FotoMiroslav Tichý war Jahrzehnte einer der großen Außenseiter der zeitgenössischen Fotografie. Vor einigen Jahren wurde der vor kurzem verstorbene Fotokünstler entdeckt. Spät – aber nicht zu spät. Die Galerie Walter Keller in Zürich zeigt jetzt eine Einzelausstellung:

Manchmal ist es nicht weit vom Sonderling zum Star. Über Dekaden fotografierte der 1926 geborene Miroslav Tichý in seiner mährischen Heimatstadt Nětčice Frauen. Im Schwimmbad, auf dem Markt, auf der Straße, beim Sonnenbad. Manchmal heimlich, immer obsessiv. Im hohen Alter wurde der ewige Außenseiter vor einigen Jahren auf der von Harald Szeemann kuratierten Biennale von Sevilla und bald auch vom Kunstmarkt entdeckt. Heute hängen seine Fotografien in den wichtigsten Museen – ein Outsider, dessen Leben und Werk untrennbar miteinander verknüpft ist.
 

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© Miroslav Tichý / Jana Hebnarova / Galerie Walter Keller Zürich

 
Der in diesem Jahr verstorbene Tichý, dessen Fotografie zu einem guten Teil durch vielfältige Retuschen in seinem archaischen Labor entstand, ist ein später Avantgardist: ein sich verweigernder Fotograf auf den Spuren von Künstlern wie Hans Bellmer oder Pierre Molinier – ein mit selbstgebauten Kameras fotografierender Erotiker, dessen Werk in vollkommener kultureller und gesellschaftlicher Isolation entstanden ist.

Diese Fotokunst – Tichý war ein Viel-Fotografierer: 3 Filme am Tag – ist fleckig, verwaschen, grob, grobschlächtig fast, aber auch poetisch, fein und facettenreich. Es ist eine geheimnisvolle, sexuell-subversive Welt, die jetzt in der Ausstellung „The Estate of Miroslav Tichý“ in der Galerie Walter Keller in Zürich zu entdecken ist.
 

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© Miroslav Tichý / Jana Hebnarova / Galerie Walter Keller Zürich

 
Wir sehen hier Bilder, die uns daran erinnern, was Fotografie auch sein kann: lebenslange Obsession, an Voyeurismus grenzend, die Grenze bisweilen auch überschreitend. Eine Bilderwelt, verunziert durch Fingerabdrücke und Bromflecken. Abzüge, auf Pappe geklebt, mit Filzstift bekritzelt, unendlich weit entfernt vom Fine Print oder den schicken Foto-Präsentationen in den Museen.

Und sonderbar, beim Betrachten der stets undatierten Bilder kommt uns wieder der Begriff des „Magischen“ in den Sinn: Fotografie, als etwas, das man nicht macht, sondern das auf geheimnisvolle Weise entsteht, am Rande der Welt, mit ärmsten Mitteln: Seine Kameras baute er aus Papprollen, aus Blechbüchsen – die Linsen waren aus eigens geschmirgeltem Plexiglas. Viele der Arbeiten sind bewegende, subversive Kunstwerke, die wieder einmal beweisen, das Kunst keine Frage der Technik ist, sondern der Leidenschaft. Wenig hat der Fotograf jemals zu seinem Werk geäußert. Ein Satz wird gerne zitiert, über den man lange nachdenken kann: „Die Welt ist sowieso nur Schein“.

(Marc Peschke)
 
 
The Estate of Miroslav Tichý
Bis 3. September 2011
Galerie Walter Keller
Oberdorfstraße 2
CH-8001 Zürich
 

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© Miroslav Tichý / Jana Hebnarova / Galerie Walter Keller Zürich