Es begann mit den Anschuldigungen durch den Ex-Vorstandschef Woodford und mündet in einem Geständnis der Bilanzfälschung. Olympus steht kurz davor, von der Börse ausgeschlossen zu werden. Der Schaden ist nicht nur für das Unternehmen groß, der Ruf der japanischen Wirtschaft steht auf dem Spiel:

Tsuyoshi Kikukawa

Also doch: Die von Olympus selbst im Zuge der Woodford-Affäre eingesetzte Untersuchungskommission stellt fest, dass das Unternehmen über Jahrzehnte hinweg die Bilanzen gefälscht hat. Demnach hat Olympus seit den 90er Jahren systematisch Verluste aus Wertpapiergeschäften nicht ordnungsgemäß verbucht und in den Bilanzen versteckt. In erster Konsequenz müssen der Vizepräsident Hiashi Mori und der Chef-Revisor Hideo Yamada das Unternehmen verlassen: Notice Concerning Expansion to Scope of Investigation by the Third Party Committee and Personal Change (PDF-Datei). Der langjährige und nun abgesetzte Präsident Tsuyoshi Kikukawa (links) scheint unantastbar zu sein und verbleibt weiterhin im Vorstand ohne Funktion.

Portrait von Michael C. Woodford

Anfangs hatte es den Anschein, als ob ein geschasster Spitzen-Manager (Michael C. Woodford; rechts) seinen Rauswurf nicht verkraftet hat und nachtritt. Die nun zu Tage tretenden Details lassen die Angelegenheit in einem neuen Licht erscheinen. Einen Versuch, die vielen Informationen zu ordnen und zu bewerten, ist dieser Krimi alle Mal wert.

Am Anfang stehen die mit diversen Firmen-Übernahmen zusammenhängenden Beraterhonorare, die der Stolperstein für den CEO Michael C. Woodford waren. Woodford hat mehrmals versucht, die Angelegenheit der ungeklärten Beraterhonorare mit dem Olympus-Präsidenten Kikukawa und seinem Stellvertreter Mori persönlich zu klären. Der weitere Fortgang dieser Angelegenheit lässt den Schluss zu, dass eben diese beiden Manager tiefer involviert sind als wir wohl erahnen können. Zwischenzeitlich weitet sich der Skandal zum Olympus-Watergate auch nach Europa hin aus. Doch der Reihe nach….

Woodford hatte in letzter Verzweiflung im Vorfeld seines Rauswurfs ein persönliches Schreiben, datiert vom 11. Oktober 2011, an Kikukawa geschickt. Dieses Schreiben ist gespickt mit sämtlichen, prekären Details rund um diverse Firmen-Übernahmen durch Olympus, die allesamt in die Amtszeit von Kikukawa als CEO fallen. Um den Druck auf den Präsidenten zu erhöhen, erweiterte Woodford den Empfängerkreis seines Briefes und setzte alle Vorstandskollegen in „CC“.

Inhaltlich legte er anhand eines Untersuchungsberichts von PriceWaterhouse dar, dass die im Zuge von Firmenübernahmen gezahlten Beraterhonorare zu hoch waren. Allein für den Kauf der britischen Firma Gyrus zahlte Olympus insgesamt 687 Mio. US-Dollar über einen Zeitraum von 4 Jahren. Marktüblich wären, so PriceWaterhouse, 40 Mio. US-Dollar gewesen. Über das Zahlenmaterial hinaus sind vor allem die weiterführenden Fakten mehr als merkwürdig. Dabei handelt es sich nicht um gesetzwidrige Aktivitäten, dies sei an dieser Stelle betont, aber die Zusammenhänge verursachen durchaus eine Form von Skepsis. Gezahlt wurde das Beraterhonorar nicht nur in bar, sondern auch in Form von Aktienpaketen an die Firma Axes America LLC. Präsident von Axes America war ein Herr Hajime Sagawa. Herr Sagawa, ein ehemaliger Investmentbanker, zieht sich wie ein roter Faden gemeinsam mit seinem ehemaligen Kollegen Akio Nakagawa durch eine Anzahl von Beratungsfirmen, die in diesem Fall (vermutlich) involviert waren. Die Informationen, die über diese Firmen vorliegen, sind in der folgenden Tabelle veranschaulicht.
 

Beratungsgesellschaft Vorstand Zahlungen durch Olympus Besonderheit
AXES America LLC, New York (gegründet 1997) Hajime Sagawa 2006 bis Ende 2007, ca. 17 Mio. $ Unternehmen am 5.3.2008 liquidiert
AXES Securities, Tokio Akio Nakagawa, vermutlich Hajime Sagawa Nicht bekannt Ende 2010 liquidiert
AXAM Investments Ltd., Kaiman Inseln Vermutlich Hajime Sagawa 2008 bis März 2010, ca. 670 Mio. $ Unternehmen im Juni 2010 aus dem Handelsregister der Kaiman Inseln entfernt
Sagawa Capital, USA Hajime Sagawa Nicht bekannt Ende 2010 liquidiert

 
Olympus traf im Zuge seiner Expansions- und Zukaufpläne im Jahr 2006 eine erste Vereinbarung mit AXES America. Wie der Kontakt zustande kam oder wer wen kannte, ist nicht bekannt. Axes wird ein Beratungshonorar in Höhe von 5 Mio. $ und 1 % des Kaufpreises für jede Aquisation (geteilt in 20 % bar und 80 % Aktienoptionen) seitens Olympus zugesichert. Die Firma AXES ist jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ein unbeschriebenes Blatt und der bis dahin erzielte Umsatz mittelprächtig (PDF-Datei: Annual Report). Anhand der Jahresabschlüsse der AXES America für die Jahre 2007 bis 2009 wird ersichtlich, dass das Unternehmen zum Einen bereits im ersten Jahr der Geschäftsbeziehung mit Olympus ein Honorar in Höhe von 2 Mio. $ erhielt, zum Anderen gleichzeitig die Beratungsfirma Perella Weinberg Partners von AXES quasi als Sub-Unternehmer zur Beratung von Olympus eingeschaltet wurde. Perella Weinberg erhielt über Axes in 2007 ein Honorar von 2,094 Mio. $. Weitere Zahlungen erfolgen in britischen Pfund bis Ende 2008. Ende 2007 zahlt Axes eine Erfolgsprämie in Höhe von 2,4 Mio. $ an ein nicht näher benanntes ehemaliges Axes-Firmenmitglied. Die Gelder fließen also hin und her.

Im Juni 2007 schließt Olympus einen weiteren Beratervertrag mit Axes ab. Dieser Beratervertrag geht über die erste Vereinbarung weit hinaus. Axes werden nun 5 % des Kaufpreises (für Käufe zwischen 1 Mrd. Und 2,5 Mrd. $) als Honorar zugesichert. Das Honorar wird zu 15 % bar (bis zu 12 Mio. $) und zu 85 % in Aktienoptionen geteilt ausgezahlt. Aufgrund der Vertragsformulierung, so prangert Woodford an, waren die 5% nicht gedeckelt und konnten durch die Aktienoptionen weit überschritten werden. Woodford kritisiert außerdem, dass diese Vereinbarungen ohne Vorstandsbeschluss durch die Herren Kikukawa, Mori und Yamada abgesegnet wurden. Ein Vorstandsbeschluss erfolgte 5 Monate später nachträglich.

Woodford legt in seinen Ausführungen detailliert dar, dass die getroffenen Vereinbarungen die finanzielle Position von Olympus geschwächt haben. Die Gyrus-Übernahme brachte Olympus gegenüber der Beraterfirma AXES in Verlegenheit, weil die zugesicherten Aktienoptionen ohne Bestand waren, da Gyrus in Olympus aufging und damit nicht mehr börsennotiert war. Fix wurden neue Vereinbarungen zwischen Olympus und AXES getroffen. Die Aktienoptionen wurden durch Barzahlungen, überbewertete Vorzugsaktien und Mitspracherechte (u.a. ein Vetorecht) an AXES „ausgeglichen“. Die Transaktionen zwischen Olympus und der Beraterfirma AXES gleichen einem Geschacher und Geschiebe, die ohne Absicherung und Prüfung durch eine dritte Partei einen fröhlichen Fortgang erlebten.

Interessant auch, dass die letzten Zahlungen an das Beratergeflecht (siehe Tabelle oben) oft im zeitlichen Zusammenhang mit der Liquidation eben dieser Beraterfirma stehen. Olympus hat über 687 Mio. US-Dollar an AXES bzw. AXAM gezahlt. Neben dem Fall Gyrus/AXES hat Woodford weitere Firmen-Übernahmen mit ungeklärten Beraterhonoraren offen gelegt. Auf eine Darstellung verzichten wir an dieser Stelle, das System ist identisch.

Woodford ist unwiderruflich seinen Job los. Nach eigener Aussage hatte er bei seinem Rauswurf Angst um sein Leben und wollte Japan so schnell wie möglich verlassen. Das FBI ermittelt in den USA rund um Herrn Sagawa und seine Rolle in dieser Angelegenheit. Der japanische Ministerpräsident zeigt sich besorgt über den Skandal und die möglichen Auswirkungen auf den Ruf der japanischen Wirtschaft im Ausland. Dies alles beflügelt die Fantasie der Medien; und durchaus möglich, dass die Spitze des Eisbergs noch nicht bekannt ist: Buyers spot ray of light for Olympus.

Die Zukaufpolitik von Olympus unter dem ehemaligen Präsidenten Kikukawa muss wohl neu betrachtet werden. Handelte es sich wirklich um eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens? Oder sollten durch die Käufe die Möglichkeit zum Geldfluss gegeben werden? Denn die Eigentümerverhältnisse der Beraterfirmen sind nicht immer eindeutig. Es erhärtet sich der Verdacht, dass es sich um Olympus-eigene „Briefkasten“-Firmen oder Strohmänner handelt. Diese kassierten die Gelder, um dann auf Umwegen das Geld wieder an das Unternehmen zurückzuführen, damit dieses die Bilanzlöcher aus den verlustreichen Wertpapiergeschäften stopfen konnte.

Dabei wird es sich nicht um einmalige „Ausrutscher“ handeln, denn auch ehemalige Manager der Olympus Europa Holding stehen Medienberichten zufolge unter Untreue-Anklage in Hamburg: Anklage gegen Ex-Olympus-Manager erhoben. Auch hier hat es Zahlungen von Olympus ohne offensichtliche Gegenleistung gegeben. Es könnte sich durchaus um einen organisierten Betrug handeln. Der Ausschluss von Olympus von der Börse in Tokio wird damit immer wahrscheinlicher. Dies wäre ein Desaster und möglicherweise das Ende für das Unternehmen.

Der frühere Olympus-Präsident Shimoyama (Amtszeit von 1984 bis 1993) kann sich an das Verstecken von Wertpapierverlusten in den Bilanzen nicht erinnern. Er habe in seiner Amtszeit keine finanziellen Details vernommen, so Shimoyama: Ex-Olympus President Shimoyama: No Memory Of Concealing Losses. Das ist gut möglich, denn Kikukawa war zu jener Zeit Finanzdirektor bei Olympus und niemand weiß genau, wann das Olympus-System begann.

(agün)
 

Nachtrag (18.11.2011): Der New York Times zufolge existieren möglicherweise Verbindungen zum organisierten Verbrechen; es wird gemutmaßt, dass dubiose Zahlungen in Milliardenhöhe möglichweise an die japanische Mafia – die Yakuza – geflossen sind. So seien zwischen 2000 und 2009 rund 481 Milliarden Yen (rund 4,8 Mrd. Euro) u.a. in Form von Beraterhonoraren geflossen, von denen lediglich 105 Mrd. Yen (rund 1 Mrd. Euro) als Positionen in den Büchern auftauchen. 376 Mrd. Yen (rund 3,7 Mrd. Euro) fehlen demnach in den Bilanzen.

Laut Olympus hat man mit den Geldern Verluste verheimlichen wollen; Gerüchte, man habe für die Täuschungen die Hilfe der Yakuza gesucht und bezahlt, wies das japanische Unternehmen zurück.
 

Nachtrag (21.11.2011): Wie Olympus Japan heute in einer Stellungnahme verlautbaren lässt, hat die eingesetzte Untersuchungskommission bis dato noch keinen Zusammenhang zwischen den fraglichen Geldflüssen und dem organisiertem Verbrechen entdecken können.