Foto Ingar Krauss, ohne Titel, Zechin 2013Zeitgenössische Tierfotografie – nicht von Naturfotografen – zeigt die Berliner Ausstellung „WILD“:

 
Eine Ausstellung zeitgenössischer Tierfotografie „WILD“ zu nennen, obwohl es sich weder um Fotografien ausgesprochen wilder noch um wild gewordene Tiere handelt, ist durchaus ironisch zu verstehen. Der Titel spielt auf das Instinktgesteuerte und Ungezähmte an, das Tiere von uns sprachbegabten Vernunftwesen unterscheidet.
 

Foto Martin Klimas, Untitled, 2006

Martin Klimas, Untitled, 2006
© Martin Klimas, Courtesy the artist und Galerie Cosar HMT, Düsseldorf

 
Manche Tiere werden von uns Menschen mythisch aufgeladen und verehrt, andere unterworfen, geopfert, überzüchtet und ausgerottet. Dabei begleitet das Tier uns in wichtigen Bereichen unseres Daseins: sozial, ökonomisch, materiell, kulturell, religiös und symbolisch. All dies spiegelt sich auch in der zeitgenössischen Fotografie wider. Wir begegnen Tieren zuhause, im Wald oder im Zoo, kennen sie von Bildern, aus dem Film, als Spielzeug und nehmen sie als Nahrung zu uns. Seit Darwin wird der Mensch selbst evolutionsbiologisch den Säugetieren zugerechnet, und widmet sich wissenschaftlich dem eigenen wie auch anderen Stammbäumen. Wohl nie zuvor pflegten die Menschen ein aufgeklärteres Verhältnis zu den Tieren und gleichzeitig auch nie ein Entfremdeteres als heute. Je mehr sie zu Objekten unserer Wissbegier werden, desto weiter scheinen wir uns von den Tieren zu distanzieren.
 

Foto Carina Linge, Dame mit Kaninchen, 2008

Carina Linge, Dame mit Kaninchen, 2008
© Carina Linge, Courtesy Galerie Jarmuschek + Partner, Berlin

 
Abgebildet werden Tiere schon seit Jahrtausenden, ja sie gehörten zu den ersten Motiven überhaupt, wie wir unter anderem aus den Höhlen von Lascaux oder Altamira wissen. Auch mit der Erfindung der Fotografie etwa 30.000 Jahre später bleibt das Tier ein zentrales Bildmotiv. Immer seltener wird es allerdings in seinem natürlichen Umfeld fotografiert, stattdessen inszeniert oder als Alter Ego personifiziert. Kein Medium eignet sich so gut, das Verhältnis von Menschen und Tieren zu analysieren wie die Fotografie, deren technische Möglichkeiten vom Schnappschuss bis zur digitalen Konstruktion alle Aspekte unseres Umgangs mit Tieren abzubilden vermag. Zahlreiche Bildbände zum Thema existieren von herausragenden Fotografen des 20. Jahrhunderts, einige werden in der Alfred Ehrhardt Stiftung zu sehen sein.
 

Foto Birgit Kleber, Animals #27, Berlin 2010

Birgit Kleber, Animals #27, Berlin 2010
© Birgit Kleber

 
 
Foto Andrei Liankevich, Untitled, aus der Serie „Fake Animals“, Grodno/Belarus 2010

Andrei Liankevich, Untitled, aus der Serie „Fake Animals“, Grodno / Belarus 2010
© Andrei Liankevich

 
Die Ausstellung selbst legt den Fokus auf die jüngste Entwicklung: Mit über 70 Werken von mehr als 35 künstlerisch arbeitenden Fotografen werden die unterschiedlichsten Facetten zwischen Nähe und Distanz, inniger Freundschaft und materieller Ausnutzung visuell reflektiert. Darunter sind Bilder von ausgestopften und musealisierten Tieren, von Haus- und Kuscheltieren, von Nutztieren auf der Weide oder toten Tieren als Vanitasmotive in klassischen Stillleben. Wie wir sehen, bekommt ein uraltes Thema immer wieder eine zeitgenössische Ausdrucksform und eine aktuelle Brisanz. Die Aufnahmen zeigen, wie sich der Mensch mit den Tieren identifiziert, sie als Trophäe sammelt oder zu Nahrungsmitteln verarbeitet. Dabei variieren die künstlerischen Herangehens- und Darstellungsweisen, mal wirken sie dramatisch, mal verspielt und ironisch. Schließlich beginnen wir darüber nachzudenken, wie “wild” Tiere heute überhaupt noch sind. Und in einer Mélange aus Angst und Faszination, Mitgefühl und Horror werden wir daran erinnert, dass wir selbst nur Teilchen des großen Mosaiks von Mutter Natur sind, ein Bestandteil des unerschöpflichen Spiels aus Geboren-Werden und Sterben, Essen und Gefressen-Werden.

(Matthias Harder / Maren Polte)
 

Foto Ingar Krauss, ohne Titel, Zechin 2013

Ingar Krauss, ohne Titel, Zechin 2013
© Ingar Krauss

 
Ausstellung:
WILD – Tiere in der zeitgenössischen Fotografie
5. Juli bis 14. September 2014
Kuratiert von Matthias Harder
Konzeption Matthias Harder und Maren Polte

Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststr. 75
10117 Berlin
Öffnungszeiten: Di bis So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr

Teilnehmende Künstler: Subhankar Banerjee, Katja Bilo, Nadine Blanke, Ursula Böhmer, Thorsten Brinkmann, Franck Christen, Sinje Dillenkofer, Amin El Dib, Fischli/Weiss, Daniel und Geo Fuchs, Mishka Henner, Kai Olaf Hesse, Dieter Hinrichs, Birgit Kleber, Martin Klimas, Ingar Krauss, Silke Krüger, Andrei Liankevich, Carina Linge, Vera Mercer, Ralf Meyer, Thilo Mokros, Bernhard Moosbauer, Stefan Moses, Dan Nelken, Pierpaolo Pagano, Marc Peschke, Romana Prinoth, Christiana Protto, Ria Patricia Röder, Arno Schidlowski, Alnis Stakle, Bernd Telle, Jens Ullrich, Alexandra Vogt, Marc Volk, Sascha Weidner, Tina Winkhaus, Harf Zimmermann
 

Foto Romana Prinoth, Untitled, aus der Serie „Libelle in Todesangst“, 2011

Romana Prinoth, Untitled, aus der Serie „Libelle in Todesangst“, 2011
© Romana Prinoth