem neuen Modell eine andere Zusammenarbeit zwischen Bildsensor und Software.

Die Leistungen der Objektive sind daher immer anders zu beurteilen. Selbst für die marktführenden Hersteller gilt: Was an der einen Kamera als gute Optik gilt, mag an dem anderen Modell nur mittelmäßig sein.

Was für die Abbildungsschärfe gilt, trifft auch auf die anderen Messdaten zu.

Das ist der Unterschied zum Film. Man konnte das Kameragehäuse und den Film außen vor lassen, denn viele Messdaten waren unabhängig; allerdings nicht die Abbildungsschärfe, denn schon die Schichtdicke eines Films, die Genauigkeit der Filmführung in der Kamera, sowie die Prozesse der Entwicklung haben einen großen Einfluss auf diesen Wert.

Der Helligkeitsabfall zum Rand (auch als Randabschattung, Randabfall, Vignettierung bezeichnet) ist abhängig von Bildsensor und Software. Die chromatische Aberration, also die Farbabweichung (Farbquer- und Farblängsfehler) steht auch in der Abhängigkeit vom Bildsensor, denn nicht überall wirkt sich diese Abweichung vom physikalischen Idealfall gleichermaßen deutlich aus. Schon die Größe der Mikrolinsen eines Bildsensors verändert die Auswirkungen. Die Mikrolinsen sind für jeden Bildsensor unterschiedlich.

Selbst eine als objektiv dargestellte Modulationsübertragungsfunktion (MTF) sagt wenig, wenn die Voraussetzungen des Gemessenen nicht verstanden werden. Die Kontrastübertragung eines Liniengitters auf ein Diagramm ist bedingt aussagestark, denn es hat mit der Praxis relativ wenig zu tun, weil es eine Abstraktion der tatsächlichen Leistung bleibt, im Gegensatz zu realem Licht und echten Objekten.

Es gibt Tests von Objektiven, bei denen geschrieben steht „in the lab“. Und das sollte für alle Tests von Objektiven gelten: „Mit dieser Testanordnung“, das heißt, nur mit dieser Kamera. Es gibt somit keinen Test eines Objektives, der ohne den Zusammenhang mit einem Kameramodell eine objektive Aussage über die Ergebnisse einer bestimmten Testbedingung zulässt. Allerdings, es gibt auch noch mehrere Testprotokolle.

Zwar kann man ganz allgemein davon ausgehen, das eine „Scherbe“ an keinem Kameragehäuse eine gute Leistung zeigen kann, doch die verbissene Sicht auf Zahlen führt zu keinem vernünftigen Denken über die Leistung von Objektiven.

Mit dem Blick auf die professionellen Anwender von Fototechnik werden andere Maßstäbe deutlich. Hier gelten die Empfehlung der Kollegen und Kolleginnen, das ständige Gespräch über die Erfahrungen mit diesem oder jenem Objektiv, an dieser oder jenem Gehäuse, weitaus mehr – der Erfahrungsbericht mehr als ein Schaubild, das vorliegende Foto mehr als ein Diagramm. Ebenso wichtig für die Gesamtleistung ist die Qualität der Fertigung.

Was nutzt ein Linsensystem, das nach nur einem Jahr seine engen Produktionstoleranzen verlässt, weil die Technik „ausgelutscht“ ist, Linsen nicht mehr dort sind, wo sie optimal wirksam werden, Blendenlamellen auf ein drittel Blende ungenau schließen, und es Probleme mit den Stellmotoren gibt?

Tests von Kameras vermitteln lediglich Eindrücke. Diese als Kaufempfehlung zu nehmen, ist unsinnig. Redaktionen, die bei den Tests Punkte vergeben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die Leserschaft dumm halten und deren Meinungen über die Hersteller manipulieren zu wollen.

Objektive sind in der Praxis anders zu beurteilen, als ein Test dies kann. Ein Test ist nichts als ein Hinweis, der sich in der Praxis bestätigen kann oder auch nicht. Insbesondere finden sich recht häufig Hinweise zu den preiswerten Objektiven, dass die Produktionstoleranzen riesig sind und es eher ein Glücksfall ist, wenn eine Optik mit den Messdaten eines Tests überein stimmt. Redaktionen mit „Punktesystem“ kaufen ihre Testkandidaten wohl alle nicht in einem Geschäft, sondern lassen sich diese vom Hersteller schicken, was nichts anderes heißt als „Aussuchen“ des Besten, was vom Band läuft.

Testberichte sind zumeist ein Geschäft, das um so besser läuft, je weniger darüber nachgedacht wird.

(Adrian Ahlhaus)

Mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Aus dem Blog: Die Welt der Photographie