Mit der Milvus-Familie hat Zeiss eine komplette Objektivserie für Kleinbildkameras von Nikon und Canon aufgelegt. Auf Autofokus verzichtet Zeiss bei ihr, dafür gibt’s einen breiten Fokusring zum manuellen Scharfstellen und hochwertige Verarbeitung. Photoscala hatte das Milvus 2.8/21 (1699 Euro) sowie das Milvus 2/35 (1099 Euro) in den letzten Wochen im Einsatz. Dabei stand auch die Frage an, ob man heute noch auf einen Autofokus verzichten kann oder will.

Mit der neuen Milvus-Serie greift Zeiss erneut das Design auf, das mit den Otus-Objektiven eingeführt wurde. Also ein komplett aus Metall gefertigter Tubus, der mattschwarz schimmert. Das sieht edel aus und fühlt sich auch gut an. Dazu passt der großzügig bemessene, glatt-gummierte Fokusring ebenso wie die aus Metall gefertigte Steulichtblende, die bei allen Milvus-Objektiven zum Lieferumfang gehört.

Milvus 2/35

Die Milvus-Objektive sind sehr hochwertig verarbeitet, eine metallene Streulichtblende gehört zum Lieferumfang.
 

Äußere Werte

Ausprobiert hat photoscala die beiden Weitwinkel-Milvus für 2.8/21 und 2/35 mit ZF.2-Anschluss (für Nikon). Im Gegensatz zur ZE-Variante (für Canon) sind sie mit einem klassischen Blendenring versehen. Somit lassen sich die Nikon-Varianten über rein mechanische Adapter an einer Spiegellosen betreiben (in unserem Fall an einer Sony Alpha 7 II). Die Objektivanschlüsse sind natürlich elektronisch voll-kompatibel zum jeweiligen Kamerasystem, hier musste für unseren kleinen Praxistest eine Nikon D800 herhalten.

In ihrer mechanischen Qualität dürften die Objektive der Milvus-Familie denen der kompromisslosen Otus-Reihe kaum nachstehen. Darauf deutet schon das recht hohe Gewicht der beiden Weitwinkel-Objektive hin: Das 35er wiegt rund 650 Gramm, das 21er drückt 735 Gramm auf die Waage. Diese Gewichtsangaben gelten übrigens nur für die Nikon-Varianten, die Canon-Ausführungen sind nochmals schwerer.

Die beiden Weitwinkel-Objektive folgen dem Distagon-Design, sind also retrofokussierend. Durch das relativ hohe Anlagemaß bei DSLRs (das ja erhalten bleibt, wenn die Objektive an eine Spiegellose adaptiert werden), dürfte sich der mit der „Randstrahlenproblematik“ einhergehende Schärfeabfall zu den Bildrändern und -ecken in Grenzen halten – dazu gleich noch mehr.

Manuell fokussieren

Auf einen Autofokus verzichtet die komplette Milvus-Reihe, scharf gestellt wird also nach alter Sitte von Hand. Genau das aber bereitet in Praxis so manches Problem – insbesondere wenn der Fotograf vom Autofokus verwöhnt ist. Die Nikon D800 assistiert beim Scharfstellen mit einer kleinen Fokuswaage links unten im Sucher. Leuchtet deren Fokusindikator, ist alles im Lot, die Entfernungseinstellung unter dem aktuellen Fokusfeld ist perfekt. Liegt der Fokus daneben, weist ein leuchtendes Dreieck rechts oder links vom Fokusindikator darauf hin, in welche Richtung der Entfernungsring am Objektiv zu drehen ist.

Zeiss Milvus 2/35: Beispielbild

Die Schärfe nachzuführen, während sich das Motiv bewegt, will gelernt sein.
 

In der Praxis klappt das aber längst nicht so gut, wie es sich liest. Der Fokusindikator der Nikon D800 reagiert äußerst sensibel auf geringste Abweichungen (was ja angesichts der 36 Megapixel Auflösung der Kamera durchaus lobenswert ist). Ihn bei Aufnahmen aus der Hand permanent leuchten zu lassen, ist praktisch nicht möglich – so lässt sich nur näherungsweise exakt fokussieren. Solange das Objektiv ordentlich abgeblendet ist, spielt der exakte Fokus zum Glück keine große Rolle. Aber um bei f/2.0 mit dem 35er ein Katzenporträt formatfüllend aufzunehmen, kommt es schon auf eine penibel eingestellte Entfernung an.

Dann also doch lieber „nach Auge“ scharfstellen, also beim Blick durch den Sucher? Auch das gelingt nicht wirklich, denn der Nikon D800 fehlen ja (wie allen modernen DSLRs) Einstellhilfen wie Schnittbildindikator oder Fresnelscheiben. Einzig über die Sucherlupe im Live-View-Modus gelingt das manuelle Fokussieren exakt. Leider geht dann aber der Überblick über das Ganze verloren.

Wenn die manuellen Objektive an eine Spiegellose wie die Sony Alpha 7 II adaptiert sind, wird’s nicht besser. Hier lässt sich die Lupe zwar auch beim Blick in den Sucher aktivieren – es geht dann jedoch das Gefühl für das gesamte Motiv beim Scharfstellen verloren. Alternativ kann die Alpha 7 II auch Kontrastkanten in der Schärfeebene farbig markieren (Fokus-Peaking). Was bei Telebrennweiten wunderbar funktioniert, erwies sich bei den Weitwinkelaufnahmen indes als zu ungenau: Da schillert das halbe Motiv rotumrahmt, dennoch ist (bei großer) Blende nicht die gewünschte Bildpartie im Fokus.

Zeiss Milvus 2/35: Beispielbild

Als klassische Reportagebrennweite eignet sich das das Milvus 2/35
für vielfältige fotografische Gelegenheiten.

 

Wer sich auf die Milvus-Objektive einlässt, sollte also das manuellen Scharfstellen aus dem FF beherrschen. Dass es bis dahin selbst für versierte Fotografen ein langer Weg sein kann, davon berichtet übrigens Christopher Wesser im Camera Lens Blog von Zeiss.

Den vielleicht mühsam erscheinenden Weg zum manuell fokussierten Foto versüßen die Milvus-Objektive zum Glück mit Hilfen, die heute längst nicht mehr Gang und Gäbe sind: Da ist zum einen die gut lesbare Entfernungsskala auf dem Objektiv, mit deren Hilfe sich der Fokus blitzschnell grob einstellen lässt – übrigens auch bei abgeschalteter Kamera. Und zum anderen gibt es eine Tiefenschärfeskala als weitere Unterstützung. Da sich bei der Nikon-Variante der Milvus-Linsen zudem die Blende am Objektiv vorwählen lässt, kann man die Kamera bereits vor der Aufnahme und ohne Blick in/durch den Sucher schnell einstellen und kommt dann ohne Verzögerung „zum Schuss“.

Zeiss Milvus 2.8/21: Beispielbild

Das Milvus 2.8/21 mit seinem Bildwinkel von 90° ermöglicht interessante
Porträts unter Einbeziehung des Bildhintergrunds.

 

Innere Werte

Zeiss verspricht, eine Menge zu tun, damit die Milvus-Objektive auch bei schwierigen Lichtsituationen herausragende Bildergebnisse erzielen:

  • Eine T*-Anti-Reflex-Beschichtung soll die Bildkontraste auch bei direktem Gegenlicht hoch halten.
  • Alle Linsenränder werden in aufwendiger Handarbeit mit einem tiefschwarzen Speziallack geschwärzt, um Störungen durch Streulicht zu minimieren.
  • Zusätzlich sorgen Lichtfallen in mechanischen Bauteilen dafür, dass Reflexe innerhalb des Objektivs gar nicht erst entstehen können.
  • Durch den Einsatz spezieller Glassorten mit anomaler Teildispersion wird die Neigung zu Farbsäumen an kontrastreichen Motivkanten extrem minimiert.

Unter diesen Aspekten musste vor allem das Milvus 2/35 zeigen, was in ihm steckt und ob es dem formidablen Canon EF 35mm 1:1,4L II USM das Wasser reichen kann.

Zeiss Milvus 2/35: Bokeh

Beide Milvus-Weitwinkel (hier das 35er bei f/2.8, 100%-Ausschnitt)
zeichnen ein angenehmes Bokeh mit nur wenig störenden Farbsäumen.

 

Farblängsfehler (longitudinale chromatische Aberrationen) hat Zeiss in der Tat sehr gut auskorrigiert (übrigens auch beim 21er Milvus), Farbsäume an Kontrastkanten in den Bildrändern kennen die beiden Objektive praktisch nicht. Auch die beim Betrachter meist deutlich unangenehmeren laterale chromatische Aberrationen (sogenannte „Bokeh-CAs“) hat das Milvus-Pärchen ziemlich gut im Griff. Spitzlichter weit hinter der Fokusebene erhalten allerdings bisweilen einen Farbsaum – das macht das Canon-Objektiv noch etwas besser.

Zeiss Milvus 2/35: Beispielbild

Nur bei extremem Gegenlicht mogelt das Milvus 2/35 schon einmal Reflexionen in die Aufnahme.
 

Gegenlicht stellt die Milvus-Weitwinkel vor keine größeren Probleme. Blendenflecken und eine leichter „Color Cast“ ließen sich bestenfalls provozieren, wenn sich die Sonne nahe der Aufnahmeachse befand. Da hilft es bereits, den Kamerastandort um wenige Millimeter zu ändern, damit wieder alles Bestens ist. In dieser Hinsicht wusste vor allem das 21er zu gefallen, dessen großen Frontlinse ja durchaus eine Herausforderung für die Entwickler darstellt. Nicht ganz gefeit war das 21er dagegen von Farbringen in der Nähe einer Lichtquelle, falls stark abgeblendet wurde. Da gibt es für Zeiss durchaus noch etwas Verbesserungspotenzial bei der Unterdrückung von Reflexionen im Inneren des Objektivs.

Eine der Domäne von Zeiss sind Objektive, die sehr hoch auflösen und damit salopp gesprochen „scharf“ abbilden. Das gilt auch für das Milvus-Paar: Beide Objektive zeigen bereits bei Offenblende eine respektable Leistung, die 36 Megapixel einer Nikon D800 stellen sie nicht vor sichtbare Probleme. Werden die Objektive wenigstens um eine Stufe abgeblendet, ist zudem kaum noch ein Randabfall der Auflösung auszumachen.

Nicht so schön ist, dass beide Milvus-Weitwinkel recht stark vignettieren, insbesondere bei Offenblende. Immerhin gehört der Randabfall der Beleuchtungsstärke zu den Problemen, die sich leicht per Bildbearbeitung beheben lassen. Zumal in der jüngste Version von Lightroom entsprechende Korrekturprofile bereits integriert sind.

Zeiss Milvus 2/35: Beispielbild

Lediglich bei Motiven mit rechtwinkligen Linien fällt die leicht tonnenförmige Verzeichnung des Milvus 2/35 auf.
 

Etwas lässig gehen beide Weitwinkel-Objektive mit dem Thema „Verzeichnung“ um. Bei Motiven mit rechtwinkligen Linien fällt beim Milvus 2/35 eine leicht tonnenförmige Verzeichnung auf, die sich dank der in Lightroom hinterlegten Korrekturprofile sauber beheben lässt. Anders beim Milvus 2,8/21: Es verzeichnet zwar nicht stark aber komplexer, eher wellenförmig. Und da scheint das Korrekturprofil für Lightroom überambitioniert zu Werke zu gehen – für eine saubere Korrektur der Verzeichnung ist jedenfalls noch etwas Handarbeit nötig.

Mit einer Anfangsblende von f/2 ist das 35er Milvus nicht ganz so lichtstark wie so manch anderes Reportage-Objektiv. Aber auch Blende f/2 wird in den meisten Fällen reichen, um ein Motiv wunschgemäß freizustellen. Dabei kommt einen das Objektiv mit einem angenehmen Bokeh entgegen, das bis etwa f/4 schön weich bleibt und kreisrunde Spitzlichter zeichnet. Beim Milvus 2.8/21 ist das Bokeh etwas harscher, aber durchaus noch annehmbar.

Zeiss Milvus 2/35: Beispielbild

Auch an einer Sony Alpha 7 II weiß die Abbildungsleistung des Milvus 2/35 zu gefallen.
 

Insgesamt zeigen die beiden Milvus-Weitwinkel eine überzeugende Abbildungsleistung. Ihr Auflösungsvermögen ist hoch, leicht abgeblendet auch an den Bildrändern. Selbst bei extremen Gegenlichtsituationen verlieren sie kaum die Übersicht, nur unter extrem ungünstigen Bedingungen kann sich bisweilen die eine oder andere Reflexion in die Aufnahme mogeln. Ein Lob verdient auch das Bokeh beim Milvus 2/35, das selbst leicht abgeblendet angenehm weich bleibt. In Sachen Verzeichnung und Vignettierung zeigt das Milvus-Pärchen dagegen ganz leichte Schwäche, die jedoch bestenfalls bei Architekturaufnahmen sichtbar werden. Sehr schön ist zudem, dass beide Objektive wie die gesamte Milvus-Familie eine identische Farbwiedergabe aufweisen.

Mein Fazit

So lobenswert die optischen Eigenschaften der Milvus-Weitwinkel sind, der Umgang mit den nur manuell zu fokussierenden Objektiven will beherrscht sein. Wer sich darauf einlässt und vornehmlich statische Motive fotografiert, kann durchaus für ein ganzes Fotografenleben Freude an den Milvus-Objektiven haben. Das gilt umso mehr, als sich die Nikon-Variante ohne Klimmzüge an jede spiegellose Systemkamera adaptieren lässt.

(Martin Vieten)