Foto von Sonys Flaggschiff SLT-A99Hat sich das lange Warten gelohnt? Kamerahersteller Sony ermöglichte uns, die erste Vollformat-SLT-Kamera auszuprobieren. Mit der lang erwarteten Nachfolgerin der α900 verabschiedet sich Sony wohl endgültig vom optischen Sucher der Spiegelreflexkamera:

Gleich drei neue Kleinbildkameras stellte der Elektronik- und Optikhersteller Sony in der vergangenen Woche vor: Neben der α99 die Filmkamera Handycam VG900 und mit der RX-1 das bisher teuerste Mitglied der Cyber-shot-Familie. Der Hersteller will die Neuheiten als klares und vor allem langfristiges Bekenntnis zur Fotografie und zu seinen Kamerasystemen verstanden wissen. Offensiver will man nun auch um die Gunst von Berufsfotografen buhlen, wohl wissend, dass dazu mehr als eine Kleinbildkamera mit Zeiss-Objektiven nötig ist.

Foto Sony SLT-A99 plus VG-C99AM

 
 
Im Rahmen einer Pressereise von Sony Europe gab der Hersteller uns die Möglichkeit, die Alpha 99 auszuprobieren. Eine Kamera, die äußerlich zwar stark an die Alpha 77 erinnert, sich am Ende aber durch deutlich mehr von Ihrem gut ein Jahr älteren Schwestermodell unterscheidet als nur durch den doppelt so großen Bildsensor und das Fehlen des eingebauten Blitzgeräts. Eine Kamera, die mit ihrer SLT-Technik und dem elektronischen Sucher in ein Marktsegment vorstößt, das bisher den Spiegelreflexkameras vorbehalten war, und das Sony nun gleich von zwei Seiten angeht: Mit Kleinbildsensor bieten die Japaner einmal die Alpha 99 als Systemkamera mit teildurchlässigem Spiegel, zum anderen offerieren sie mit der schon erwähnten RX-1 eine Kompaktkamera mit fest eingebauter Festbrennweite 2,0/35 mm.

 
 
Zeltstadt für 90 Journalisten

 

Die Alpha 99 wird wegen ihres elektronischen Suchers wohl auf viele Vorbehalte stoßen. Zum Test stand ein Vorserienmodell zur Verfügung. An der Firmware schreiben die Entwickler noch fleißig, eine abschließende Beurteilung der Bildqualität ist so noch nicht möglich.

Gehäuse, Ergonomie, Handhabung – Sonys Größte ist die Leichteste am Markt
Dass die Entwickler an der Alpha 77 orientierten, ist kein Nachteil: Die Kamera liegt (mir) gut in der Hand, die 99 ist geringfügig größer als die 77 und hält sich mit schweren Objektiven noch etwas besser. Der kleine Finger meiner rechten Hand schließt mit der Unterkante der Kamera ab, für noch bessere Handhabung sorgt der optionale Hochformathandgriff, der ähnlich wie bei der Alpha 77 recht groß ausfällt. Der Handgriff nimmt zwei zusätzliche Akkus auf. Schön, dass bei der Alpha 99 nun endlich wieder der Akku im Gehäuse verbleiben darf. Laut Messungen gemäß CIPA-Standard kommt man so mit drei Akkus, den aus den Schwestermodellen bekannten NP-500H, auf eine Reichweite von 1230 bis 1500 Bildern, nach unseren Erfahrungen mit dem Vorserienmodell sollte sie in der Praxis deutlich höher ausfallen.

Sony Alpha 77 (links) und Alpha 99 (rechts)

Alpha 77 (links) und Alpha 99 (rechts)

Nur rund 800 Gramm wiegt die Kamera mit Akku, etwas weniger als die neue D600 von Nikon und deutlich weniger als die Mitbewerberin EOS 5D Mark III. Damit ist die Neue von den Leica-M-Modellen abgesehen die leichteste Kamera am Markt. Gewicht zu sparen, dabei hilft unter anderem der Verzicht auf den optischen Sucher.

Die allermeisten Funktionen können direkt über Taster oder Einstellräder vorgenommen werden – das ist sowieso eine der Stärken der höherpreisigen Alpha-Modelle. An einigen Details ist die Weiterentwicklung zu spüren, so ist der Drehschalter zur Wahl der Autofokus-Modi einem geräuschlos arbeitenden Klick-Dreh-Rad gewichen, auf das sich die verschiedensten Funktionen legen lassen, unter anderem der ISO-Wert, die Mikrofon-Auspegelung oder eben der AF-Modus.

Die Metalllegierung des Gehäuses macht einen robusten Eindruck, auch einen Vormittag im Dauerregen überstand unser Testexemplar klaglos. Alle Bedienelemente sind leicht zu ertasten und aufgrund der unterschiedlichen Formgebung zu unterscheiden, fast alle Knöpfe stehen auch am Hochformathandgriff zur Verfügung.

Etwas störend finde ich, dass man das Display erst umdrehen muss, um es nach oben kippen zu können. Dann zeigt sich aber eine der wesentlichen Stärken der Kamera: Der Live-View ist dank der SLT-Technik absolut brauchbar – im Gegensatz zu einigen SLR der Mitbewerber, und gemeinsam mit dem beweglichen Display verändert er die Art, zu fotografieren:

Autofokus – Licht und Schatten
Dank teildurchlässigen Spiegels im Strahlengang wird das Phasenvergleichs-Autofokusmodul oberhalb des Spiegelkastens auch während der Foto- und Videoaufnahme bzw. im Live-View-Modus mit Licht versorgt. Und dieser Phasenvergleichs-AF arbeitet noch immer deutlich zielgerichteter als der Bildsensor-basierte Kontrast-AF, den andere Hersteller nutzen müssen, egal ob nun mit zusätzlichen AF-Pixeln auf dem Bildsensor oder ohne. Auch Sony hat etliche Pixel auf dem Bildsensor mit mikroskopisch kleiner Optik versehen und nutzt sie im neuen Modus „AF-D“ als Phasenvergleichsautofokus. Der Hersteller kommt so mit seiner verkaufsförderlichen Zählweise auf über 100 AF-Messfelder, de facto nutzt er jedoch das gleiche AF-Modul wie bei der Alpha 77 mit 19 AF-Feldern (denen im AF-D-Modus die Bildsensor-AF-Felder assistieren, wodurch die Motivverfolgung von einem AF-Feld zum nächsten etwas verbessert wird.) In der Praxis stört, dass die Felder des ursprünglich für eine APS-C-Kamera entwickelten AF nur einen relativ begrenzten Bildbereich abdecken, wodurch häufigeres Schwenken nötig ist. Rein subjektiv – ohne verschiedene Objektive testen und ohne direkt mit anderen Herstellern vergleichen zu können – arbeitet die Alpha 99 mit dem Sony 2,8/28-75 etwas langsamer als andere Modelle: solange ich die ans Auge nehmen und den Phasenvergleichs-AF nutzen kann. Im Video-Modus und mit Live-View erscheint die Alpha 99 deutlich überlegen.

Schön ist, dass der Fokussierbereich sich nun über eine Taste auf der Kamerarückseite nun begrenzen lässt: Zwei Tastendrücke reichen, und die Nah- und Ferngrenze ist festgelegt. Bisher boten das nur einzelne Objektive. Es lassen sich die 19 (bzw. 109) AF-Felder einer linken, zentralen und rechten Gruppe zuordnen, was die Motivverfolgung bei Sportaufnahmen erheblich erleichtert.

Nicht jedermanns Sache – OLED-Sucher
Bei der Vorstellung der Alpha 900 war Sony zurecht stolz auf den Spiegelreflexsucher der Alpha 900 als einer der (bis heute) besten. Entsprechend kontrovers wird Sonys Abkehr vom Schwingspiegel und damit vom Prismensucher heute diskutiert. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Kein Blackout während der Aufnahme, die Informationsfülle der einblendbaren Anzeigen, etwa die Sucherlupe und das Fokus-Peaking beim manuellen Fokussieren, und die Möglichkeit zum Filmen ohne Stativ oder aufwändige Umbauten der Kamera.

Die Farben des Suchers des Testexemplars waren allerdings etwas zu kalt, die Zeichnung in dunklen Bildbereichen nicht immer gut zu erkennen. Bis zur Serie mag sich daran noch etwas tun.

Hafen
Opernhaus
Im Hafen

 
Zubehör – kein Blitz, neuer Blitz, neuer Blitzgeräteanschluss
Ein kleiner eingebauter Blitz ist aus meiner Sicht besser als gar keiner – sowohl zur Steuerung externer Blitze als auch als Aufhelllicht. Sony hat sich hier für die schlechtere Alternative entschieden und den Blitz weggelassen, obwohl Platz genüg für einen Aufklappblitz vorhanden wäre. Vermutlich hat man sich hier zu sehr an den Mitbewerbern orientiert.

Auch der neue Multi-Interface-Blitzschuh ist als universeller Anschluss für verschiedenstes Zubehör – vom Blitzgerät übers Mikrofon oder Display bis zum Suchersystem – ein verständlicher Schritt. In der Praxis bringt die Abkehr vom 1988 von Minolta eingeführten Dynax-Blitzschuh jedoch Handhabungsnachteile: Das Aufsetzen gestaltet sich schwieriger und zum Ver- und Entriegeln muss ein Hebel betätigt werden. Dafür sitzt der Blitz auf dem neuen Anschluss nun spielfrei, die in der Vorderkante des Fußes untergebrachten Kontakte scheinen dort sinnvoller aufgehoben als bei den aufsteckbaren Suchersystemen von Olympus, Leica, Ricoh und Co. Für die alten Blitzgeräte an neuen Kameras sowie umgekehrt soll es Adapter geben, die Sony nach unseren Informationen seinen Produkten beilegen will.

Erstes Blitzgerät mit dem neuen MI-Blitzschuh ist der neue HVL-F60M. Den praktischen Dreh- und Schwenkmechanismus hat Sony vom Vorgänger HVL-F58AM übernommen, das Bedienkonzept ist ähnlich, die Displayanzeigen deutlich besser lesbar. Neu ist das praktische, dimmbare LED-Licht als Makro- und Einstelllicht und für Videoaufnahmen. In zwei Speicherplätzen lassen sich häufig verwendete Einstellungskombinationen ablegen und der Blitz so auf häufig wiederkehrende Situationen einstellen. Die Blitzbelichtung – drahtlos wie mit Blitz auf der Kamera erfolgte zuverlässig.

Geysir
Geysir

 
 
Alles in allem, pro und contra
Sonys Neue macht Freude: Der jederzeit nutzbare AF, das bewegliche Display und Videoaufnahmen mit Blick durch den Sucher sind ein Riesenfortschritt gegenüber herkömmlichen Spiegelreflexkameras. Die Bildqualität bei hohen Empfindlichkeiten hat erheblich zugelegt.

Ein paar Wermutstropfen bleiben angesichts der langen Entwicklungszeit, die Sony investiert hat. So spendiert der Hersteller zwar der Nex-5R (750 Euro inklusive Objektiv) ein WLAN-Modul, nicht jedoch der 2700-Euro-Alpha-99. Bildbegutachtung direkt auf dem iPad im Fotostudio, automatischer Bilder-Upload im Fotojournalisten-Alltag: Beides können die Nex-5R und Nex-6 mit ihren Play-Memories-Apps, die Alpha 99 mangels WLAN nicht. Immerhin soll die Fernsteuerung per und der automatische Bildtransfer auf den Computer möglich sein.

Für Nutzer von A-Bajonett-Objektiven ist die neue Alpha die beste Kamera am Markt. Die SLT-Technik erscheint mir – bis zu weiteren Fortschritten beim Bildsensor-basierten AF – die derzeit beste Wahl beim Bau einer Autofokuskamera zu sein. Ob das den deutlichen Aufpreis gegenüber etwa der Nikon D600 oder Canon EOS 6D wert ist, soll nun der Markt entscheiden.


Korrekturen, 21. September 2012:
Wie einer unser Leser korrekt anmerkt, ist die Alpha 77 noch keine zwei Jahre alt. Wir haben die Passage oben entsprechend korrigiert. Auch ist die Alpha 99 nicht Sonys erste Kamera, bei der sich die AF-Felder gruppieren lassen, was wir oben ebenfalls korrigiert haben.

Wie einer unserer Kommentatoren schreibt, ist die Eos 5D Mark III, mit der ich die neue Sony im Schlusssatz ursprünglich verglichen hatte, deutlich teurer als die Alpha 99, weshalb Canon der 5D Mark III nun für 2000 Euro die neue 6D zur Seite gestellt hat. Auch wenn ich die Alpha 99 eher auf Höhe der 5D Mark III sehe, muss sie sich auch dem Wettbewerb mit der 6D stellen. Ich habe den letzten Satz entsprechend angepasst.
 
 
 
(mts)