Foto August Sander: Trinità di SaccargiaAugust Sander (1876—1964) – berühmt durch sein Portraitwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ – ist jetzt mit einer anderen Facette seines Schaffens zu sehen. Eine Ausstellung in Köln stellt erstmals sein Sardinienprojekt in seiner Gesamtheit vor:

Information der Photographischen Sammlung / SK Stiftung Kultur:

August Sander. Sardinien 1927

Eine Ausstellung der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln, in Zusammenarbeit mit der Stadt Cagliari

22. April — 21. August 2011
 

Foto August Sander: Bauernjungen

August Sander: Bauernjungen
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
Weltbekannt wurde August Sander (1876—1964) durch sein Portraitwerk Menschen des 20. Jahrhunderts, doch auch mit anderen Themen im Bereich der Landschafts- und Architekturphotographie setzte er sich in den über 50 Jahren seiner Berufstätigkeit kontinuierlich auseinander.
 

Foto August Sander: Trinità di Saccargia    Foto August Sander: Santa Chiara, Cagliari

August Sander: Trinità di Saccargia / Santa Chiara, Cagliari
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
Die Ausgangsidee für die Reise nach Sardinien kam von dem mit August Sander befreundeten Schriftsteller Ludwig Mathar. Gemeinsam wollten sie ein Buch über die in dieser Zeit noch wenig bekannte Insel in Angriff nehmen, ein Vorhaben, das vermutlich aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Verlag nicht zustande kam. Mathar war schon mehrfach auf Sardinien gewesen, für Sander war es die einzige mehrwöchige Auslandsreise in seinem Leben. An einem Dienstagmorgen, am 8. März 1927 nahmen Sander und Mathar im Kölner Hauptbahnhof um 8.58 Uhr den durchgehenden D-Zug über Basel, Mailand bis Genua. Rund 24 Stunden waren sie unterwegs, bis sie dort ankamen. Nach weiteren Stationen in Pisa und Livorno fuhren sie per Schiff zunächst das nördliche und westliche Ufer Sardiniens entlang, bevor sie in der Hauptstadt Cagliari anlegten und die weitere Reise per Zug und Postauto zurücklegten. In nur 30 Tagen durchquerten sie fast die gesamte Insel und beschlossen ihre Reise in Rom, wo sie das Kloster Sankt Paul vor den Mauern besuchten, in dem Ludwig Mathar in seiner Jugend Novize gewesen war. Am 22. April trat August Sander schließlich die Rückreise an.
 

Foto August Sander: Bauern

August Sander: Bauern
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
Die beiden Männer besuchten viele Sehenswürdigkeiten der Insel: die Städte Cagliari, Porto Torres, Iglesias, Oristano und Sassari, den Nuraghe Losa, die Burg Acquafredda und die ehemalige Abtei Santissima Trinità di Saccargia. Ihr Interesse galt aber auch dem alltäglichen Leben der sardischen Bevölkerung und ihren Festtagsbräuchen, wie Photographien aus Abbasanta, Atzara, Aritzo und Nuoro belegen. Mit Hilfe der Brüder Figari, dem Maler Filippo, der

seit 1924 mit Ludwig Mathar befreundet war, und dem Rechtsanwalt Renato, gelang es ihnen, Kontakt mit Einheimischen aufzunehmen und einen Einblick in die Traditionen der Insel zu erhalten. Insbesondere die farbenprächtigen Trachten der Sarden faszinierten sie, wofür August Sander eigens Material für Farbphotographien mitgebracht hatte. Die Aufnahmen von der Insel zeigen ein ursprüngliches Sardinien, manche der Gebäude sind inzwischen verändert oder existieren nicht mehr, doch viele der damals aufgenommenen Orte kann man auch heute noch besuchen und wieder erkennen.

Die aktuelle Ausstellung umfasst rund 150 originale Abzüge von August Sander und zeigt in beeindruckender Weise das große Einfühlungsvermögen des Photographen in einen ihm bis dahin fremden Landstrich. Er bleibt dabei seiner aufmerksam registrierenden Vorgehensweise treu und schafft ein anschaulich differenziertes Zeitdokument. Kein anderer professioneller Photograph des 20. Jahrhunderts hat das historische Sardinien mit einer so stringenten und breit angelegten Dokumentation gewürdigt wie August Sander. Überzeugt von den exakt abbildenden Möglichkeiten der Photographie, die er in der Frühzeit des Mediums begründet sah, dürfte er sich auf seiner Italienreise den Photographen des 19. Jahrhunderts verbunden gefühlt haben, die zu Expeditionen rund um den Globus aufbrachen.
 

Foto August Sander: Mädchen aus Nuoro    Foto August Sander: Bauer

August Sander: Mädchen aus Nuoro / Bauer
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
Sander selbst hatte die in Italien aufgenommenen Negative als einen besonders wichtigen Teil seines Schaffens angesehen, den er vor den Bombardierungen in Köln während des Zweiten Weltkriegs mit als Erstes in die ländliche Region des Westerwalds rettete. Hatte er bereits unmittelbar nach der Sardinien-Reise Abzüge hergestellt, so erarbeitete er darüber hinaus in den fünfziger Jahren, ungefähr im Alter von 75 Jahren, weitere Vergrößerungen, die er auf Karton aufgesetzt, in textilbezogenen Mappen zusammenstellte.

Wendet sich die Photographische Sammlung in ihrem Ausstellungsprogramm nun dem Sardinien-Projekt zu, so wird damit die wissenschaftliche Bearbeitung des Gesamtwerks von August Sander um einen weiteren Schritt voran gebracht. Dabei stehen die Rekonstruktion der Werkgenese und die ursprünglich vom Photographen für seine Arbeit getroffenen Maximen im Mittelpunkt. Grundlage bilden die im Kontext der Sardinien-Reise aufgenommenen über 300 Negative — vornehmlich Glasplatten, aber auch Plan- und Rollfilme — sowie die 224 Originalabzüge und 14 Farbrasterplatten, ergänzt um Korrespondenz und Dokumente des Photographen aus dem hauseigenen Bestand. Aber auch anderweitige Informationen, seien es Gespräche mit Zeitzeugen oder Nachfahren sowie Forschungsergebnisse aus öffentlich zugänglichem Material wurden einbezogen. So konnten auch einige Leihgaben aus Privatbesitz ausgeliehen werden, die die Ausstellung sinnvoll ergänzen.

Mit großer Resonanz konnte die Präsentation des Sardinienkonvoluts samt ausführlicher Publikation bereits 2009 in der Galleria Comunale d’Arte in Cagliari, Sardinien, gezeigt werden. Dort setzte sich insbesondere der Kulturdezernent und Kunsthistoriker Giorgio Pellegrini für das Projekt ein. Für die Publikation steuerte er einen Essay bei, der die Situation der sardischen Kunst und Kultur seit dem 18. Jahrhundert bis in die 1920er/30er Jahre reflektiert. Ebenso hat er bei der Identifizierung der Motive beziehungsweise deren Überprüfung beigetragen. In der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur zeichnen Gabriele Conrath-Scholl und Rajka Knipper für das Projekt verantwortlich. Rajka Knipper hat die Forschungsergebnisse in einem wissenschaftlich fundierten Textbeitrag im Katalogbuch ebenso wie in einer Bilddokumentation mit sämtlich im August Sander Archiv erhaltenen Motiven der Reise zusammengefasst. Jean-Luc Differdange, Photograph, zuständig für den Bestand des August Sander Archivs, hat die Retusche an den Originalen vorgenommen, die Reproduktionen für die Buchproduktion erstellt und die Scanarbeiten für die Faksimiles der Farbaufnahmen betreut.
 

Foto August Sander: Straße in Atzara

August Sander: Straße in Atzara
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
Ausstellung:
August Sander. Sardinien 1927
22. April — 21. August 2011
Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur
Im Mediapark 7
50670 Köln
Öffnungszeiten: Täglich außer mittwochs, 14 bis 19 Uhr
Eintritt: 4,50 €, ermäßigt 2 €, montags freier Eintritt

Katalogbuch:
August Sander. Sardinien. Photographien einer Italienreise 1927 (bei amazon.de)
Deutsch/Italienisch
Hrsg. Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur
Mit einem Vorwort von Gabriele Conrath-Scholl, Texte von Rajka Knipper, Giorgio Pellegrini, Albertus und Ludwig Mathar
München, Schirmer/Mosel, 2009
ISBN: 978-3829604338
49,80 Euro
 

Foto August Sander: Madonna delle Grazie, Piazza Manzoni, Iglesias

August Sander: Madonna delle Grazie, Piazza Manzoni, Iglesias
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

 
(thoMas)