Foto Eva Besnyö, Starnberger Strasse, Berlin, 1931Eva Besnyö – geboren in Budapest, geprägt in Berlin, geflüchtet nach Amsterdam – war Fotografin und Feministin. Ihre Arbeiten, außerhalb Hollands wenig bekannt, sind jetzt in einer umfassenden Retrospektive in Berlin zu sehen:

Das Landesmuseum für Moderne Kunst informiert:

Eva Besnyö – Fotografin 1910-2003

Budapest – Berlin – Amsterdam

Leben und Werk der ungarisch-jüdischen Fotografin Eva Besnyö (1910 Budapest – 2003 Laren bei Amsterdam) sind von der Moderne in den Künsten gleichermaßen wie von den politisch extremen Geschicken Europas im 20. Jahrhundert, von Faschismus, Nationalsozialismus, Verfolgung und Emigration, geprägt.

Als Eva Besnyö gerade zwanzigjährig mit einer Gesellenprüfung des angesehenen Budapester Portrait- und Werbeateliers József Pésci im Gepäck in Berlin eintraf, hatte sie bereits zwei folgenreiche Entscheidungen in ihrem Leben getroffen: Das Fotografieren zu ihrem Beruf zu machen und dem faschistischen Ungarn für immer den Rücken zu kehren. Noch konnte sie nicht wissen, dass sie auch Deutschland bald wieder verlassen würde, aber die knapp zwei Jahre in Berlin von September 1930 bis Herbst 1932 wurden für ihre persönliche Entwicklung und ihre fotografische Bildsprache von bleibender Prägung.
 

Foto Eva Besnyö, Kohlenarbeieter, Berlin 1931

Eva Besnyö, Kohlenarbeiter, Berlin 1931
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
Wie ihre ungarischen Kollegen Moholy-Nagy, György Kepes, Martin Munkacsi und wenig später auch ihr Jugendfreund Robert Capa erlebte Besnyö Berlin als Metropole des Umbruchs, als Zentrum künstlerischer Experimentierfreude und neuer demokratischer Verhältnisse. Hier suchte sie die Auseinandersetzung mit den visuellen Medien in ihrer modernsten Form: dem russischen Film Sergej Eisensteins und den für die Entwicklung der Fotografie maßgeblichen Illustrierten und Magazinen; hier erlebte sie das revolutionäre Theater Erwin Piscators, den modernen Tanz der Palucca und diskutierte mit Freunden nächtelang über Zwänge und Freiheiten politischer Systeme.

In Berlin entdeckte Besnyö, dass sie am liebsten den Menschen im Alltag, auf der Strasse, bei der Arbeit und in der Freizeit zum Thema ihrer Bildfindungen machte. Sie hatte bei dem Pressefotografen Dr. Peter Weller Arbeit gefunden, streifte tagsüber mit der Kamera durch die Stadt, suchte Motive auf Baustellen, am Wannsee, im Zoo oder in den Sportstadien und ihre Aufnahmen wurden sogar veröffentlicht – allerdings wie damals üblich – unter dem Namen des Atelierinhabers.

Wie ihre Kollegen war auch Besnyö von der surrealen Wirkung menschenleerer Strassen bei unwirklicher Beleuchtung fasziniert und wie ihre zeittypischen Nah-Portraits aus neumodischen Perspektiven verfehlen diese Motive bis heute nicht ihre Anziehung. „Als vielleicht geschichtlich bedeutendste, sicher professionellste ungarische Fotografin, die in der Weimarer Republik sowohl durch Moholys „Neues Sehen“ wie durch die „Neue Sachlichkeit“ geprägt wurde, ist Eva Besnyö anzusehen“ (Andreas Haus, Ausstellungskatalog Wechselwirkungen, Marburg 1986)
 

Foto Eva Besnyö, Starnberger Strasse, Berlin, 1931

Eva Besnyö, Starnberger Straße, Berlin, 1931
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
Die Berliner Jahre

„Ich kam nach Berlin und da ging das Licht an … Das waren eigentlich die wichtigsten Jahre in meinem Leben.“ (1991)

In ihrem Selbstbildnis (1931) taxiert sie ihr Spiegelbild im Sucher einer 6×6 cm Rolleiflex und kalkuliert konzentriert die Wirkung von Licht und Schatten. Die beim Fotografieren eher ungebräuchlichen, weißen Handschuhe steigern noch die auf Effekt setzende Ausleuchtung ihrer Person im verfremdeten Ambiente.
 

Foto Eva Besnyö, Selbstportrait, Berlin, 1931

Eva Besnyö, Selbstportrait, Berlin, 1931
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
Zu ähnlich beeindruckenden Ergebnissen der Berliner Jahre gehört auch das Bildnis von György Kepes, den sie aus dem Budapester Studio kannte und der inzwischen als Assistent bei Moholy-Nagy in Berlin arbeitete. Besnyö spielt hier mit der ungewöhnlichen Perspektive, mit Schärfen und Unschärfen, mit der haptischen Wirkung der Stoffe und macht zugleich eine sehr persönliche Aufnahme von ihrem Freund. Vor dem Hintergrund der formalistischen Debatte um das „Neue Sehen“ liest sich das Bildnis von Kepes wie ihr fotografisches Credo: Nicht auf das technisch Machbare und eine größtmögliche Verfremdung kommt es an, vielmehr darauf, dem Bekannten neuartige Ansichten abzugewinnen.

Besnyös bekanntestes Foto stammt ebenfalls aus dieser Zeit, vom Sommerurlaub in Ungarn am Balatonsee: Es ist der „Junge mit dem Cello“ – eine weltweit für Werbezwecke benutzte Ikone, ein in den 50er und 60er Jahren gerne benutztes Bildsymbol für die vagabundierende Existenz, den modernen Tramp.
 

Foto Eva Besnyö, Junge mit Cello, Balaton, Ungarn, 1931

Eva Besnyö, Junge mit Cello, Balaton, Ungarn, 1931
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
Für das sensible politische Gespür der Jüdin Eva Besnyö spricht ihre rechtzeitige Flucht aus Berlin nach Amsterdam im Herbst 1932 vor der antisemitisch nationalsozialistischen Verfolgung. Unterstützt durch holländische Freunde um die Malerin Charley Toorop, den Filmemacher Joris Ivens, den Designer Gerrit Rietveld und den Kameramann John Fernhout, den sie 1933 heiratete, erfuhr Besnyö schon bald öffentliches Ansehen als Fotografin: Ihre erste Einzelausstellung, die 1933 von der international renommierten Kunst-Galerie Van Lier in Amsterdam ausgerichtet wurde, machte sie mit einem Schlag in den Niederlanden bekannt. Von da an gehörte sie mit ihren 23 Jahren zusammen mit Piet Zwart und Paul Schuitema, Cas Oorthuys, Carel Blazer und Emmy Andriesse zur tonangebenden Fotografenszene des Landes.

Es folgten Jahre mit wenig und schlecht bezahlten Aufträgen, einem kurzfristigen Engagement bei den Arbeiterfotografen und – den politischen Umständen geschuldet – mit Sozialreportagen. Ein bislang wenig beachtetes Kapitel ihrer Auftragsarbeit sind ihre Architekturfotografien, mit denen sie großen Erfolg hatte. Es gelang ihr offenbar, die Idee des funktionalistischen Neuen Bauens mit den visuellen Mitteln des Neuen Sehens in das zweidimensionale Bild zu übertragen.

Architekturfotografien

„Ich habe es gerne getan, aber es war schwer und ich musste die Architektur immer ohne Menschen aufnehmen, was ich heute nicht mehr schön finde“ (1991).

Für die Architekturaufträge – belegt durch zahllose Aufnahmen in der holländischen Fachzeitschrift für das Neue Bauen „De 8 en Opbouw“ – musste Besnyö die leichte Rolleiflex gegen die schwere 9 x 12 cm Linhof-Plattenkamera eintauschen. Von ihrem Verständnis, Architektur zu fotografieren waren die Architekten so eingenommen, weil sie ihre Bau-Ideale von Licht und Sonne in das zweidimensionale Medium Fotografie übertragen fanden. Bis heute vermittelt beispielsweise die Ansicht des „Sommerhauses in Groet“ (1934) die Atmosphäre einer sonnendurchfluteten Villa mit der nach wie vor beliebten Transparenz zwischen Innen- und Außenwelt.
 

Foto Eva Besnyö, Sommerhaus Groet, Nord- Holland, 1934

Eva Besnyö, Sommerhaus Groet, Nord- Holland, 1934
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
In der zweiten Hälfte der 30er-Jahre engagierte sich Besnyö intensiv kulturpolitisch, beispielsweise 1936 bei der Anti-Olympiade-Ausstellung „D-O-O-D“ (De Olympiade onder Diktatuur); im Jahr darauf, 1937, kuratierte sie unter Vorsitz von Paul Schuitema zusammen mit Carel Blazer und Cas Oorthuys im Stedelijk Museum Amsterdam die internationale Ausstellung „foto`37“ – eine niederländische Version der legendären Stuttgarter Film- und Foto-Ausstellung (fifo) von 1929. Die Wirkung dieser Präsentation für die Relevanz von Fotografie als musealem Sammelobjekt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vergleichbar wirkungsvolle Aktivitäten zur Förderung der Fotografie im Museum haben europaweit noch bis weit in die 1970er-Jahre auf sich warten lassen.

Der Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 und die Kollaboration im Lande brachten für die Emigrantinnen und Emigranten erneut politische Verfolgung. Für Eva Besnyö war es wieder höchste Zeit, zu verschwinden, sich zu verstecken. Mit Hilfe eines fingierten Ahnennachweises gelang es ihr 1944, sich „arisieren“ zu lassen. Finanziell rettete sie sich mit Arbeiten im Untergrund, mit den sogenannten „speken boterfoto‘s“ („Speck- und Butterfotos“).

Wie viele Fotografinnen und Fotografen ihrer Generation tendierte Besnyö in den Nachkriegsjahren zu einer Kamerasprache aus humanistisch geprägter Weltsicht. Sie war 1955 an der von Edward Steichen ins Leben gerufenen „The Family of Man“- Ausstellung beteiligt und wurde 1958 mit der Verleihung der Goldmedaille auf der 1. Biennale der Photographie in Venedig geehrt.

Ebenso wenig wie das Fotografieren zum Broterwerb ihren künstlerischen Impetus brechen konnte, haben auch die Jahre der Erziehung ihrer beiden Kinder nicht dazu geführt, beruflich zu pausieren; den klassischen Konflikt der Mehrfachbelastung aber hat sie über Jahrzehnte als Zerreißprobe am eigenen Leibe erlebt. Folgerichtig – so scheint es – wurde sie Aktivistin der niederländischen Frauenbewegung „Dolle Mina“ und – ganz gegen ihre Auffassung von künstlerischer Fotografie – zur fotografischen Dokumentaristin.

Die niederländische Frauenbewegung – Dolle Mina

„Ich fing an als Fotografin, wollte dokumentieren und dann rollte ich so tief hinein, dass ich eine richtige Dolle Mina geworden bin“ (1991)

Mit der Dokumentation der Frauenbewegung, dem Festhalten von Aktionen auf der Strasse kam Eva Besnyö – inzwischen auch mit der Leica unterwegs – vorübergehend zwar ihrem Jugendidol vom „Rasenden Reporter“ nahe, aber sie erkannte bald, dass ihr fotografisches Credo von einer ästhetisch determinierten Bildgestaltung in der Dokumentarfotografie nicht durchzuhalten war. Dennoch beschäftigte sie das Thema „Frauenemanzipation“ in der Fotografie auch über die akute Phase der Bewegung hinaus, wie beispielsweise in der Serie „Frauen in Männerberufen“.
 

Foto Eva Besnyö, Amsterdam 1951

Eva Besnyö, Amsterdam 1951
© Eva Besnyö/MAI Amsterdam

 
Eva Besnyös fotografisches Œuvre beeindruckt durch stilistische Modernität und thematische Vielfalt: Portrait- und Alltagsfotografien, Reportagen, Architektur- und Reisebilder. Sie hat die Arbeit zum Broterwerb kennen gelernt und die Freiheiten zu schätzen gewusst, wenn sie ihr Sujet selbst gestalten konnte. Ihr politisches Denken war ihr ganzes Leben von der Maxime einer humanistisch geprägten Gesellschaft bestimmt. „Wie viele andere Talente, ist auch das Eva Besnyös wegen des Rassenwahns der Nationalsozialisten für Deutschland und seine künstlerische Kreativität verloren gegangen“. (Karl Steinorth, Verleihung des Dr. Erich-Salomon-Preises durch die Deutsche Gesellschaft für Photographie 1999)

Die erste umfassende Retrospektive in Deutschland mit ca. 120 Vintage-Prints soll Leben und Werk dieser außergewöhnlichen, europäischen Fotografin des 20. Jahrhunderts einer größeren Öffentlichkeit auch außerhalb der Niederlande bekannt machen.
 
 
Ausstellung:
Eva Besnyö – Fotografin 1910-2003
28. Oktober 2011 – 27. Februar 2012

Das verborgene Museum zu Gast in der Berlinischen Galerie

Titel Eva Besnyö 1910-2003

Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin

Öffnungszeiten: Mi – Mo, 10.00 bis 18.00 Uhr

Katalogbuch:
Eva Besnyö 1910-2003: Budapest-Berlin-Amsterdam (bei amazon.de)
Katalogbuch zur Ausstellung in Berlin
Beiträge von Marion Beckers, Elisabeth Moortgat
Hirmer, Oktober 2011
Text: Deutsch / Englisch; 248 Seiten, 112 Duplex-Tafeln und 159 Duplex-Abbildungen. 23 x 28 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-4141-2
39,90 Euro
 

(thoMas)