Symbol: ParagrafWer Gebäude oder Kunstwerke an öffentlichen Plätzen fotografiert und die Aufnahmen dann veröffentlicht, etwa auf Facebook, steht bereits mit einem Bein im Gefängnis. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls Horrormeldungen, die in den vergangenen Tagen durch die Presse geisterten. Doch was ist tatsächlich dran an den Berichten? Schafft die EU die Panoramafreiheit ab? Und was beinhaltet diese eigentlich? Antworten auf diese und weitere wichtige Fragen gibt Marie Slowioczek, Rechtsanwältin für Marken-, Urheber-, und Wettbewerbsrecht.

Panoramafreiheit – was ist das eigentlich?

Die Panoramafreiheit ist so alt wie das Urhebergesetz selbst. Sie schränkt das Urheberrecht an solchen Werken ein, die dauerhaft an öffentlichen Plätzen installiert sind. Diese dürfen nach § 59 Abs. 1 UrhG einschränkungslos fotografiert und die Fotografien verbreitet, also veröffentlicht, werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob das zu einem rein privaten Zweck geschieht oder in der Absicht, mit den Fotos Geld zu verdienen.

Panoramafreiheit Beispielbild

Die BMW-Welt (links im Bild) und der Münchner Fernsehturm sind urheberrechtlich geschützte Werke.
Noch garantiert die Panoramafreiheit, dass Fotos davon ohne Einschränkungen verbreitet werden dürfen.
(Foto: Martin Vieten)

 

Unter Werken versteht man alles, was urheberrechtlichen Schutz genießen kann. Das können Gebäude sein, aber auch Denkmäler, Graffitis, Laternen, wenn man filmt auch Musik wie Glockenspiele oder ähnliches. Voraussetzung ist, dass diese dazu bestimmt sind, bleibend, also dauerhaft aufgestellt zu bleiben. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Installation von Anfang an zeitlich begrenzt ist. Als etwa die Künstler Christo und Jeanne-Claude 1995 den Berliner Reichstag verhüllten, konnten sich Fotografen bei der Abbildung (und wichtiger – dem Verkauf der Abbildungen) nicht auf die Panoramafreiheit berufen, weil die Installation nur für etwa zwei Wochen andauern sollte. Damit war sie nicht bleibend im Sinne des Gesetzes.

Ebenso wichtig ist, dass die Werke von öffentlichem Grund aus ohne Hilfsmittel – zum Beispiel Leitern, Drohnen oder Teleobjektive – einsehbar sind. Ob das Werk selbst auf öffentlichem Boden steht, spielt keine Rolle. Man darf also eine Statue, die auf Privatgrund steht, auch durch einen Zaun hindurch fotografieren, solange diese ohne weitere Hilfsmittel sichtbar ist. Dagegen kann man sich nicht auf die Panoramafreiheit berufen, wenn man das Foto von Privatgrund aus, beispielsweise einer gegenüberliegenden Wohnung, schießt.

Panoramafreiheit in Europa

Dieses Verständnis der Panoramafreiheit ist in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Rechtsordnungen sehr weitgehend. In beinahe jedem europäischen Land ist die Panoramafreiheit normiert. Zum Teil sind diese Regelungen ähnlich weitgehend, zum Teil sind diese eingeschränkt, etwa auf die nicht kommerzielle Verwendung von Fotografien (so in Dänemark). Ausnahmen bilden Frankreich, Italien und Andorra, deren Rechtsordnungen keine Panoramafreiheit kennen.

Was stellt die EU jetzt mit der Panoramafreiheit an?

In einem zusammengewachsenen Europa ist es natürlich für den Bürger unübersichtlich, wenn die Rechtslage so unterschiedlich ist. Aus diesem Grund gibt es seit einiger Zeit die Bemühung, das Urheberrecht zu harmonisieren, also in der ganzen EU zu vereinheitlichen. Ein Mammutprojekt, das aber in vielen anderen Rechtsgebieten – etwa dem Verbraucherrecht – schon erfolgreich gelungen ist.

Im Rahmen der Vorbereitung der Gespräche um die Harmonisierung kam es nun zu dem folgenschweren Vorschlag, der die Gemüter erhitzt: Der Rechtsausschuss des Europaparlaments hat ein Papier vorgelegt, dass die kommerzielle Nutzung von Fotografien eben solcher Werke, die normalerweise der Panoramafreiheit unterliegen, nun an die vorherige Einwilligung des Urheberrechtsinhabers geknüpft sein soll. Dieser Text wird die Diskussionsgrundlage für die Debatte des Europaparlaments um die Zukunft der Panoramafreiheit in einem harmonisierten Urheberrecht sein.

Übersetzt bedeutet die geplante Regelung: Fotografiere oder filme ich ein Werk, das von öffentlichem Grund einsehbar ist, darf ich das Foto oder den Film erst dann verkaufen oder anders kommerziell, z.B. für Werbung, nutzen, wenn ich mir das Einverständnis des Urhebers geholt habe. Dazu muss ich aber erst einmal wissen, dass überhaupt ein urheberrechtlich geschütztes Werk abgebildet wurde, dann muss ich den Künstler recherchieren und schließlich wird sich dieser sein Einverständnis im Zweifel wohl gut bezahlen lassen. Ein umständlicher Kraftakt.

Dabei ist erkennbar, worauf diese Regelung abzielt: Der Urheber von öffentlich ausgestellten Werken soll daran partizipieren können, wenn die Abbildung seines Werkes verwertet wird. Klar ist die Sache in den Standardfällen: Ein Künstler stellt eine moderne Plastik in einen öffentlichen Park, diese wird bildfüllend abfotografiert, das Foto als Postkarte verkauft und der Künstler sieht – nach der jetzigen deutschen Regelung – von dieser Verwertung seines Werkes keinen müden Euro. Irgendwie unfair.

In dem Text des Rechtsausschusses des Europaparlaments, geht die Regelung aber weit über diesen – möglicherweise notwendigen – Schutz des Künstlers hinaus. Es findet sich keinerlei Einschränkung, die Einwilligung müsste also auch eingeholt werden, wenn das Werk nur im Hintergrund oder als Beiwerk auf dem Foto abgebildet ist. Ein Modelshooting außerhalb des Studios wird damit unmöglich, weil nur schwer gewährleistet sein kann, dass sich neben das Modell nicht auch noch ein urheberrechtlich geschütztes Werk in das Bild geschummelt hat. Auch kommerzielle Fotodokumentation oder Straßenfotografie kann quasi abgeschafft werden: Wer hätte denn die Kapazitäten, jedes Bild auf möglicherweise geschützte Werke im Hintergrund abzusuchen und ein Einwilligung einzuholen? Eine Katastrophe für professionelle Fotografen!

Wikipedia: Beispiele für Panoramafreiheit

Welche Auswirkungen die jetzt vorgeschlagene Regelung auf die Veröffentlichung
von Fotos haben könnte, illustriert Wikipedia anhand geschwärzter Fotos.

Und was hat das alles mit Facebook zu tun?

Aber auch private Fotografen können von der Einschränkung betroffen sein, etwa wenn sie die Bilder von urheberrechtlich geschützten Werken bei Facebook hochladen. Der Grund dafür ist allerdings nicht ganz trivial: Wenn es sich um ein ausschließlich privat genutztes Facebook-Profil handelt, ist das Hochladen selbst noch keine urheberrechtlich relevante Handlung, die Nutzung ist ja nicht kommerziell. Mit dem Hochladen des Bildes erteilt der Nutzer aber nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen Facebook an dem Bild eine unbeschränkte, einfache Lizenz, die auch die kommerzielle Nutzung umfasst. Dazu ist der Nutzer aber gar nicht berechtigt, da für die kommerzielle Nutzung des Bildes ja das Einverständnis des Künstlers notwendig ist, das sich der Nutzer in der Regel nicht eingeholt hat. Der Nutzer erteilt also eine Lizenz in einem Umfang, zu dem er gar nicht berechtigt ist.

Facebook verdient mit der Plattform Geld, handelt also kommerziell, wenn es das Bild vervielfältigt, etwa um es auf anderen Timelines zu veröffentlichen. Dazu ist Facebook aber gar nicht autorisiert, weil das Einverständnis des Urhebers fehlt. Folglich begeht Facebook eine Urheberrechtsverletzung und kann theoretisch abgemahnt werden. Der Nutzer selbst, der gar nicht alle Rechte an dem Bild hatte, mit dem Upload des Bildes aber (aus Versehen) gegenüber Facebook so getan hat, als könne er die geforderte Lizenz erteilen, könnte dann von Facebook in Regress genommen werden. Oder dem Urheber sogar im Rahmen der sogenannten Störerhaftung selbst haften. Alles in allem ein unschöner Ausblick darauf, was zukünftig passieren kann, nur weil man ein Urlaubsfoto von sich vor dem beleuchteten Eiffelturm bei Facebook hochgeladen hat.

Allerdings werden bereits heute jeden Tag unzählige Bilder bei Facebook hochgeladen, obwohl der Nutzer dazu nicht berechtigt ist, etwa weil er nicht Urheber des Bildes ist. Und trotzdem bleibt die immer wieder prognostizierte Abmahnwelle aus. Wahrscheinlich würde sich das auch mit einer Einschränkung der Panoramafreiheit nicht ändern. Allerdings bewegt sich der Nutzer dann trotzdem in einer rechtlichen Grauzone, Rechtsunsicherheiten sind dann programmiert.

Geht die Panoramafreiheit jetzt unter?

Zum Glück ist der Vorschlag zur Einschränkung der Panoramafreiheit bislang erst einmal eine Diskussionsgrundlage. Am 9. Juli 2015 wird das Plenum des EU-Parlaments über den Text abstimmen. Wenn der Text angenommen wird, wird daraus möglicherweise ein Gesetzesvorschlag, der die Regelung mit Sicherheit genauer ausarbeitet. Es ist durchaus denkbar, dass die Panoramafreiheit überhaupt nicht eingeschränkt wird oder dass es eine Vielzahl von Ausnahmen gegeben wird, etwa wenn das Werk nur Beiwerk ist, oder im Rahmen von Medienberichterstattung abgebildet wird. Vergleichbares findet sich heute im Hinblick auf das Recht am Bild bereits in § 23 KUG. Und selbst dann ist es noch ein sehr langer Weg, bis aus dem Gesetzesentwurf ein Gesetz wird, wie auch immer dies aussehen mag. Es besteht also noch Hoffnung, dass dieser Vorschlag schnell wieder in der Versenkung verschwindet. Hierzu kann natürlich auch konstruktiver Bürgerprotest beitragen, etwa durch Beteiligung an Online-Petitionen.

Es besteht aber auch durchaus die Möglichkeit, dass es nie zu einem harmonisierten Urheberrecht kommen wird, weil die Rechtsauffassungen der Mitgliedstaaten nicht in Einklang zu bringen sind. Schließlich bedeutet der Vorschlag auf der einen Seite für die deutschen Fotografen die Einschränkung uralter Rechte. Auf der anderen Seite werden in Ländern, die bislang keine Panoramafreiheit kannten – etwa Frankreich – im Gegenteil plötzlich die Rechte der Urheber beschnitten. Ein Punkt, bei dem eine Einigung schwer zu erzielen sein wird.

Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es daher auf alle Fälle verfrüht, einen Abgesang auf die Panoramafreiheit anzustimmen. Würde der Vorschlag allerdings uneingeschränkt Realität werden, würde das eine nur schwer hinnehmbare Einschränkung bei der Veröffentlichung von Fotos bedeuten – und zwar für Profis und Hobbyfotografen gleichermaßen. Hoffen wir also, dass im EU-Parlament die Vernunft siegt.

(Marie Slowioczek)
 

Marie Slowioczek ist Rechtsanwältin bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin und arbeitet schwerpunktmäßig im Marken-, Urheber-, und Wettbewerbsrecht. Sie ist außerdem leidenschaftliche Hobbyfotografin und beschäftigt sich schon aus Eigennutz mit allen Fragen rund um das Recht in und an der Fotografie.

PS:
Wer seinen Unmut über die derzeitige EU-Vorlage ausdrücken möchte, kann dies in einer Online-Petition tun – zum Beispiel hier:

Wikipedia: Offener Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Erhaltung der Panoramafreiheit
Change.org: Save the Freedom of Photography!

(Martin Vieten)