FotoWeitgehend unbemerkt von Öffentlichkeit und Medien findet seit geraumer Zeit eine intensive Fachdiskussion um eine mögliche Toxizität von Galliumarsenid (GaAs) statt. Würde der Einsatz von Galliumarsenid eingeschränkt, hätte dies direkte Auswirkungen auf zahlreiche elektronische Produkte, die uns heute im täglichen Leben begleiten. Unser Blick hinter die Kulissen will dafür sensibilisieren, Abläufe und Zusammenhänge in den aktuellen Diskussionen um Stoff- und Vermarktungs-Verbote zu erkennen, und will motivieren, sich rechtzeitig an der Fachdiskussion zu beteiligen:

Zahlreiche Diskussionen im Umfeld europäischer Institutionen leiden darunter, dass die Betroffenen – im Fachjargon „Stakeholder“ genannt –  sich nicht aktiv in laufende Prozesse einmischen, sondern zuwarten, bis fertige Formulierungen vorliegen. Dann ist das Kind jedoch oftmals schon in den Brunnen gefallen und nur mit größtem Aufwand wieder zurück zu holen.

Dazu ein Blick zurück in die Abläufe zur vorgeschlagenen Einstufung von Galliumarsenid als krebserregender Stoff.

Im Herbst 2003 wurden im Rahmen einer Arbeitsgruppe bei der International Agency for Research on Cancer (IARC) (1) im französischen Lyon Forschungsergebnisse präsentiert, die unter bestimmten Bedingungen Galliumarsenid als Krebsrisiko erscheinen ließen (2) . Im Jahre 2009 reichte dann die französische „Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail“ / anses bei der 2007 in Helsinki gegründeten Europäischen Agentur für chemische Stoffe / ECHA (3) den Vorschlag für eine harmonisierte Klassifizierung von Galliumarsenid als karzinogene (krebserregende) Substanz der Klasse 2 ein. Im Frühjahr 2010 (25.5.2010) hat dann der Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der ECHA im Rahmen von Stellungnahmen zur harmonisierten Einstufung und Kennzeichnungen (CLH) von vier Industriechemikalien in ganz Europa Galliumarsenid wie folgt bewertet:

„Galliumarsenid ist derzeit durch einen allgemeinen Eintrag für Arsenverbindungen als akut toxisch und gewässergefährdend eingestuft. Der RAC stimmte dem Vorschlag Frankreichs zu, Galliumarsenid als reproduktionstoxisch und karzinogen einzustufen. Auf der Grundlage der für andere Arsenverbindungen verfügbaren Informationen empfahl der RAC eine strengere Einstufung der Karzinogenität als ursprünglich von Frankreich vorgeschlagen.“ (4)

Die Höherstufung soll auf der Basis neuer Veröffentlichungen des IARC in Lyon erfolgt sein.

Inzwischen ist nicht nur fraglich, ob die ECHA ohne Antrag eines EU-Mitglieds in eigener Verantwortung die Höherstufung eines Stoffes vornehmen darf, sondern auch die Stichhaltigkeit der Begründung für die erfolgte Höherstufung von Galliumarsenid als krebserregend in Kategorie 1A steht in Frage.

Die ECHA steht seit ihrer Gründung 2007 unter dem Druck der interessierten Öffentlichkeit, ihrer Aufgabe nachzukommen, die Lebensqualität durch die Gewährleistung der sicheren Anwendung chemischer Stoffe und die Förderung von Innovation zu verbessern. Stoffgruppen wie Arsen und Arsenverbindungen als potentiell gefährlich einzustufen, bietet hier eine gute Öffentlichkeitswirksamkeit, ist doch Arsen zumeist im Zusammenhang mit Spitzenhäubchen eine Substanz von teuflischer Wirksamkeit. Von Seiten der Öffentlichkeit und auch der Politik ist daher gegen die Einstufung von Galliumarsenid kein Widerstand zu erwarten.

Da in Europa die Freiberger Compound Materials der einzige Gallium-Arsenid-Hersteller ist, der Wafer aus hochreinen GaAs-Einkristallen liefert, war der zu erwartende Widerstand gegen eine möglicherweise fehlerhafte Einstufung von Galliumarsenid zunächst auf einen überschaubaren Kreis der Fachöffentlichkeit beschränkt.

Als sich jedoch nach der vorgeschlagenen Einstufung von GaAs abzeichnete, welche Folgen dies für die europäische Industrie hätte, trat die Europäische Kommission auf den Plan und forderte eine zweite öffentliche Erörterung des Themas mit dem Ziel, alle aktuellen Informationen zum Thema zu sammeln und bei der anstehenden Entscheidung zu berücksichtigen. Die ECHA hat daher dazu aufgefordert, ihr neue Studien und Informationen zur Karzinogentität von Galliumarsenid und seiner Abbauprodukte mitzuteilen, die im Mai 2010 noch nicht bekannt waren und nicht auf der Dokumentenliste des RAC enthalten sind.

Auch wenn in Europa jährlich kaum mehr als 200 kg Galliumarsenid verarbeitet werden, ist dieser Stoff ein wichtiger Bestandteil in der Halbleiter-, Elektronik- und Optoelektronik-Industrie. Er findet sich in Bauelementen wie Transistoren und Detektoren und dann in Mobiltelefonen und anderen Funkanwendungen wie WiFi- und Satellitenkommunikation. Im Bereich der Beleuchtungstechnik, die gerade dabei ist, die klassische Glühbirne zu verlieren, werden große Hoffnungen auf ultrahelle LEDs gesetzt, die jedoch Galliumarsenid enthalten.

Kurzfristig könnten die Auswirkungen einer Einstufung von Galliumarsenid als krebserregend für die europäische Industrie und die Verbraucher ohne große Auswirkungen bleiben, da es die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen gibt, die jedoch alle 4 bis 5 Jahre verlängert werden müssten, was weder der Planungssicherheit der Industrie dient, noch dort besonders beliebt ist, da in den Verfahren zur Ausnahmegenehmigung Betriebsinterna offengelegt werden müssen. Auch die Öffentlichkeit ist für eine solche Vorgehensweise nicht unbedingt zu begeistern, wie das Beispiel von Quecksilber zeigt, das aus den Fieberthermometern verbannt wurde, um in der Energiesparlampe wieder aufzutauchen.

Sinnvoll wäre es, die Auswirkung chemischer Substanzen gleich richtig einzustufen und nicht auf der einen Seite ein faktisches Verbot als Erfolg zu melden und auf der anderen Seite genau dieses Verbot über Ausnahmegenehmigungen wieder auszuhebeln.

(CJ)
 
 
(1) Das IARC ist Teil der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
(2) Cobalt in Hard Metals and Cobalt Sulfate, Gallium Arsenide, Indium Phosphide and Vanadium Pentoxide/IARC Working Group on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans (2006 : Lyon, France) Seite 159 ff.
(3) Die Europäische Chemikalienagentur hat unter anderem die Aufgabe in einem ersten Arbeitspaket 136 kritische Stoffe (Substances of Very High Concern / SVHCs) zu identifizieren (Multi-Annual Work Programme
2012-2014
; PDF-Datei, Seite 22)
(4) Quelle: ECHA (Der RAC verabschiedet Stellungnahmen zur Einstufung von vier Chemikalien; PDF-Datei)