Ein Bildband zu Bob Dylans 70stem. Ein Fotobuch, das nichts als Vulkanasche zeigt. Olaf Unverzarts neues Werk „Don’t Fade To Grey“: drei Beispiele für die dauerhafte Präsenz der Schwarzweißfotografie auch im 21. Jahrhundert. Wir stellen diese Bücher vor, werfen einen Blick auf die Fotokunst-Szene in Wien, besuchen eine Ausstellung in München und eine andere in Berlin – und geben, wie jeden Monat, einen Fotokunst-Kauf-Tipp:

Bob Dylans 70ster. Das muss auch uns beschäftigen. Vor allem, da in diesen Tagen ein großer, neuer Fotoband erschienen ist. Etwa 200 Bilder des jungen Bob Dylan zeigt das anlässlich des 70. Geburtstags bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienene Buch, darunter auch viele unbekannte Fotografien eines Mannes, von dem man glaubt, schon alle Bilder zu kennen. Wir sehen einen verschmitzten jungen Mann, der sich die Ohren zuhält, die Gitarre lässig umgehängt: prophetisches Bild jenes Musikers, der einige Jahre später, 1965 auf dem Newport Folk Festival, die Folkmusik elektrifizieren würde – zum Graus wertkonservativer Folk-Fans.
 

Foto Michael Ochs

Seine erste Gitarre kauft Bob Dylan 1959, eine Martin 1949 00-17. Es folgt eine alte akustische Gibson. Mit ihr ist er auf dem Cover seines ersten Albums zu sehen – und auf diesem Foto, aufgenommen in New York City im September 1961.
© Michael Ochs Archives / Getty Images

 
Doch dieses Fotobuch beginnt viel früher. Ganz am Anfang. „Ich wollte immer schon Gitarrist und Sänger sein. Seit ich zehn, elf oder zwölf war, war das das einzige, was mich interessierte“, hat Dylan später erzählt. Das Buch berichten von ersten Reisen nach England, von den ersten Auftritten, den ersten Pressekonferenzen. Dylan ist bis heute ein auf beinahe schon unheimliche Weise fotogener Musiker, der Lässigkeit, Ernst und rebellischen Charme wie kaum ein zweiter zu verbinden wusste.

In Zeiten wie diesen, wo der Begriff der „Stilikone“ mehr als verschwenderisch benutzt wird, macht er hier umso mehr Sinn: Dylans Sinn für Stil, für die Selbstdarstellung vor der Kamera, ist in der Geschichte der Popmusik unerreicht. Schon die ersten Bilder aus dem Jahr 1961 sind Meisterwerke der Porträtfotografie: Mal im Rollkragenpullover, dann im Hemd, mit Mundharmonika und Gitarre, oft mit seiner berühmt gewordenen Cord-Mütze, zeigen sie Dylan als blutjungen, verletzlichen Musiker, der in nur wenigen Jahren als Mensch und Musiker reifen wird. Es ist die Zeit der ersten großen Songs: „Don’t Think Twice, It’s All Right“, „Boots of Spanish Leather“, „Blowin’ in the Wind“, „Masters of War“, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ oder auch „Ballad in Plain D“.
 

Foto Michael Ochs

Die Beziehung zu Suze Rotolo inspiriert Bob Dylan zu Songs wie Don’t think twice, it’s all right, mit denen er die bis dahin übliche Form des romantisch verklärten Lovesongs um eine zartbittere Note erweitert.
© Michael Ochs Archives / Getty Images

 
 
Foto Dezo Hoffmann

Joan Baez über Bob Dylan: „Bob drückt das aus, was all die Kids sagen wollen. Ich habe noch nie so was wie ihn gehört. Wenn er anfängt, Hard Rain zu singen, kommen mir die Tränen und ich muss aus dem Zimmer gehen.“ Gemeinsam treten sie zum ersten Mal beim Newport Festival 1963 auf.
© Dezo Hoffmann / Rex Features

 
Dazwischen: ungemein witzige, ungewöhnliche, ungesehene Aufnahmen: Dylan auf seinem Motorrad, an der Schreibmaschine, im Schaukelstuhl, in Greenwich Village mit Suze Rotolo, seiner ersten Liebe, später mit Joan Baez, die Dylan 1963 bereits als Gastsänger begleitete. Und weiter: Dylan in Büchern stöbernd – oder bei Konzerten. Schon bald war er eine Symbolfigur einer Zeit im Wandel – ein Held der Gegenkultur.

Bilder von Fotografen wie Michael Ochs, Elliott Landy, Barry Feinstein, Frank Driggs, John Cohen, Douglas R. Gilbert, Dezo Hoffmann oder David Magnus erzählen von diesen aufregenden Jahren, die von kurzen Texten und auch Zitaten des 1941 in Duluth, Minnesota, geborenen Musikers begleitet werden. Doch lesen mag man eigentlich gar nicht so lange in diesem Buch – eher schauen, schauen, schauen.

Und auch darüber denkt man beim Betrachten nach: Die meisten der hier gezeigten Bilder wurden Schwarzweiß aufgenommen – und bestechen in ihrem bildlichen Minimalismus. Dieses Buch ist nicht zuletzt auch ein Plädoyer für die ursprüngliche, raue Kraft der Schwarzweißfotografie.
 

Foto Thelma Herzl
 
 
>Foto Thelma Herzl

Fotos: Thelma Herzl

 
Um bei der Schwarzweißfotografie zu bleiben: „Aska. Formationen isländischer Vulkanasche“ heißt ein neues Fotobuch von Thelma Herzl, das in der Nähe des Vulkans Eyjafjallajökull fotografiert wurde – in der Nähe jenes Vulkans, der für Chaos und Zerstörung sorgte. Hier entdeckt die Künstlerin Schönheit in den unterschiedlichen Asche-Formationen. Schönheit, die im Detail steckt. Die Fotografin, das zeigt uns das Buch, ist begeistert von der mystischen Kraft der Natur, von der gewaltigen Dynamik der Naturereignisse.
 

Fotos: Olaf Unverzart

Fotos: Olaf Unverzart

 
Ein wenig enttäuscht sind wir vom neuen Buch des Münchner Fotografen Olaf Unverzart. Bekannt geworden ist der 1972 geborene Fotograf, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Joachim Brohm studiert hat, mit Bildern der Alpenräume, welche die Zerstörungen durch den Menschen festhalten. Doch was in früheren Büchern Unverzarts funktionierte, will heute nicht mehr passen. Sein neuer Band „Don’t Fade to Grey“ wirkt seltsam beliebig. Viele Bilder in diesem Buch bieten zu wenig sinnliches Vergnügen, zu wenig Originalität. Ein Rollladen, ein unscharfer Telefonhörer, viele diese Fotografien muten an wie experimentelle Fingerübungen auf der Suche nach einer persönlichen Handschrift. Und so ist „Don’t Fade To Grey“ auch ein passender Titel für das Buch, denn genau hier lauert die Gefahr: Je stärker Unverzart sich als stilbildender Fotograf zurücknimmt, umso weniger fesseln seine Bilder den Blick. Dann laufen sie ins Graue aus, verschwinden.

Bleiben wir in München. Hier, im Stadtmuseum, ist bis zum 11. September 2011 die Ausstellung „Industriezeit“ zu sehen, die ein im Wasmuth-Verlag erschienenes Buch begleitet. Seit Anbeginn des fotografischen Mediums war die Industriefotografie ein wichtiger Teil der Bildproduktion. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wandten sich Fotografen – zumeist im Auftrag von Bauträgern oder Unternehmen – der Dokumentation von Industriebauten zu, lichteten den voranschreitenden Straßenbau ab, den Bau neuer Eisenbahnlinien, Brücken oder Fabriken.
 

Foto Heinrich Heidersberger, Gasometer Braunschweig, 1952

Heinrich Heidersberger, Gasometer Braunschweig, 1952
Gelatineentwicklungspapier, Negativdruck
Münchner Stadtmuseum
© Institut Heidersberger, Wolfsburg

 
 
Foto Lewis Hine, Kraftwerksarbeiter an einer Dampfturbine, 1920

Lewis Hine, Kraftwerksarbeiter an einer Dampfturbine, 1920
Gelatineentwicklungspapier
Münchner Stadtmuseum
© George Eastman House, Rochester

 
Doch noch lange Jahre hatte die Fotografie ausschließlich einen dienenden Zweck, wie diese Ausstellung zeigt: Sie dokumentierte, war ein Hilfsmittel für Architekten, ein Beleg für Bauherren. Schon früh spezialisieren sich Fotografen auf diesen Zweig, wie etwa der königliche Hoffotograf Franz Hanfstaengl, dessen Aufnahmen des Münchner Glaspalastes ein bekanntes Beispiel früher Industriefotografie sind. Joseph Albert oder Georg Böttger waren weitere bedeutende Lichtbildner der Zeit. In der Schweiz dokumentiert etwa Adolphe Braun die Vollendung des St. Gotthard-Tunnels, die Veränderungen im alpinen Landschaftsbild in monumentalen, phantastischen Bildern. Doch zumeist wirken Industriefotografien des 19. Jahrhunderts nüchtern und sehr modern.
 

Foto Jürgen Nefzger, Sellafield, England, aus der Serie „Fluffy Clouds“, 2005

Jürgen Nefzger, Sellafield, England, aus der Serie „Fluffy Clouds“, 2005
C-Print
Münchner Stadtmuseum
© Jürgen Nefzger

 
In der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders treten viele Fotografen ins Rampenlicht, die heute als Klassiker gelten: Thomas Höpker, Robert Lebeck oder Stefan Moses sind zu nennen, Peter Keetman auch, dessen Wolfsburger Bilder Ikonen der Industriefotografie geworden sind. Ihn interessieren serielle Strukturen, jene „Ästhetik des Seriellen“, die bis in die Gegenwart Fotografen fasziniert.

Bis heute spannt das im Wasmuth-Verlag erschienene Buch den Bogen und stellt etwa Jürgen Nefzger vor – oder auch Joachim Brohm, der ein gutes Beispiel dafür ist, wie eng die Industriefotografie mit Architektur- und Landschaftsfotografie verzahnt ist. In den vergangenen Jahren ist das Werk des 1955 geborenen Farbfotografen immer aufmerksamer verfolgt worden. Der heute in Leipzig lebenden Künstler gehörte in Deutschland zu den ersten Fotografen, welche Ende der 70er Jahre die Farbfotografie für sich entdeckten. Seine Vorbilder waren Amerikaner: William Eggleston, Bill Christenberry oder Stephen Shore. In einem Satz: „IndustrieZEIT“ ist ein schöner Überblicks-Band zu einem eher selten bearbeiteten Thema.
 

Foto Gottfried Helnwein: Untitled, 1987

Gottfried Helnwein: Untitled, 1987
Polaroid Polacolor 20 x 24″
© Gottfried Helnwein / VBK Wien, 2011

 
In unregelmäßigen Abständen wollen wir in Zukunft die Fotoszene verschiedener Metropolen unter die Lupe nehmen. Wir wollen in Wien beginnen, wo sich viele Galerien und Ausstellungshäuser der Fotokunst widmen. So wie etwa „WestLicht“, wo nicht nur Foto- und Kameraauktionen durchgeführt, sondern auch spannende Ausstellungen gezeigt werden, wie ab Juni etwa eine Schau mit Polaroids aus der eigenen, kürzlich angekauften Sammlung. WestLicht ist ein „Schauplatz für Fotografie“ in einem 50er-Jahre-Loft und will „eine Symbiose zwischen Apparatur und Fotografie herstellen“. In dieser Form nicht nur in Österreich einmalig.

Fotokunst in Wien – den theoretischen Background liefert seit über 70 Ausgaben die Zeitschrift „Eikon“. Das Fotomagazin besteht seit 1991 und wird herausgegeben vom „Österreichischen Institut für Photographie und Medienkunst“ – eine Plattform für Fotokunst und Neue Medien. Von ebenso großer – auch wissenschaftlicher – Bedeutung ist die Wiener Zeitschrift „Fotogeschichte“, die sich bereits seit 30 Jahren fotohistorischen Themen widmet. Das aktuelle Heft, Nummer 119, versammelt etwa Aufsätze zum Thema „Das komische Bild“: ein erster fotowissenschaftlicher Vorstoß in das Terrain fotografischer Komik.

Von profunder Qualität sind auch die Themenausstellungen der „Fotogalerie Wien“, die sich im Jahr 2011 um das Thema „Technik & Methode: Künstlerische Prozesse der Bildfindung“ drehen. Im Oktober feiert der Verein zur Förderung künstlerischer Fotografie und neuer Medien bereits sein 30jähriges Bestehen. Jede Ausstellung wird von einer Publikation begleitet.

Die „Galerie auf der Pawlatsche“ unter der Leitung von Gero Fischer am Institut für Slawistik der Universität Wien hat stets die osteuropäische Fotografie im Blick – sie versteht sich als „Forum für die Begegnung mit der osteuropäischen sozialdokumentarischen Fotografie“. Eine recht neue Galerie für zeitgenössische Fotokunst ist hingegen „Momentum“ in der Schleifmühlgasse. Hier werden jüngere Künstler gezeigt – mit Fokus auf ungesehene, wenig abgesicherte Positionen.

Regina Maria Anzenbergers „AnzenbergerGallery“ vertritt internationale Fotojournalisten und Dokumentarfotografen – darunter echte Stars wie etwa Martin Parr. Die Galerie hat sich aber auch auf dem Feld der historischen Fotografie hervorgetan – so bietet sie unter anderem Silbergelatine-Abzüge von Ferdinand Schmutzer an. Im Showroom in der Zeinlhofergasse 7 werden Wechselausstellungen präsentiert. Schon seit 1983 ist Johannes Faber im Geschäft. Seine Galerie in der Dorotheergasse 12 zeigt vor allem tschechische, österreichische und amerikanische Fotografie: Fotoavantgarde, Klassiker – darunter die ganz großen Namen der Fotogeschichte.
 

Foto Helmut Newton: Paris Match, Monte Carlo, 1985

Helmut Newton: Paris Match, Monte Carlo, 1985
Polaroid
© Helmut Newton Estate

 
Nun ein Sprung nach Berlin, wo in der Helmut Newton Stiftung bis zum 20. November die Ausstellung „Helmut Newton Polaroids“ gezeigt wird. Die Schau bringt 300 Polaroids Newtons zusammen – eine Art Skizzenbuch des Fotografen, der die Polaroid-Technik seit den 1970er Jahren intensiv vor allem während seiner Mode-Shootings als Ideen-Skizze nutzte.
 

Foto Jörn Vanhöfen: Carrara #635, 2010

Jörn Vanhöfen: Carrara #635, 2010

 
Und noch ein weiteres Fotobuch möchten wir Ihnen in diesem Monat kurz vorstellen. Jörn Vanhöfens Band „Aftermath“ ist bei Hatje Cantz erschienen und zeigt auf 148 Seiten moderne Ruinen unserer Zeit: verlassene Fabriken in Detroit, Schrottplätze im Ruhrgebiet – faszinierende Bilder, die erschrecken. Eines der besten Fotobücher dieses Sommers.

Am Ende von Foto-Frisch steht wie immer eine Empfehlung, Fotokunst käuflich zu erwerben. Man kann in Onlinegalerien fündig werden, bei Fotokunst-Galerien, auf Kunstmessen, in Auktionshäusern, bei Kunsthändlern – oder auch in den Ateliers der Künstler selbst. Wir möchten Ihnen in Zukunft Arbeiten vorstellen, die wir für sammlungswürdig halten – angeboten von seriösen Galerien, Verlagen oder Händlern.
 

Foto Jörn Vanhöfen: Duisburg #111, 2005

Jörn Vanhöfen: Duisburg #111, 2005
C-Print, in Mappe, mit Buch, Blattformat: 40 x 50 cm, Bildformat: 38 x 46 cm, Auflage: 20 + 3 e.a., signiert, nummeriert

 
Diesmal empfehlen wir eine Arbeit von Jörn Vanhöfen, nämlich die von Hatje Cantz herausgegebene „Collector’s Edition“ zum oben vorgestellten Buch. Die 2005 entstandene Arbeit „Duisburg #111“ des 1961 in Dinslaken geborenen Fotografen (C-Print, in Mappe mit Buch, 40 x 50 cm, Auflage: 20 + 3 e.a., signiert, nummeriert) kostet 580 Euro und fasst den Strukturwandel des Ruhrgebiets in ein, wie wir finden, sehr anschauliches, starkes Bild.

Übrigens: Wir freuen uns immer über Anregungen in Sachen Fotokunst. Bitte an: redaktion@photoscala.de oder info@marcpeschke.de.

(Marc Peschke)