Grafik Stopp-Seite BundesfamilienministeriumMit einem Stoppschild – Grundlage ist das just verabschiedete „Zugangserschwerungsgesetz“ – will die Bundesregierung den Zugang zu Internet-Seiten mit Kinderpornografie erschweren, und das löst erhebliche Kontroversen aus. Das sei der Einstieg in die Zensur, befürchten die einen. Strafbare Inhalte dürfen nicht frei über das Internet abgerufen werden können, argumentieren die anderen:

„Zensursula“, diese Wortschöpfung geistert seit mehreren Wochen durch das Internet und ganz besonders häufig liest man es auf dem Micro-Blogging Dienst „Twitter“. Unter diesem Schlagwort oder neudeutsch „Hashtag“ hat sich eine Bewegung im Internet versammelt, die gegen die Einführung des kürzlich vom Bundestag verabschiedeten „Zugangserschwerungsgesetzes“ ist. Dieses Gesetz, initiiert von der Familienministerin Ursula von der Leyen, soll den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im Netz erschweren.

Das Bundeskriminalamt wird nach diesem Gesetz in Zukunft Listen über Webseiten führen, auf welchen kinderpornografisches Material lagert und die Internetanbieter gesetzlich verpflichtet werden, mögliche Besucher dieser Seiten auf eine „Stoppschild“-Seite umzuleiten. (Drucksache 16/13411 des Deutschen Bundestages (PDF-Datei) mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie; in dieser Form ist das Gesetz unter geänderter Gesetzesbezeichnung vom Bundestag beschlossen worden.)

Gegen dieses Gesetz gab es im Vorfeld eine Online-Petition mit dem Titel „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“, welche von insgesamt 134014 Menschen unterzeichnet worden ist – die bis dato erfolgreichste Petition überhaupt.

Von den Kritikern des Gesetzes wird unter anderem vorgebracht, es handle sich bei diesem Gesetz um reine Zensur und es helfe nicht gegen den Kampf gegen Kinderpornografie. Zudem sei das Gesetz gar nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen. Die Gegenseite argumentiert, dies sei ein effektives Mittel gegen Kinderpornografie und es könne ja nicht angehen, dass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit das Internet ein rechtsfreier Raum sei.

In der folgenden Abhandlung werden zunächst die Argumente beider Seiten vorgebracht und in einem dritten Teil das Gesetz juristisch bewertet.

Pro Zugangserschwerungsgesetz

Als eines der Hauptargumente für das Gesetz wird angeführt, dass der Kampf gegen Kinderpornografie nicht hart genug geführt werden kann. Frau von der Leyen führt als Begründung aus, „dass durch dieses Gesetz die Internetanbieter auch auf gesetzlicher Grundlage dazu verpflichtet werden, auf eine Stoppmeldung umzuleiten, wenn jemand Kinderpornografieseiten anklickt. Damit setzen wir ein wichtiges gesellschaftliches Signal. Wir wollen in Deutschland nicht länger dulden, dass die Vergewaltigung von Kindern frei über das World Wide Web abrufbar ist“.

Mit diesem Gesetz sollen mögliche Erstkonsumenten von einem „Einstieg in die Szene“ abgeschreckt werden, da der Zugang erheblich erschwert werde und durch das Stoppschild eine deutliche Warnung ausgesprochen wird. Zudem könne mit dem Stoppschild auch kinderpornografisches Material, welches auf ausländischen Servern gehostet wird, geblockt werden. Eine Löschung von Deutschland aus sei leider nur schwer möglich, da die deutschen Behörden nur unter schwierigen bürokratischen Bedingungen eine Seite im Ausland sperren lassen könnten.

Die Liste wird vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellt und durch ein Expertengremium überprüft werden, welches beim Bundesdatenschutzbeauftragten angesiedelt sein wird. Damit soll verhindert werden, dass irrtümlich auch Seiten mit der Liste gesperrt werden, welche kein kinderpornografisches Material enthalten.

Entgegen der ersten Lesung im Bundestag werden die Regelungen nicht Teil des TMG (Telemediengesetzes), sondern spezialgesetzlich in einem eigenen Gesetz, dem oben bereit erwähnten „Zugangserschwerungsgesetz“ normiert.

Dieses Gesetz wird vor allem von der CDU/CSU und der SPD unterstützt. Mit ihrer Mehrheit im Bundestag konnte das Gesetz am Donnerstag den 18.06.2009 beschlossen werden. Insgesamt wurden 535 Stimmen abgegeben, davon haben 389 mit Ja, 128 mit Nein gestimmt und sich 18 Abgeordnete enthalten. Da es sich um eine namentliche Abstimmung handelte, kann der Bürger sehen, ob „sein“ Abgeordneter für oder gegen das Gesetz gestimmt hat: Hat mein Abgeordneter für Netzsperren gestimmt?

Neben den großen Parteien fand das Gesetz auch Unterstützung bei verschiedenen Organisationen, welche sich den Kinderschutz auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Dem Vorwurf der möglichen Zensur begegnen die Befürworter mit dem Argument, dass der Kampf gegen Kinderpornografie nicht durch das Recht auf Meinungsfreiheit behindert werden darf. Strafbare Inhalte dürften nicht frei über das Internet abgerufen werden können.

Die Befürworter argumentieren weiterhin mit dem wirtschaftlichen Aspekt der Sperre. Ihrer Ansicht nach gibt es eine „Kinderpornografie – Industrie“, welche Millionen umsetzt. Dies mache den Markt für Anbieter von Kinderpornografie sehr interessant, was sich auch an der Zahl der kinderpornografischen Taten zeige. Laut Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hat sich die Kinderpornografie im Internet mehr als verdoppelt (Spiegel Online: Regierung beschließt Eckpunkte für Web-Sperrgesetz), wobei auch diese Statistik nicht unwidersprochen bleibt. Durch das Stoppschild würden die Besucher abgeschreckt, die Seiten zu besuchen und in Folge dessen sei Kinderpornografie nicht mehr finanziell lohnenswert.

Zudem zeige die Erfahrung europäischer Nachbarstaaten, in denen die Sperre bereits eingeführt wird, dass zahlreiche Zugriffe auf kinderpornografische Seiten verhindert werden konnten. Je nach Land seien mehr als 50.000 Zugriffe täglich verhindert worden.

In der Bevölkerung besteht Einigkeit in der Frage, dass Kinderpornografie zu den schlimmsten Verbrechen gehört und hart bestraft werden muss. Hinsichtlich des neuen Gesetzes sind die Meinungen jedoch unterschiedlich. Je nachdem, wie die Frage nach dem neuen Gesetz formuliert ist, zeigt sich große Zustimmung oder auch Ablehnung.

Contra Zugangserschwerungsgesetz

Der Gruppe der „Zugangserschwerungsgesetz“-Gegnern kann man sicher nicht unterstellen, dass sie Kinderpornografie auch nur im Ansatz duldet. Nein, auch bei den Gegnern wird Kinderpornografie abgelehnt und das wird so auch immer klar formuliert. Ebenso dient der Widerstand gegen das Gesetz nicht dem Schutz Pädophiler. Jedoch sehen die Gegner Kinderpornografie nicht als Rechtfertigung dafür, unbedingt mit diesem Gesetz einverstanden sein zu müssen.

So ist ein Einwand der Gegner, dass das Stoppschild nicht einen Zugriff auf die Seite selbst verhindert, es sich also nicht um eine effektive Maßnahme handelt. Die Inhalte sind weiter auf den Servern und können leicht abgerufen werden. Auf YouTube gibt es Videos, die zeigen, dass die Stoppschild-Sperre ein für allemal in gerade einmal 27 Sekunden umgangen werden kann. Die Devise der Gegner lautet daher „Löschen statt Sperren“ – wenn die Inhalte schon bei der Polizei bekannt sind, sollten sie auch gelöscht werden.

Dass die Internetanbieter im In- und Ausland zur Löschung der Inhalte auch ohne Vertrag, Gesetz oder irgendwelcher Ländergrenzen bereit sind, zeige ein Versuch des Arbeitskreises Zensur. Dieser hatte die auf einer ausländischen Sperrliste verzeichneten Provider formlos per E-Mail angeschrieben und zur Löschung der Inhalte aufgefordert. Dieser Aufforderung sind binnen kürzester Zeit eine Vielzahl von Providern nachgekommen.

Dies zeigt nach Ansicht der Gegner, dass auch ohne gesetzliche Regelung die Provider bereit sind, entsprechendes Material zu löschen.

Ein weiteres Argument der „Zugangserschwerungsgesetz“-Gegner ist, dass die Maßnahme nicht gegen die wirklich Pädophilen helfe. Diese würden die Bilder mittlerweile weniger über Webseiten, als vielmehr über Handy, MMS oder den klassischen Postweg in geschlossenen Tauschringen, tauschen. Durch das Stoppschild würden polizeiliche Kräfte gebündelt, welche nicht für den Kampf gegen Kinderpornografie zur Verfügung stünden. Dass dieser Kampf auch ohne das Gesetz erfolgreich geführt wird, zeigen die Ermittlungserfolge der Vergangenheit (spiegel.de: Fahndern melden einen Schlag gegen Kinderpornografie im Internet: In einer großangelegten Aktion identifizierten Polizeibeamte 9.000 Verdächtige.

Hinsichtlich der vermeintlichen Kinderpornografie-Industrie wird von Kennern der Szene angeführt, dass diese nicht existent sei. Die Zahlen, welche vorgelegt werden, bezögen sich auf Tatverdachte, nicht aber tatsächlich verurteilte Täter. So werde ein sehr großer Teil der Tatverdachte im Zuge eines Ermittlungsverfahren wieder eingestellt, da der Vorwurf der Kinderpornografie nicht bekräftigt werden konnte. Zudem würden diese Tatverdachte vor allem aus Tauschbörsen resultieren – deren Wesen sei aber gerade, dass das dort getauschte Material kostenlos ist: Die Legende von der Kinderpornoindustrie.

Auch seien die von Befürwortern angeführten Zahlen bezüglich der geblockten Seitenzugriffe der europäisch Partner fraglich, da niemand weiß, wie viele dieser Klicks durch Suchmaschinen ausgelöst wurden. (Verschleierungstaktik – Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere)

Kritiker befürchten zudem eine Ausweitung auf andere Straftatbestände. Dies ist, wie die aktuelle Diskussion zeigt, nicht unbegründet. Schon fordern erste Stimmen die Kontrolle von YouTube oder die Ausweitung der Sperre auf sog. Killerspiele – wobei die CDU/CSU derzeit zurückrudert. Auch Glücks- und Gewinnspielinhalte sollten nach Ansicht einiger Politiker gesperrt werden.

Juristische Betrachtung

Durch das Gesetz und die kontroverse Diskussion darüber wird der Eindruck erweckt, Kinderpornografie sei bislang in Deutschland nicht strafbar. Dies ist nicht der Fall.

Kinderpornografie ist strafbar und auch der Besitz von Kinderpornografie ist strafbar. Es ist also nicht so, dass das Gesetz eine juristische Lücke füllt. Auch ohne das Zugangserschwerungsgesetz ist das Verbreiten, Anbieten oder Besitzen von Kinderpornografie strafbar und wird auch bestraft. Die Polizei geht auch aktiv gegen Kinderpornografie vor und kann in diesem Kampf große Erfolge vorweisen.

Jedoch ergeben sich durch das Gesetz verfassungsrechtliche Fragen, bei denen es wünschenswert wäre, wenn sie durch das Bundesverfassungsgericht geprüft würden.

Es ist mit dem Zugangserschwerungsgesetz möglich, dass der Staat Inhalte im Internet blockieren kann, ohne den Betroffenen über diese Maßnahme informieren zu müssen. Dies widerspricht allerdings dem Rechtsstaatsprinzip der Verwaltung. Nach diesem ist der Betroffene einer gegen ihn gerichteten staatlichen Maßnahme über diese zu informieren, um gegen die Maßnahme Widerspruch einlegen und die Maßnahme notfalls durch einen Richter überprüfen lassen zu können. Im Gesetz ist eine solche Widerspruchsmöglichkeit in § 12 vorgesehen, nach welcher bei Streitigkeiten der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Da die Listen geheim geführt werden, und keine Information des Betroffenen erfolgt, wird dieser häufig gar nicht wissen, dass seine Seite gesperrt ist. Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern haben aber gezeigt, dass auch Seiten gesperrt werden, auf denen kein kinderpornografisches Material gespeichert ist – sie wurden bei entsprechenden Hinweisen auch wieder freigeschaltet. Dies wird durch die fehlende Information des Betroffenen in Deutschland erschwert.

Zudem sind ausdrücklich zivilrechtliche Ansprüche ausgeschlossen, d. h. im Falle einer unberechtigten Sperrung durch den Diensteanbieter hat der betroffene Webseiteninhaber keine Möglichkeit, einen Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten geltend zu machen.

Das Gesetz sieht anstelle der Information ein Expertengremium, einberufen durch den Datenschutzbeauftragten, vor. Dieses soll alle drei Monate die Listen prüfen und irrtümlich gesperrte Seiten wieder „entsperren“. Hier ist zumindest fraglich, ob der Datenschutzbeauftragte dafür die richtige Behörde ist. So ist es seine Aufgabe, den Staat unabhängig zu überprüfen und auf Datenschutzverstöße hinzuweisen. Ihn jetzt aber zu einer verpflichtenden Kontrollbehörde für polizeiliche Ermittlungen zu machen ist eine weite Auslegung seiner Zuständigkeit.

Zudem sind nach der Ansicht des Bundesrates viele Begriffe nicht juristisch exakt definiert, was bei den betroffenen Dienstanbietern zu Verunsicherung führen kann. So ist unklar, ob auf Grundlage dieses Gesetzes der Dienstanbieter eine ganze Domain oder nur einen Host sperren muss. Die Sperrung einer ganzen Domain kann unter Umständen auch eine Vielzahl legaler Inhalte betreffen. Dies ist sicherlich unverhältnismäßig.

Im Rahmen der Diskussion im Bundestag hat der Abgeordnete Max Stadler (FDP) zudem zu Recht auf die fragliche Gesetzgebungskompetenz des Bundestages hingewiesen. Es handelt sich bei der Materie um eine, welche zum Polizeirecht gehört, da es sich um eine präventive Maßnahme zur Gefahrenabwehr handelt. Für diese liegt die Gesetzgebungskompetenz jedoch nicht bei dem Bundestag, sondern bei den Bundesländern. Ferner wies der Abgeordnete Stadler darauf hin, dass das Gesetz nicht formell rechtmäßig zustande gekommen ist. Ein ordnungsgemäßes Gesetz bedarf mehrerer Lesungen im Bundestag. Diese sind nach Ansicht Stadlers nicht gegeben, da in der ersten Lesung die Maßnahmen Teil des Telemediengesetzes (TMG) werden sollten, in der zweiten und dritten Lesung aber ein eigenes Gesetz, das vielfach erwähnte Zugangserschwerungsgesetz, besprochen und verabschiedet wurde.

Was den Vorwurf der Zensur angeht, so kann dieser aus juristischer Sicht nicht bestätigt werden. Eine Zensur liegt immer dann vor, wenn eine Publikation vor dem Erscheinen einer staatlichen Stelle zur Kontrolle vorgelegt werden muss. Dies ist hier nicht der Fall. Die Seiten befinden sich bereits im Netz und der Zugang wird nachträglich gesperrt; die Seiten müssen nicht vor ihrem Erscheinen vorgelegt werden.

Auch der von Gegnern erhobene Wunsch „Löschen statt Sperren“ wird weitestgehend von dem Gesetz beachtet. Es sollen nur solche Seiten auf die Sperrliste aufgenommen werden, bei denen zulässige Maßnahmen, welche auf eine Löschung abzielen, nicht erfolgversprechend sind. So wird bei Kinderpornografie, welche auf deutschen Servern lagert, ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet und die Provider zur Löschung aufgefordert, was diese auch regelmäßig tun. Steht der Server dagegen in Ländern, in denen ein solches Verfahren nicht erfolgversprechend ist, soll der Zugang zur Seite gesperrt werden. Die entsprechenden Staaten werden laut Gesetz auch über diesen Umstand informiert und leiten ihrerseits ein Verfahren ein. Dieses Verfahren hat sich in der Vergangenheit bewährt.

Die Frage der Erfolgsaussichten der im Augenblick diskutierten Verfassungsbeschwerde kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beantwortet werden. Dies hängt vor allem davon ab, auf welchen Umstand sich eine entsprechende Klage stützt. Der Vorwurf der Zensur, der fehlenden Informationspflicht, oder auch der Hinweis auf eingeschränkte Meinungsfreiheit, werden dabei aus meiner Sicht weniger gute Erfolgsaussichten haben. Erfolgversprechender ist dagegen der Hinweis auf den anhand von Art. 2 Abs. 1 GG entwickelten Grundsatz, dass ein Bürger einen Grundrechtseingriff nur durch ein formell und materiell verfassungskonformes Gesetz dulden muss (Elfes Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts). Dies eröffnet dem Bürger die Möglichkeit, formelle Verstöße im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde anzugreifen. Zweifel, ob das Gesetz formell rechtmäßig zustande gekommen ist, hat ja u.a. der Abgeordnete Stadler in seiner Rede formuliert.

Fazit

Das Gesetz ist sicherlich gut gemeint und die dahinter stehende Intention, der Kampf gegen Kinderpornografie im Internet, ist rückhaltlos zu unterstützen. Jedoch gibt es wirklich gute Argumente gegen das Gesetz und es ist durchaus fraglich, ob der Kampf gegen Kinderpornografie Gesetze rechtfertigt, an denen juristische Zweifel bestehen.

(RA Tim Hoesmann)