Ausschnitt aus dem Propagandaplakat „Europa arbeitet in Deutschland“Derzeit ist im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ zu sehen, zu deren Überraschungen die Entdeckung einer unerwartet breiten fotografischen Überlieferung signifikanter Ereignisse gehört:

 
 

Foto Rekrutierung für den Bergbau

Rekrutierung für den Bergbau: Im Sommer 1942 werden im Kriegsgefangenenlager Zeithain (Sachsen) sowjetische Kriegsgefangene für die Zwangsarbeit in belgischen Bergwerken selektiert.
Quelle: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain

 
Information des Jüdischen Museums Berlin:

Zur Ausstellung »Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg«

Zwangsarbeit ist eine europäische Erfahrung ohne Beispiel. An keinem anderen NS-Verbrechen waren derart viele Menschen beteiligt – als Opfer, Täter oder Zuschauer. Anliegen der Ausstellung ist es, erstmals die gesamte Geschichte dieses allgegenwärtigen NS-Verbrechens und seiner Folgen nach 1945 darzustellen. Sie zeigt, wie die Zwangsarbeit von Beginn an Teil der rassistischen Gesellschaftsordnung des NS-Staates war: Die propagierte »Volksgemeinschaft« und die Zwangsarbeit der Ausgeschlossenen – beides gehörte zusammen. Deutsche »Herrenmenschen« beuteten die als angebliche »Untermenschen« Unterworfenen rücksichtslos aus. In der Alltäglichkeit der Zwangsarbeit und in der breiten gesellschaftlichen Beteiligung zeigte sich der rassistische Kern des Nationalsozialismus.

 

Foto: Sowjetische Kriegsgefangene im BMW-Werk München-Allach, 1942-1944 © BMW AG BMW Group Archiv

Sowjetische Kriegsgefangene im BMW-Werk München-Allach: Alle in der Produktion der Flugmotoren beschäftigten Ausländer waren gekennzeichnet: Auf den Jacken der sowjetischen Kriegsgefangenen wurde das Kürzel „SU“ angebracht; KZ-Häftlinge waren an ihrer gestreiften Kleidung erkennbar. Die Aufnahme ist vermutlich ein Propagandafoto. München-Allach, um 1943.
Quelle: BMW Group Archiv
 
 
Foto Zwangsarbeiterinnen auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk, September 1942. Quelle: Mercedes-Benz Classic, Archive, Stuttgart

Zwangsarbeiterinnen auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk (heute Weißrussland), September 1942.
Quelle: Mercedes-Benz Classic, Archive, Stuttgart

 
Besonderes Augenmerk legt die Ausstellung auf die Beziehungsgeschichte von Deutschen und Zwangsarbeitern. Jeder Deutsche musste sich entscheiden, wie er den Zwangsarbeitern begegnete: mit einem Rest von Mitmenschlichkeit oder der angeblich gebotenen, rassistisch motivierten Kälte und Unerbittlichkeit des Angehörigen eines vermeintlich höherwertigen Volkes. Wie Deutsche von ihren Handlungsspielräumen Gebrauch machten, sagt nicht nur etwas über die Einzelnen aus, sondern auch über die Präge- und Anziehungskraft nationalsozialistischer Ideologie und Praxis. Mit dieser Perspektive geht die Ausstellung über die Geschichte der Zwangsarbeit im engeren Sinne hinaus und verdeutlicht, wie stark die deutsche Gesellschaft nationalsozialistisch durchdrungen war. Die Geschichte der Zwangsarbeit lässt sich keinesfalls auf ein bloßes Regimeverbrechen reduzieren, sie wird vielmehr als Gesellschaftsverbrechen erkennbar.
 

Foto von Wladyslaw Kolopoleski

Wladyslaw Kolopoleski: „Abgesehen von der schweren Arbeit, die über meine Kräfte ging, wurde ich bei geringstem Anlass geprügelt, manchmal auch bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Zum Beispiel erlitt ich eine ernsthafte Kopfverletzung, weil ich vom SA-Mann Max Ewert geschlagen worden war. Ich verlor nicht nur das Bewusstsein, sondern musste auch am Kopf operiert werden“, schrieb der 1932 in Lodz geborene Pole Wladyslaw Kolopoleski. Er war ab April 1940 beim Bürgermeister Max Ewert in Gervin, heute Górawino, in Pommern eingesetzt.
Quelle: Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“, Warschau

 
Über sechzig repräsentative Fallgeschichten bilden den Kern der Ausstellung. Wie die Mehrzahl der gezeigten Dokumente und Bildüberlieferungen sind sie das Ergebnis akribischer Recherchen in Europa, den USA und Israel. Darüber hinaus sichtete das Ausstellungsteam Hunderte von Interviews, die in den letzten Jahren mit ehemaligen Zwangsarbeitern geführt wurden. Thematisch reichen diese Fallgeschichten von der entwürdigenden Arbeit politisch Verfolgter in Chemnitz bis hin zur mörderischen Sklavenarbeit von Juden im besetzten Polen oder dem Zwangsarbeitsalltag auf einem Bauernhof in Niederösterreich.

Zu den Überraschungen der umfangreichen internationalen Archivrecherchen gehörte die Entdeckung einer unerwartet breiten fotografischen Überlieferung signifikanter Ereignisse. Die Fotografien in Verbindung mit den Fallgeschichten bilden die zweite Säule der Ausstellung. Rekonstruiert werden konnten ganze Fotoserien, deren Urheber und die abgebildeten Situationen und Personen. Diese quellenkritisch fundierte Präsentation ermöglicht einen gleichsam szenischen Zugang zu Aspekten der Zwangsarbeit. Filmisch angeordnete Foto- oder Fotoausschnittsvergrößerungen bilden den Einstieg in die weitergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte der Zwangsarbeit.
 

Foto: Französische Kriegsgefangene in Ingolstadt

„Ohne Liebe“ und „Villa Tränen“ schrieben französische Kriegsgefangene in Ingolstadt am 1. Dezember 1940 auf Holztafeln, um ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
Quelle: Privatbesitz Clemens Nißl, Obereichstätt
 
 
Foto Ukrainische Familie

Die gesamte ukrainische Familie wurde im Mai 1943 zur Zwangsarbeit nach Volzum (Niedersachsen) verschleppt.
Quelle: Braunschweigischer Geschichtsverein e.V./Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel

 
Die Ausstellung gliedert sich in vier Abschnitte: Der erste Teil ist den Jahren 1933 bis 1939 gewidmet. Hier werden insbesondere die rassistisch-ideologischen Wurzeln der nationalsozialistischen Zwangsarbeit offengelegt. Was bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges propagiert, teils in Gesetze gefasst und mit breiter gesellschaftlicher Teilhabe in die Praxis umgesetzt wurde, bildete den Ausgangspunkt für die nachfolgende Radikalisierung der Zwangsarbeit im besetzten Europa, bis hin zur Arbeit als Vernichtung. Dieser Ausweitung und Radikalisierung ist der zweite Abschnitt der Ausstellung gewidmet. Der dritte Ausstellungsabschnitt wendet sich der Zwangsarbeit als Massenphänomen im Deutschen Reich ab 1941/42 zu. Er endet mit Massakern an Zwangsarbeitern bei Kriegsende. Der vierte Teil der Ausstellung umfasst die Zeit von der Befreiung 1945 bis zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Anerkennung der Zwangsarbeit als Verbrechen in der Gegenwart. Das letzte Wort haben ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
 
 

Foto: Nach der Erhängung werden Zwangsarbeiter vor den Galgen geführt

Nach der Erhängung werden Zwangsarbeiter vor den Galgen geführt. Den Männern und Frauen aus Polen, die in der Gegend arbeiteten, wurde befohlen, sich am Exekutionsort einzufinden. Ein Gestapo-Beamter belehrte sie dabei, die Vorschriften der Deutschen nicht zu übertreten. Bayern, undatiert.
Quelle: Sammlung Vernon Schmidt, Veteran der 90. Inf. Div., U.S. Army
 
 
Foto vom Propagandaplakat „Europa arbeitet in Deutschland“

„Europa arbeitet in Deutschland“. Titelbild einer NS-Propagandabroschüre zum Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter in Deutschland, 1943.
Foto: Peter Hansen; Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Fritz Sauckel war von 1942 bis 1945 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz.

 
Ausstellung:
28. September 2010 bis 30. Januar 2011
Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg
Eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora im Jüdischen Museum Berlin, initiiert und gefördert von der Stiftung »Erinnerung Verantwortung und Zukunft«, gestaltet von gewerk design. Schirmherrschaft: Bundespräsident Christian Wulff. Mit freundlicher Unterstützung der Wall AG.

Jüdisches Museum Berlin, Altbau 1. OG
Öffnungszeiten:
Täglich 10 – 20 Uhr
Montags 10 – 22 Uhr
Eintritt: 4 Euro, erm. 2 Euro

Begleitband:
Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg (bei amazon.de)
Herausgegeben von Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Weimar 2010
Präsentation der Ausstellung und ca. 60 Seiten wissenschaftlichen Beiträgen namhafter Autoren wie Dieter Pohl, Dietmar Süß und Constantin Goschler
Ca. 260 Seiten, mit rund 170 Seiten
200 Abbildungen, broschiert, mit Fadenheftung
Forced Labor. The Germans, the Forced Laborers, and the War; ISBN englische Ausgabe: 3-935598-18-1 (bei amazon.de)
Preis: 19,80 Euro
 

Foto Plünderung in München

Plünderung in München. Hunderte Deutsche und ehemalige Zwangsarbeiter ziehen mit Waren durch München. Sie hatten zuvor gemeinsam ein Kaufhaus aufgebrochen und geplündert. München, April 1945.
Quelle: National Archives, Washington

 
(thoMas)
 

Nachtrag (1.10.2010; 14:14 Uhr): Die Bildunterschrifften wurden teilweise erweitert und um genauere Ortsangaben ergänzt.