Heiko Kunert; Foto © Kilian FoersterIn seinem Projekt „blind“ bringt Kilian Foerster die Vorstellungswelten von Sehenden und Blinden auf faszinierende Weise zusammen:

Der gebürtige Oldenburger Kilian Foerster hat nach einer Ausbildung zum Physiotherapeuten ein Diplom in Grafikdesign an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg erworben. Bei seinem Fotoprojekt „blind“ will er die Wahrnehmung von Blinden mittels Fotografie und Bildbeschreibung darstellen und das gelingt ihm auf für beide Seiten erhellende und spannende Weise. Die Sehenden und die Blinden erfahren etwas von den Vorstellungswelten der jeweils anderen.
 

„Die fotografische Arbeit »blind« zeigt, was blinde Menschen sehen.“
– Kilian Foerster

 
Foersters Vorgehensweise: Zunächst erstellt er von jedem Teilnehmer ein Porträt in Schwarzweiß. Der oder die Blinde macht dann mit einer Automatikkamera ein Foto an einem Ort, der ihm oder ihr vertraut ist, und beschreibt anschließend, was seiner bzw. ihrer Ansicht nach auf dem Foto zu sehen ist.
 

Anna Koopmann; Foto © Kilian Foerster

„Ich bin am Bootssteg vom Oldenburger Ruderverein oben am Deich, der mit Gras bewachsen ist, dann geht es runter zum Steg. Der Bootssteg besteht aus Metall, dazwischen sind Holzplanken, damit man nicht abrutscht. Von ihm aus gelangt man auf den unten im Wasser liegenden Holzsteg, von wo aus man direkt ins Boot einsteigen kann. Dieser Bootssteg ist ungefähr zehn Meter lang. Ich höre das Wasser und weil es heute nicht so windig ist, ist das Wasser relativ ruhig. Auf der anderen Seite ist auch ein mit Gras bewachsener Deich und dort müssten Bäume sein, weil ich das Blätterrauschen höre. Und da heute die Sonne leicht scheint, was ich auf meiner Haut spüre, fällt der Lichtstrahl durch die Blätter und aufs Wasser. Ich höre Vögel und ein Kuckuck ruft, es könnten also auch Vögel auf dem Bild sein. Am Bootssteg halte ich mich gerne auf, da das Wasser mich beruhigt, aber gleichzeitig auch eine gewisse Lebendigkeit hat. Auch regt es mich sehr an, ins Boot einzusteigen, um mit anderen zu rudern; was mich mit sehr viel Freude erfüllt. Daneben gibt mir der Bootssteg Sicherheit, da er von seiner Konstruktion her gut durchdacht ist. Hier ist eine schöne Atmosphäre.“ — Anna Koopmann

Anna Koopmann, 53 Jahre, seit dem 30. Lebensjahr erblindet, erst Erzieherin, dann Bürotätigkeit.
Diesen Ort, wo Anna Koopmann das Foto machte, hatte sie vor ihrem 30. Lebensjahr nie gesehen.
 
 
Jens Uwe Voigt; Foto© Kilian Foerster

„Auf dem Aschenbecher liegt brauner Genuss pur. Den Aschenbecher mag ich sehr gerne, wegen seiner handschmeichelnd gebogenen Form. Vor dem Kauf wußte ich nicht, wie er aussah, deshalb war es eine Überraschung, als er mit der Post kam und ich ihn in der Hand hielt. Die Zigarre schmeckt lecker, ich mag ihre schuppige Form, wie sie sich in der Hand anfühlt. Das Feuerzeug liegt schön schwer in der Hand. Ich habe es wegen seiner goldenen Farbe gekauft (das habe ich in der Kaufbeschreibung im Internet gelesen): Als ich noch sehen konnte, mochte ich Gold als Farbe besonders gern. Glänzende Pfeifen und stumpfer Goldton stelle ich mir wunderschön vor. Ohne Anschnitt gibt es keinen Genuss, mich wundert es, wie scharf die Klinge ist. Ich mag Duft und Geschmack der Zigarre, wie sie immer kräftiger werden und noch Stunden nach dem Rauchen erhalten bleiben. Schade, dass der Wind den ganzen Geruch fortbläst, so muss ich mit dem vorliebnehmen, was ich im Mund habe: sehr cremig, sehr würzig – eine Mischung aus Kaffee, Nuss und Schokolade aus Kuba. Diese Zigarrensorte kenne ich recht lange, bis sie so schmeckt wie jetzt, dauert es aber Jahre. Aber das Warten hat sich gelohnt!!“ – Jens Uwe Voigt

Jens Uwe Voigt, 42 Jahre, im zehnten Lebensjahr erblindet, Jura-Studium und Musikunterricht im Fach Gitarre unter anderem am Hamburger Konservatorium.
 
 
Heiko Kunert; Foto © Kilian Foerster

„Wir sind hier am Goldbekkanal auf einem Steg, vor mir ist das Wasser, der Kanal und eine Trauerweide und gegenüber sind Häuser. Ich höre hier Vögel, zum Beispiel Enten, und die Sonne scheint. Hier ist es in der Stadt relativ ruhig; ich bin hier gerne, weil es ein akustisch schöner Ort ist: häufig plätschern und schnattern die Gänse und die Vögel singen.“ – Heiko Kunert

Heiko Kunert, 34 Jahre, mit 7 Jahren erblindet, Diplom-Politologe, arbeitet im PR-Bereich.
Diesen Ort, wo Heiko Kunert das Foto machte, hatte er vor seinem 7. Lebensjahr nie gesehen.
 
 
Michel Behrends; Foto © Kilian Foerster

„Ich bin in meinem Zimmer und habe mein Schlagzeug fotografiert. Ganz oben, links und rechts sind die beiden Becken, dazwischen die Hauptsteuereinheit, dadrunter die beiden schräg angebauten Drums und Tom Toms. Weiter unten rechts daneben ist die Stand-Tom. Auf der mittleren Drum, die näher ist, liegen die Sticks und die Kopfhörer. Weiter oben ist das Becken, links neben den Tom Toms ist die Hi-Hat. Ganz unten sind die beiden Pedale. Das Rechte ist für die Bass Drum und das Linke ist das Pedal für die Hi-Hat. Ich spiele seit eineinhalb Jahren Schlagzeug, hauptsächlich in der Orchesterklasse meiner Schule. Ich finde die Vielfalt vom Schlagzeug sehr stark ausgeprägt und es war immer mein Traum, Schlagzeug zu spielen.“ – Michel Behrends

Michel Behrends, 11 Jahre, von Geburt an blind, Schüler.

 
Alle Fotos: © Kilian Foerster

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg.
 

(thoMas)